Musik an sich


Reviews
Diverse Italien 17. Jhd. (Beasley)

Recitar cantando


Info
Musikrichtung: Barock Ensemble

VÖ: 01.06.2006

Cypres / Note 1
CD (AD 2005) / Best. Nr. Cyp1645


Gesamtspielzeit: 62:16

Internet:

Accordone



BEWEGEND UNKONVENTIONELL

Marco Beasley ist ein Sänger mit einem außergewöhnlichen Timbre. Für sein Kernrepertoire, die italienische Musik des späten 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts, ist das eine nicht unwesentliche Voraussetzung: viel mehr als in späteren Zeiten steht der Textvortrag im Vordergrund. Im 17. Jahrhundert spricht man bei der damals noch ganz neuen monodischen (d. h. für eine Solosingstimme mit Bassbegleitung komponierten) Musik von recitar cantando, dem „sprechenden Singen“. Sprechend - das meint nicht nur: am gesprochenen Vortrag orientiert, sondern auch: gestisch, darstellend, affektiv. Die Stimme individualisiert sich, sie wird zum Instrument der Menschendarstellung. Und hier hat Marco Beasley mit seinem Ensemble Accordone ganz eigene Wege gefunden, um sich die Musik vergangener Epochen abseits der ohrenfälligen Pfade (und seien es die er historischen Aufführungspraxis) anzueignen. Seine Suche nach einer Stimmfarbe, die mit dem ungeglätteten Klang der alten Instrumente korrespondiert, hat den Charakter seines hohen, schlanken Tenors besonders geprägt: eine sehr unangestrengt und natürlich geführte, leicht nasale und mitunter irritierend androgyne Stimmfarbe, geschmeidig und expressiv, wenngleich ganz ohne die Opern-Ticks des 19. Jahrhunderts.

Das neueste Programm mit dem treffenden Titel Recitar Cantando umfasst Arien und Monologe bekannter und unbekannter Meister des frühen 17. Jahrhunderts, darunter Monteverdi, Frescobaldi und Caccini. Einige rein instrumentale Einlagen sorgen für Zäsuren. Wie so oft beschränkt sich Accordone auch diesmal nicht nur auf eine im Wesentlichen notengetreue Ausgestaltung des basso continuo, sondern komponiert die Vorlagen unter der umsichtigen musikalischen Leitung von Guido Morini sozusagen weiter. Es befindet sich damit freilich in bester Gesellschaft mit Musikgelehrten wie Praktikern des 17. Jahrhunderts, die eine solche Bereicherung der notierten Minimalfassung ausdrücklich empfahlen. So wird z. B. aus dem eigentlich diskret begleiteten Auftritt der Botin in Monteverdis ‚Orfeo’ ein intensiv von Streichern gestaltetes Accompagnato. Dass man dennoch in keinem Augenblick das Gefühl einer aufgeplusterten Überinterpretation hat, spricht für das stilistische Gespür der Musiker.
Beim berühmten Combatimento aus der Feder des gleichen Komponisten geht Beasley sogar das Wagnis ein, nicht nur den „Erzähler“, sondern auch die beiden anderen Rollen zu singen. Dass ihm diese Mimikry ohne musikdramatischen Substanzverlust gelingt, spricht für seine Gestaltungskraft. Auffällig ist dabei die Zurückhaltung gerade des „Erzählers“, den man von anderen Interpreten schon wesentlich erregter, auch effektvoller gehört hat. Gerade hier zeigt sich Beasleys unkonventioneller Zugang besonders deutlich. Dass er mit solcher Zurückhaltung aber wahrlich das Herz der Hörers zu rühren vermag, beweist er unter anderem mit dem ungemein bewegend gesungenen Lettera amorosa aus Monteverdis 7. Madrigalbuch. Auch wenn man beim Combattimento einer anderen Auffassung den Vorzug geben will: Die CD lohnte sich allein für den "Liebesbrief".

Leider enthält das umfangreiche Beiheft keine deutsche Übersetzung der Texte!



Georg Henkel



Trackliste
Claudio Monteverdi (1567-1643):
Scena: Messaggera ed Orfeo
Lettera amorosa a voce sola
Combattimento di Tancredi e Clorinda
Girolamo Frescobaldi (1583 - 1643):
Aria di Romanesca
Cento partite sopra Passacagli
Cherubino Busatti (?-1644):
Angela Siete
Giovan Battista Fontana (1630-?):
Sonata XVI per tre violini e basso
Sonata VIII perdue violini e basso
Giulio Caccini (1551-1618):
Amor ch'attendi
Ch'io non t'ami, cor mio?
Besetzung

Marco Beasley, Gesang

Guido Morini, Orgel, Cembalo und Leitung
Enrico Gatti und Rosella Croce, Violine
Svetlana Fomina, Violine, Viola da braccio
Gaetano Nasillo, Cello
Stefano Rocco, Laute und Erzlaute
Franco Pavan, Theorbe


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>