Irrungen und Wirrungen, aber dann doch wieder nicht: Ecstatic Vision in Jena ungeplant allein
In Zeiten postpandemischer Auswirkungen hat man sich an Konzertabsagen aus gesundheitlichen Gründen mittlerweile in gewisser Weise gewöhnt, so ärgerlich diese für die verschiedenen Beteiligten jeweils auch sind. Aber es gibt nach wie vor noch andere Gründe, warum eine Band an einem bestimmten Abend nicht spielt, und einer derselben tritt an diesem Tag auf. Eigentlich sind als Support nämlich die Leipziger Echoes Like Dust eingeplant – aber die bringen es fertig, sich den Termin im Kalender für den Folgetag einzutragen, was dann auch entsprechend z.B. auf ihrer Bandcamp-Seite erscheint. Als die Irrungen und Wirrungen bemerkt werden, ist es zu spät in doppelter Hinsicht – eine spielfähige Besetzung zusammenzutrommeln ebenso wie kurzfristig noch irgendeinen anderen Supportact heranzukarren. Also müssen Ecstatic Vision alleine ran, wodurch sich der Konzertbeginn ein gutes Stück nach hinten verschiebt. Der Rezensent, bei Fahrtantritt im Büro noch recht fit, bei Ankunft im Club aber schon leicht ermüdet, macht es sich auf einem der gemütlichen Sofas vor dem Mischpult bequem und schließt die Augen – und dort verbringt er dann auch die gesamte Konzertzeit, nur gelegentlich die Augen öffnend und durch die Lücken im locker stehenden Auditorium gen Bühne linsend, das Konzert also im wesentlichen nur akustisch verfolgend, wenngleich immerhin wieder im Wachzustand. Das US-amerikanische Quartett hat seine ersten Labeljahre auf Relapse Records verbracht, muß also entweder früher ziemlich anders geklungen oder aber einen eigenartigen Farbtupfer im Roster der Krachspezialisten dargestellt haben. Okay, es kracht auch jetzt noch ziemlich, wenn die Band ihren harten Psychedelic auffährt, aber verschrobenen Lärm in unmöglichen Taktarten gibt es dann doch nicht zu hören. Statt dessen legt Drummer Ricky Culp eher geradlinige, bisweilen fast hypnotisch-monotone Beats in überwiegend recht zügigem Tempo vor, über denen sich die Instrumentenkollegen dann austoben dürfen und hier alle Register ziehen, dabei aber stets in einem relativ kontrollierten Modus bleiben, also weder zum kollektiven Entschweben animieren noch mit Irrungen und Wirrungen die Nervenenden des Konsumenten anderweitig zu verknüpfen suchen als herkömmlich. Einer aus dem Quartett, nämlich Kevin Nickles, spielt neben Gitarre und Tasten gelegentlich auch Saxophon, was interessante zusätzliche Klangfarben ins Geschehen einbringt, es allerdings nur selten in Richtung John-Zorn-Klangwelten lenkt, mit denen man angesichts der Termini „Psychedelic“ und „Relapse“ rechnen könnte, wenngleich er natürlich auch weit entfernt von sagen wir den Klangwelten des Solos aus Foreigners „Urgent“ agiert. Von der Setlist her gliedert das eher kompakte und harte „Deathwish 1970“ vom aktuellen Album-Viertling Elusive Mojo den Set in zwei Teile aus deutlich ausladenderen Kompositionen, in denen man mal an Hawkwind, aber auch mal an eine weniger metallische Version bestimmter Monster-Magnet-Scheiben denkt, wenngleich vor allem der treibende Vorwärtscharakter die Nummern vom gelegentlichen bedröhnten Innehalten der Genannten abhebt. „For the Masses blends Tripped-out Synth, Semi-Catatonic Desert driving tunes, Afro-tribal Funkadelic Vibes, Troglodyte-Detroit Rock grooves, Acid Freak-Outs, Ethereal Psychedelic Hymns, and Mind-Altering Kraut Rock into Ecstatic Vision’s outsider take on modern music“, sagt eine Beschreibung zum Albumdrittling der Ostküstler, und obwohl manche Aspekte im Livesound stärkere Betrachtung erfahren haben als andere, läßt sich mit so einer Umschreibung zumindest der grundsätzliche Kosmos umreißen, in dem Ecstatic Vision reisen. Das Gebotene gefällt dem in leider eher überschaubarer Kopfzahl anwesenden Publikum jedenfalls und wird unterstützt durch ein ausgewogenes Soundgewand, das auch das Nachvollziehen von Einzelheiten möglich macht, ohne den Energietransport zu vergessen, wobei die Band dankenswerterweise auf pure Lärm-, Schepper- und Verzerrer-Orgien verzichtet, die man in dem Genre ja durchaus auch finden könnte, während der Gesang von Doug Zabolchech, der nebenbei oft auch noch eine Gitarre bedient, hier und da tatsächlich mal etwas ekstatischer ausfällt, aber auch zahlreiche andere Klangfarben berücksichtigt. Inclusive Zugabenteil kommen die Philadelphianer allerdings nur auf etwas mehr als eine Stunde Spielzeit, was nicht zuletzt anhand des Ausfalls der Vorband eine recht knappe Bilanz ist (der Eintrittspreis war allerdings auch gesenkt worden). Andererseits endet das Konzert somit relativ früh, und der Rezensent schafft es auch, seine reichlich 100 Kilometer Heimfahrt ohne Sekundenschlaf zu absolvieren. Roland Ludwig |
|
|
|