Sechs Gitarrenasse an einem Abend: Alpha Tiger, Gloryful und Victorius in Markneukirchen
Den warmen Samstagabend nutzen die Vogtlandbewohner offensichtlich eher, um zu grillen oder sich auf dem Dorffest in Gettengrün zu verlustieren – für ein feines Package melodischen Speed Metals bleibt da nur eine handverlesene Schar von Gourmets und Gourmetinnen übrig. Die bekommt allerdings einen ganzen Abend lang einen Beweis nach dem anderen geliefert, warum diese Stilistik so zu begeistern vermag. Den ersten Beweis treten Victorius an. Das Quintett spielt Melodic Speed der klassischen Schule, bei dem trotz viel Abwechslung der Fokus stets auf Hochgeschwindigkeit liegt. Um diesen Stil adäquat herüberzubringen, benötigt man exzellente Musiker, allen voran zwei hochgradig fähige Gitarristen – und die haben die Leipziger in ihren Reihen, selbst wenn man das den beiden Sechssaitenschwingern so ganz und gar nicht ansieht: Optisch würde man den einen in einer Emo- und den anderen in einer Reggaeband vermuten. Aber die beiden Herrschaften zaubern hier eine Klasseidee nach der anderen hervor, sind beide gleichermaßen im Rhythmus- wie im Leadspiel versiert, und da der Drummer im Gesamtklangbild nur wenig zu laut abgemischt ist, hört man das Gros der Gitarrenkünste auch tatsächlich durch. Hinzu tritt ein erstklassiger Sänger im glasklaren hohen Fach, der diese Riege aus Könnern blendend ergänzt und nur an seinen Entertainerqualitäten feilen muß: Den einzigen Besucher, der direkt vor der Bühne steht, mit dem Hinweis auf sein leeres Bierglas nach hinten an die Bar zu schicken, wonach die erste Reihe dann leer ist, mutet, nun ja, etwas merkwürdig an ... Victorius beginnen offenbar nicht gar zu lange nach dem verbrieften Anstoß von 19.30 Uhr – als der etwa eine Viertelstunde verspätete Rezensent eintrifft, hat er „Hero“ verpaßt und hört noch Teile von „Dragonheart“, bevor der Abend für ihn mit „Battalions Of The Holy Cross“ richtig beginnt. Nicht jede Songstruktur will sich erschließen – so wirkt in „Hammer Of Justice“ der Übergang vom Solo in den Schlußteil ein wenig holprig, aber solche Problemfälle bleiben dankenswerterweise selten. Von der Setlist her spielen sich Victorius kreuz und quer durch ihr drei Alben umfassendes Schaffen: „Hammer Of Justice“ beispielsweise ist neu, aber auch der Titeltrack des Debütalbums, „The Awakening“, steht in der Setlist, die mit dem durch einen Mitsingpart aufgepeppten „Metal Heart“ endet, das kein Accept-Cover darstellt, aber trotzdem Klassikelemente beinhaltet, denn im Finale spielen die Gitarristen das „In der Halle des Bergkönigs“-Thema, bauen es aber leider nicht zu einer Savatage-Coverversion aus. Die Stimmung im Publikum ist gut, und etwaigen Zugabewünschen baut der Soundmensch vor, indem er gleich nach Verklingen des Schlußtons die Umbaupausenmusik einschaltet – die Wahl fällt übrigens auf Nightwishs Century Child-Album im Random-Modus. Gloryful bilden im sonst rein sächsischen Package auf sächsischem Boden die räumliche Ausnahme, musikstilistisch reihen sich die Duisburger aber problemlos ein, obwohl man einige ihrer Mitglieder eher von härteren und/oder progressiveren Bands wie Night In Gales oder Forces At Work in Erinnerung hat (deren Material es dann auch am Merchstand zu erwerben gibt). Auch von diesem Quintett bekommt die Hörerschaft also klassischen Melodic Speed, allerdings einen Tick rauher und kantiger als bei Victorius, woran der Sänger seinen Anteil hat. Der sieht nämlich nicht nur so aus, als ob er zur Hardcorekapelle im Nachbarproberaum gehören würde (Fußballsocken, Basecap ...), sondern bringt neben einer klaren auch eine etwas angerauhte Stimmlage zum Einsatz, und die vom Basser und einem der Gitarristen beigesteuerten Backings fallen nicht selten auch in die Kategorie Gangshouts. Die Genregrenzen überschreiten Gloryful damit aber noch keineswegs, und das wollen sie offensichtlich auch gar nicht – sie fühlen sich wohl mit dem, was sie machen, und sie machen das auch richtig gut, wobei auch hier wieder zwei absolute Trümpfe an den Gitarren zu konstatieren sind, die der Soundmensch zudem ins angemessene Licht rückt. Vom Songwriting her exerzieren Gloryful die Möglichkeiten geschickt durch und stellen unter Beweis, daß sowohl die Kombination „Speedsong mit Midtemposong“ als auch diejenige „Midtemposong mit Speedsolo“ funktionieren kann. „This Means War“ ist natürlich kein Petra-Cover, dafür huldigt die Band in „The Warrior’s Code“ nicht nur per Ansage, sondern auch instrumental Iron Maiden, ohne diese freilich zu kopieren. Apropos Ansagen: Der Sänger entpuppt sich als Scherzbold, der das Publikum bestens unterhält. Da das Alpha-Tiger-Backdrop hinter Gloryful hängt und diese ihr eigenes vergessen haben mitzubringen, kommt der Spruch „Wir sind, ähem, Alpha Tiger aus Duisburg“. Die übersichtliche Situation im Zuschauerraum kommentiert der Vokalist mit „Ihr seid wenige, aber davon ganz schön viele“, und er versucht seinen Gitarristen zu promoten: „Der Adrian hat auch ein Soloprogramm, wo er den ganzen Abend nur Gitarre spielt.“ Schweigen im Publikum. „Tja, Adrian, nach Markneukirchen brauchste wohl nicht kommen.“ Außerdem erfahren die Anwesenden einiges über zwei Bandmitglieder, die der Vokalist zu verkuppeln versucht: Der Basser sei Student, besitze ein Motorrad und brauche eine Frau, die arbeiten geht und nicht so oft zu Hause ist – der Drummer hingegen habe ein Auto und arbeite bei Douglas, welchletztere Information auf die beiden reizenden Mädels in der Nähe der rechten Box abzielt. All das sorgt für gute Laune im Publikum und die Musik per se natürlich auch, so daß, obwohl auch hier die Umbaupausenmusik gleich nach dem Schlußton eingeschaltet wird, die Zugaberufe erhört werden und die programmatische Nummer „Heavy Metal – More Than Meets The Eye“ einen unterhaltsamen Gig abschließt. Alpha Tiger haben ein neues, selbstbetiteltes Album in der Pipeline, das allerdings erst Ende August erscheint – insofern durfte der Hörer gespannt sein, ob er schon einen Vorgeschmack auf selbiges Werk geboten bekommen würde. Die Antwort lautet Nein, und das erstaunt dann doch etwas, denn die digitale Single Comatose sollte planmäßig vorab Ende Juni erscheinen, und zumindest die hätte man dann durchaus in der Setlist erwarten können. Aber Fehlanzeige (wobei unklar bleibt, ob der Vorab-Release überhaupt stattgefunden hat, denn zum Rezensionszeitpunkt findet man das zur Single gehörige Video auf Youtube, wo man es zwingend erwarten würde, nicht), auch ein Vorabverkauf am Merchstand findet nicht statt, und kurioserweise kommt nicht mal eine Ansage, daß da demnächst mit einem neuen Werk zu rechnen ist und die geneigten Anwesenden doch Auge und Ohr offenhalten mögen. Statt dessen überraschen Alpha Tiger mit einem ziemlich oldschooligen Set: Zwar reicht das nicht so weit, daß sie Material des Bandvorgängers Satin Black exhumieren, aber das Debütalbum Man Or Machine stellt mit fünf Beiträgen genau so viele zur Setlist wie das noch aktuelle Drittwerk iDentity, und wenn man bei letzterem das Charpentiers Te Deum verarbeitende Intro subtrahiert, ist das Altmaterial sogar in der Überzahl. Zwei Nummern vom Zweitwerk Beneath The Surface, nämlich der Speedie „From Outa Space“ und das vielschichtige „Along The Rising Sun“, ergänzen den Set und markieren zugleich dessen Eckpunkte: reinrassiger Melodic Speed auf der einen, vielschichtige, oft immer noch speedlastige, aber komplexere Songs auf der anderen, wobei letztere sich gehäuft auf dem Drittling iDentity finden und daher mit einer gewissen Spannung auf das neue Werk warten lassen. Zudem bietet dieses Werk dann auch erstmals Gelegenheit, in Konservenform zu begutachten, was der neue Sänger Benjamin Jaino zu leisten imstande ist, der seit zwei Jahren bereits mit der Band live unterwegs ist. Der Rezensent sieht ihn an diesem Abend zum ersten Mal (bei der Releaseparty zu iDentity im Januar 2015 in Leipzig war noch Vorgänger Stephan Dietrich an Bord), und es stellt sich heraus, daß die Eltern Jaino den Vornamen ihres Sohnes zwar schon vorausschauend im Hinblick auf seine Statur gewählt haben, daß der kleine Mann aber stimmlich ein Riese ist, auch wenn er an diesem Abend seine Möglichkeiten scheinbar noch nicht ausreizt. Für die Gesellschaft der vier instrumentalen Könner bildet er auf jeden Fall eine wertvolle Ergänzung, und zum Glück kommt er nach wenigen Songs auch auf den Trichter, seinen seltsamen Ibrahimovic-Dutt gegen komplett offenes Haar zu tauschen. Auch bei Alpha Tiger, die übrigens den klarsten Sound des Abends haben, fällt allerdings ganz besonders auf, daß es sich bei den Gitarristen um zwei absolute Könner ihres Fachs handelt – und das, obwohl sie von der Anmutung her nicht unterschiedlich sein könnten: auf der einen Seite der leicht unnahbar wirkende Peter Langforth mit rockstarkompatibler Optik, Lochhosen, Flying-V mit Tigerfärbung, einem mit reptilartigem Schuppenpanzermuster komplett tätowiertem rechtem Arm und der netten Aufforderung „Fuck off“ auf dem halbierten weißen Unterhemd, auf der anderen Seite Alexander Backasch vom Typ „netter, zurückhaltender Knuddelbär von nebenan“, den man sich irgendwie gar nicht in seinem angestrebten Beruf als Physiklehrer vorstellen kann, sondern allenfalls als im Labor vergrabener Experimentalphysiker. Ergänzt um Bassist Dirk Frei und Drummer David Schleif bilden diese vier jedenfalls ein äußerst schlagkräftiges Team, und der neue fünfte Mann im Bunde scheint wie bereits erwähnt eine starke Ergänzung zu sein. An ihm jedenfalls liegt’s zumindest stimmlich nicht, daß gegen Ende des Gigs die Luft im Publikum etwas raus ist – an seinen Entertainerqualitäten für ein kopfzahlgeringes Publikum hat er sich an diesem Abend ja vielleicht schon einige Anregungen von seinem Gloryful-Kollegen holen können. „We Won’t Take It Anymore“ und „Black Star Pariah“ bilden jedenfalls das hochklassige Finale des regulären Gigs, und da einige Unentwegte auch hier eine Zugabe hören wollen, bekommen sie sie auch, eine Überraschung, wie der Sänger verspricht. Der Kenner weiß, daß Alpha Tiger an dieser Stelle gern noch die eine oder andere Coverversion auspacken, und das machen sie auch diesmal, allerdings eine, die zumindest der Rezensent von ihnen noch nicht gehört hat: Der Maiden-Klassiker „Hallowed Be Thy Name“ entlockt dem Publikum noch einige Kraftreserven und schließt einen sehr starken Gig auf sehr hohem Niveau ab. Setlist Alpha Tiger: Intro Lady Liberty Scripted Reality Against The Time From Outa Space Men Or Machines Long Way Of Redemption Crimson Desert Along The Rising Sun Karma We Won’t Take It Anymore Black Star Pariah -- Hallowed Be Thy Name Roland Ludwig |
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