Stormwind
Taken By Storm
|
|
|
Düsseldorf besaß in den Frühachtzigern nicht nur eine florierende Punkszene, auch einige mehr oder weniger hoffnungsvolle metallische Pflänzchen entsprossen der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Zu diesen zählten auch Stormwind, deren Kopf Niko Arvanitis schon seit den Spätsiebzigern in Rockbands lärmte, bevor ihn zu Neujahr 1980 das Hören von Judas Priests Unleashed In The East auf den Pfad der metallischen Tugend führte. Die Folgejahre verbrachte man im wesentlichen im Proberaum, aber erst 1984 stieß mit Sänger Klaus Lemm das entscheidende fehlende Glied zur Kette, übrigens auf Empfehlung eines gewissen Udo Dirkschneider. Lemm schleppte dann noch Wolla Böhm an, der neben Arvanitis die zweite Gitarre besetzte, früher beim Warlock-Vorläufer Snakebite gespielt hatte und lange nach dem Ende Stormwinds kurioserweise bei U.D.O. wieder auftauchte. Die um Bassist Rudy Kay aka Rudolf Kronenberger, mit dem Arvanitis schon seit den Mittsiebzigern Musik gemacht hatte, und Drummer Olly Kliem, der seit 1980 mit Arvanitis musizierte, ergänzte Formation begann alsbald auch live zu spielen und ergatterte bei Wishbone Records einen Plattenvertrag, der 1985 zu gleich zwei Releases führte: zunächst zum Debütalbum Taken By Storm und ein halbes Jahr später zur 3-Track-EP Warbringer. Danach erhielt Arvanitis ein Angebot, bei Warlock einzusteigen, die zu dieser Zeit eine Erfolgsstufe nach oben geklettert waren und einen Majordeal eingesackt hatten – da ihn deren Manager allerdings zwang, sich zwischen den beiden Bands zu entscheiden, verließ er „seine“ Stormwind schweren Herzens, die danach in wechselnden Besetzungen und unter verschiedenen Namen in unterschiedlichen Stilen noch weiterzumachen versuchten, aber schließlich die Aktivitäten einstellten.
Taken By Storm liegt nunmehr als Re-Release in der „Heavy Metal Classics“-Serie des Karthago-Labels vor und ist damit zum ersten Mal offiziell auf Silberling zu haben. Der Rezensent besitzt die LP, die er in den Neunzigern mal für kleines Geld aus einer Plattenladen-Grabbelkiste fischte, hat diese aber sicherlich 20 Jahre nicht mehr gehört – das erste Einlegen der CD wurde also zum Trip in die Vergangenheit. Und siehe da, an „Thunder & Lightning“ konnte sich das musikalische Langzeitgedächtnis noch erinnern und an den Opener „Hard Sins“ diffus auch, letzteren allerdings eher aufgrund der strukturellen Merkwürdigkeit, dass man anno 1985 im Regelfall einen schnellen Metalsong an den Anfang einer LP stellte, sofern man solche im Repertoire hatte – Stormwind hatten, aber sie taten es dennoch nicht, sondern wählten das erwähnte midtempolastige „Hard Sins“, packten erst dann mit „Chaos“ eine flottere Nummer aus, stellten das schnelle „Evil’s Child“ an die erste Position der B-Seite und verteilten ihre übrigen Speedies über die ganze Scheibe. Keine Ahnung, warum sie das taten, aber im damaligen Härter-und-schneller-Wettbewerb verloren sie schon mit genanntem Opener entscheidend an Boden. Zugegeben, das schleppende „Thunder & Lightning“ ist der beste der zehn Songs, aber Speed wie „She-Devil“ mit seinem durch eine leichte Beatverschiebung abgestoppten und gerade dadurch Vorwärtsdrang entwickelnden Refrain und dem furiosen Solo weist gleichermaßen hohe Qualität auf und hätte sich als Opener der LP durchaus nicht schlecht gemacht, auch wenn der Gitarrensound sich gerade in diesem Stück ein wenig von dem des Restes der Platte unterscheidet. In so manchem Song klingen Arvanitis und Böhm bisweilen ein wenig nach Accept, und wenn man dann noch einen Sänger hat, der in den kreischigen Lagen Udo Dirkschneider mehr als nur ähnelt, und zudem einen Song „Breaker“ nennt, ist die Öffentlichkeit mit dem Attribut „Accept-Kopie“ schnell bei der Hand. Aber die Stormwind-Gitarristen halten sich beispielsweise von klassischen Themen, wie sie Wolf Hoffmann immer wieder einzustreuen pflegt, zumindest in den Albumsongs konsequent fern, und wenn Lemm tiefer singt, besitzt er eine deutlich andere Stimmlage als Dirkschneider. Große Chöre gibt es bei Stormwind auch nicht zu hören, sondern „nur“ puren Mittachtziger-Metal, der gut genug ist, um sich hinter der Führungsriege auf einen guten Mittelfeldplatz zu setzen, und der, wenn man diesen Stil irgendwo zwischen Judas Priest und eben Accept zu schätzen weiß, durchaus Eindruck schinden kann. Eher zum Schmunzeln animiert hingegen das Cover, wo ein stählerner Greifvogel eine schon leicht grauhaarige, augenscheinlich unbewaffnete Metal-Kämpferin mit nietenbesetztem Slip (!) attackiert und offenbar auch schon getroffen hat, wie aus dem Blutrinnsal zu schließen ist, das aus der linken Brust (der schwarze BH ist natürlich auch nietenumrahmt) nach unten fließt. Das Ganze findet in einer wüstenartigen Landschaft vor pyramidenartigen Hügeln statt, während vom Baum im linken Hintergrund Tillandsien herunterhängen und sich hinten ein Unwetter zusammenbraut. Das Motiv paßt freilich in den Mittachtziger-Metal wie die Faust aufs Auge und rundet eine hörenswerte Genreveröffentlichung ab, die allerdings damals recht kurz ausfiel: Bis auf den Closer „Warlord“ bleiben alle Nummern unter der Vier-Minuten-Marke, drei schaffen es nicht mal über die Drei-Minuten-Grenze – Stormwind arbeiteten also recht kompakt, wenngleich „She-Devil“ beweist, dass sie durchaus mehr auf dem Kasten hatten als „nur“ simplen geradlinigen Metal.
Die Karthago-Pressung enthält nach den zehn Albumsongs noch fünf Bonustracks, überraschenderweise aber nicht die Warbringer-Maxi, wie man hätte vermuten können. Der Song „Warbringer“ ist trotzdem gleich der elfte, allerdings in der Fassung vom ersten 1983er Demo. Das enthielt drei Tracks und wurde von Joachim Jobski gasthalber eingesungen, während Frank Rittel als Bassist kurz vor den Aufnahmen ausgestiegen war, die Baßspuren dann letztlich aber als Gast doch noch einspielte, bevor er sich vollzeit Warlock widmete. Joachim aka Joe besaß eine durchaus gute, aber eher „normale“ Stimme, die für die Stilrichtung, welche Arvanitis vorschwebte, nur bedingt geeignet war und eher in eine klassische Rockformation gepaßt hätte. Viel Zeit, das Material auf seine stimmlichen Möglichkeiten zuzuschneiden, dürfte freilich nicht geblieben sein, und vor diesem Hintergrund muß man durchaus den Hut vor dem Ergebnis ziehen. „Warbringer“, „Fairy Of Dreams“ und „Iron Rock“ gefielen der Band songwriterisch allesamt so gut, dass sie alle drei Nummern später mit Lemm nochmals einspielten. „Fairy Of Dreams“ landete mit seiner Neufassung letztlich auf dem Album, die beiden anderen aber nicht, obwohl „Warbringer“ in den Albumsessions gleichfalls mit aufgenommen worden war. Für die EP spielte man es dann aber ein weiteres Mal neu ein und reaktivierte dann eben auch „Iron Rock“, einen Speedie, während die beiden anderen Nummern vom ersten Demo sich im Midtempo aufhalten. Dazu trat auf der EP noch „Hot Love“, das hier auf der CD allerdings nicht zu hören ist. Statt dessen bekommen wir noch zwei Nummern vom zweiten Demo, das gleichfalls 1983 aufs Band gebracht wurde. In jener Session entstanden gleich vier Akustik-Instrumentals, von denen „Knight-Ages“ hier versilbert wurde – Arvanitis hatte in den Mittsiebzigern zunächst klassische Gitarre gelernt, und das nicht mal einminütige Stück klingt ein ganz klein wenig nach Musik längst vergangener Jahrhunderte, nur eben nicht wie bei Accept mit in metallische Gefilde übersetzter klassischer Thematik. Dazu kamen drei abermals von Joe eingesungene und von Frank Rittel mit Baßspuren versehene Songs, von denen die CD nicht die Frühfassung von „She-Devil“ (mit Doro Pesch als Gast im Intro – die spätere Albumversion enthält kein gesondertes Intro, sondern nur das Hauptriff, auf das Lemm dann zeitnah mit der ersten Strophe beginnt) und auch nicht „Looking For Love“ enthält, sondern die Ballade „White Angel“, eigentlich ein recht schönes Stück, aber mit irgendwie seltsam sphärisch anmutendem Gesang, der nicht so recht passen will. Stormwind waren in jener Phase eher orientierungslos – es gibt noch mehr Aufnahmen aus dem Jahr 1983, die stilistisch ebensowenig Klarheit verschafften wie das zweite Demo, auf das die Band schrägerweise auch noch die drei Songs des ersten packte und damit den Gemischtwarenladen komplett machte, bevor dann 1984 mit Lemm und später Böhm die Wende kam.
Bleibt aus editorischer Sicht natürlich trotzdem die Frage, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, hier noch weiteres Material auf die CD zu packen, die mit reichlich 50 Minuten durchaus nicht überfüllt ist und mit der Auswahl der beiden letzten Tracks stilistisch sowieso keine Homogenität mehr besitzt. Und da fehlt ja auch noch der eine EP-Track ... Aber vielleicht findet sich manches davon auch noch auf dem nächsten Stormwind-Re-Release, denn da schlummerte noch weiteres Material in den Archiven. Bis dahin lohnt die mit sehr informativem Booklet, u.a. einer an Ausführlichkeit kaum zu überbietenden Bandhistory aus der Feder von Arvanitis, ausgestattete und von Robert Remagna behutsam remasterte Taken By Storm-CD den Erwerb für Metalhistoriker allgemein und Accept-Anhänger speziell, sofern man auf die Lyrics verzichten kann – die hatten im Booklet nämlich keinen Platz mehr, was schade ist, weil man so nur unter Schwierigkeiten nachprüfen kann, ob die Aussagen aus den Mittachtzigern, dass sich die Band lyrisch von metallischen Klischees abheben wolle, zutreffen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Hard Sins | 3:04 |
2 |
Chaos | 3:36 |
3 |
The Next Could Be You | 3:15 |
4 |
Striker | 2:41 |
5 |
Thunder & Lightning | 3:30 |
6 |
Evil’s Child | 2:58 |
7 |
She-Devil | 3:07 |
8 |
Fairy Of Dreams | 3:51 |
9 |
Breaker | 2:53 |
10 |
Warlord | 4:44 |
11 |
Warbringer (Demo I) | 5:05 |
12 |
Fairy Of Dreams (Demo I) | 3:52 |
13 |
Iron Rock (Demo I) | 2:58 |
14 |
Knight-Ages (Demo II) | 0:56 |
15 |
White Angel (Demo II) | 4:02 |
|
|
|
|
|
Besetzung |
Klaus Lemm (Voc)
Niko Arvanitis (Git)
Wolla Böhm (Git)
Rudy Kay (B)
Olly Kliem (Dr)
|
|
|
|