Heißer Sommer: Deville mit Have Blue im Kulturbahnhof Jena
Als dieses Konzert angesetzt wurde, konnte noch keiner ahnen, dass es am bis dahin heißesten Tag des Jahres 2019 stattfinden würde, der im Osten Deutschlands einige Allzeithitzerekorde für den Monat Juni schlägt, wobei die neuen Höchstmarken freilich partiell nur vier Tage Bestand haben werden, bevor der letzte Junitag abermals eine sprichwörtliche Affenhitze bringt. Nun sind hohe Temperaturen für einen Getränkeausschank natürlich prinzipiell förderlich, aber um die Hitze im Kulturbahnhof nicht gar zu extrem werden zu lassen, wird die Klimaanlage angeworfen, was für ein überwiegend recht angenehmes Raumklima sorgt, wobei man gar aufpassen muß, sich nicht zu erkälten, wenn man direkt in einem der Frischluftströme steht. Das geht an diesem Abend freilich als Luxusproblem durch ... Have Blue spielen gerade ihren zweiten Song, als der Rezensent im noch etwas spärlich gefüllten Kulturbahnhof eintrifft – aber der Füllstand nimmt schrittweise zu, und die Anwesenden, die sich für Musik und gegen Baggersee, Freibad oder Talsperre entschieden haben, bekommen einen unterhaltsamen Gig geboten. Die seit 2014 aktiven Berliner treten in der Besetzung eines klassischen Siebziger-Powertrios an, und so klingen sie dann auch, wenngleich durchaus mit ihrer eigenen Variante: Die Gitarre übt im Gesamtmix eine deutlich geringere Dominanz aus, als man das von diversen Kollegen her kennt. Statt dessen fällt ein gewisses punkiges Element stärker ins Auge bzw. ins Ohr, für das speziell der Drummer sorgt, wenn er ein flottes Ufta-Ufta beisteuert, was er durchaus gerne tut, so dass die Nummern zum Höraspekt auch noch einen Tanzbarkeitsfaktor gewinnen, der sich durchaus stimmungsfördernd auswirken kann, wenngleich an diesem Abend die Bewegungsaktivitäten im Publikum eher überschaubar bleiben – erstens weiß man nicht so genau, wofür man seine Kraftreserven noch brauchen wird, und dann ist da ja trotz Klimaanlage immer noch diese gewisse Hitze. Trotzdem herrscht allgemein gute Stimmung, wenngleich der Gitarrist an seiner Publikumskommunikation durchaus noch ein wenig arbeiten darf. Er sorgt übrigens auch für den Gesang, und zwar im Alleingang – auch selbiger steht allerdings ein wenig zu weit im klanglichen Hintergrund, so dass schwer zu bewerten ist, ob der bisweilen leicht nölig erscheinende Vortrag als Stilmittel gewollt war oder unter anderen Mixverhältnissen auch ein anderer vokaler Eindruck entstünde. So richtig Tiefe entwickeln die Hauptstadtbewohner zwar nur, wenn sie temposeitig mal richtig herunterschalten, und das tun sie eher selten – zudem hat man bisweilen den Eindruck, sie wüßten noch nicht so richtig, was sie sich alles trauen können, und hingen noch zu sehr an den Studiovorlagen. Aber Potential ist hier definitiv da. Detail am Rande: Am Merchstand gibt es neben dem aktuellen Album When The Flowers Get Teeth als CD und LP (letztere auf 300 Exemplare limitiert) auch wieder Nickis zu erwerben – das ist innerhalb eines reichlichen Monats nun schon das zweite Mal, dass der Rezensent im Kulturbahnhof über ebenjene alte DDR-Bezeichnung für ein T-Shirt stolpert, die er zuvor ewig nicht gehört oder gelesen hat. Sachen gibt’s ... Deville sind mit dem Stichwort Stoner angekündigt, und da man wegen der Pionierrolle von Kyuss, die bekanntlich aus den desertifizierten Südweststaaten der USA stammten, und dem „staubigen“ Eindruck der Musik in diesem Kontext auch vom Wüstenrock spricht, würde das auf die Witterungsverhältnisse dieses Abends hervorragend passen, zumal das Niederschlagsdefizit in Deutschland schon wieder besorgniserregende Ausmaße anzunehmen begonnen hat. Aber wie so oft macht sich auch hier eine Relativierung notwendig: Erstens ist der wüstenhafte Wettercharakter noch längst nicht so stark ausgeprägt wie im Sommer 2018, und zweitens entpuppen sich auch Deville als gar nicht so stark stonerlastig, wenn man den Set dieses Abends als Maßstab nimmt – der Rezensent erlebt sie hier zum ersten Male, besitzt auch keines ihrer Alben, hat zudem auf vorherige Hörproben im Netz verzichtet, läßt sich somit überraschen, kann aber damit auch keine Vergleiche zu etwaigen früheren Taten ziehen. An diesem Abend jedenfalls agiert das schwedische Quartett alles andere als musikalisch zugedröhnt oder staubig – wir bekommen statt dessen eine Art moderneren Rocks bzw. Metals vorgesetzt, wie ihn anderthalb Jahrzehnte zuvor etwa die Landsleute Debase zusammenbrauten, damit allerdings nur überschaubaren Erfolg einheimsen konnten, obwohl sie sogar mal mit Annihilator auf Tour waren. Dazu kommt ein Sänger, der sich bisweilen in einer Mixtur aus Rauhigkeit und Melodiehaltevermögen artikuliert, wie sie auch ein gewisser James Hetfield auf der schwarzen Metallica-Scheibe pflegte, ohne dass der Schwede freilich an Klasse und Charisma herankäme. Aber er macht seine Sache durchaus nicht schlecht und entpuppt sich auch als guter Entertainer, der das Publikum schelmisch zum Mitklatschen auffordert, obwohl das schwierig ist, weil fast jeder ein Getränk in der Hand hält. Die Gitarrenleads teilt er sich mit seinem Kompagnon, und diese fügen bisweilen gar ein gewisses traditionsmetallisches Element in den Gesamtmix ein, obwohl Deville stilistisch sonst naturgemäß nichts mit HammerFall oder Sabaton am Hut haben – mit extremeren metallischen Spielarten allerdings auch nicht, obwohl man anhand des Bandlogos durchaus solche Assoziationen hätte hegen können. Temposeitig deckt das Quartett ein breites Spektrum ab, verzichtet auf extrem ausladende Epik und bewegt sich häufig aus den langsameren Gefilden in zupackendere Areale. Lange nach dem Gig entdeckt der Rezensent eine etwas ausführlichere Bandinfo, und zwar mit folgender Abschlußpassage: „Whilst still being a record containing alot of dynamics ‘Pigs With Gods’ is definitely the band‘s heaviest effort to date. Band quote: ‚When we first started writing music for a new album it became evident to all of us that we were quite tired of the traditional doom/stoner genre… It soon became clear that more Metal was what we all wanted! Thus the album was given a very metal feeling…‘“ Besagtes Album, 2018 erschienen und die Hälfte der Setlist stellend, ist das fünfte des 2016 hälftig umbesetzten Quartetts, und diese Schilderung trifft sich perfekt mit dem Eindruck des Rezensenten. Dank eines gut ausbalancierten Soundgewandes kann man die Qualitäten aller vier Schweden prima nachvollziehen, die Stimmung im mittlerweile recht ordentlich gefüllten Rund (man führe sich nochmals die Alternativen Baggersee, Freibad oder Talsperre vor Augen, und außerdem spielen am gleichen Abend auch noch Agnostic Front in der Stadt) ist gleichfalls gut, und so fällt es nicht schwer, die Schweden noch zu einer Zugabe zu überreden, für die der Sänger einen schnellen und einen langsamen Song zur Wahl stellt. Der Versuch einiger gewitzter Anwesender, sich beide Songs zu wünschen, geht leider schief, aber letztlich entscheidet sich die Mehrheit für die schnelle Nummer (der Titel ist Schall und Rauch), die einen gekonnten Punkt unter einen in mehrerlei Hinsicht denkwürdigen Gig setzt. Setlist Deville: Wrecked Gold Sealed Tomb Deserter Over The Edge Lever Medicated On A Concrete Road Pigs With Gods Lost Grounds Lightbringer Chief What Remains -- NN Roland Ludwig |
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