Paschas, Burgen, Federvieh: Der Albanian Iso-Polyphonic Choir bringt beim A-Cappella-Festival Leipzig ganz spezielle südosteuropäische Gesänge mit
Innerhalb des A-Cappella-Festivals Leipzig bildet die Reihe in der Evangelisch-Reformierten Kirche eine ganz besondere Spezialität, treten hier doch Ensembles auf, die jeweils einen ganz speziellen ethnisch geprägten Gesangsstil pflegen. Georgier, Armenier, Tuwiner, Sarden und viele andere waren im zurückliegenden knappen Vierteljahrhundert schon zu Gast, und der Festivaljahrgang 2023 sieht nun erstmals ein Ensemble aus Albanien am Start. Der Albanian Iso-Polyphonic Choir gehört zu den herausragenden Kulturbotschaftern aus dem Land der Skipetaren – aber so klein dieses auch ist, so haben sich dort doch verschiedene Gesangstraditionen innerhalb der titelgebenden Isopolyphonie herausgebildet, wobei der Chor speziell die aus dem Süden des Landes stammenden pflegt, aber auch Themen des nördlichen Teils nicht komplett außen vor läßt. Die Isopolyphonie, aus thrakischer Zeit stammend und weit über 2000 Jahre alt, zeichnet sich dadurch aus, dass eine Art Bordunton unter ein bis drei Leadgesangslinien liegt, wobei je nach Volksstamm der Bordunton mal den Rhythmen und Strukturen des Leadgesangs folgt, mal unabhängig von diesem agiert. An diesem Abend singt ein in traditionelle Kleidung gewandetes Sextett, das zu Flötenklängen einmarschiert, aber dann nahezu vollständig a cappella agiert. Meist stehen Bardhyl Xhafka, Gramos Burba, Bledi Hoxhaj, Neil Ruçi, Çune Basho und Agim Ramaj in zwei Querreihen zu je drei Personen, wobei die Bordunisten die hintere Reihe einnehmen, aber je nach Anzahl der Leadstimmen auch in der vorderen Reihe ein oder gar zwei Bordunisten vertreten sein können. Meist hören wir aber mindestens zwei Leadstimmen, die nicht selten dialogisch geführt werden, mit allen dramaturgischen Möglichkeiten, die es bei solchen Konstellationen so gibt. In den Dialogen schweigen die Bordunisten nicht selten, aber auch sonst ist der Leadgesang immer klar und deutlich herauszuhören, und nur der Umstand, dass man sich naturgemäß im heimatlichen Idiom artikuliert, verhindert das Verstehen der Texte zumindest beim Gros der Besucher in der vollen Kirche – einige aber, die der Sprache mächtig sind, reagieren sehr angetan und involviert. Die anderen bekommen durch einen Übersetzer zumindest ein paar der Inhalte näher erklärt; die im Programmheft übersetzten Songtitel lassen zudem die grundlegende Themenwahl klarer werden, einzig mit dem Problem, dass die Reihenfolge dort eine völlig andere als die letztlich gesungene ist. Im Allgemeinen wechselt die Dynamik nur in begrenztem Rahmen, innerhalb einzelner Songs aber durchaus in auffälliger Weise. Gleich der Opener „Janines ci pane syte“, die Ermordung eines tyrannischen Paschas schildernd, ist so eine Nummer mit kleinteiligem Dynamikmanagement, oft bedächtig gestaltet, aber gelegentlich auch markant beschleunigend. In „Legjenda e Ago Ymerit“ hören wir einen eigenartig schwingenden Bordun und weichen, fast an gackerndes Federvieh oder aber einen wiehernden Esel erinnernden Leadgesang. „Dale Himariote dale“ weicht dahingehend von der üblichen Struktur ab, dass vier Sänger in der vorderen und nur zwei in der hinteren Reihe stehen, und in „Atje poshteteure e madhe“ an Position 9 übernimmt auch der vorletzte der Sänger einmal eine Leadrolle – der letzte aber tut dies auch während der noch folgenden elf Nummern nicht, sondern ist stets Bordunist. „Legjenda e Quyqes“ gestaltet sich sehr zurückhaltend, fährt aber eine höhere, wohl ein Instrument imitierende Zweitstimme auf und wird mit so viel Applaus honoriert, dass die letzte Phrase als Mini-Zugabe wiederholt wird. Wer aber danach eine Pause vermutet, irrt: Das Programm geht durch. „Bejke bardhe“ beinhaltet einen auffälligen Harmoniewechsel im zweiten Teil, „Vito mu bere ne gjume“ wartet mit einem Flöten-Intro und recht kernigem Gesang auf, wobei die Flöte als Interludium wiederkehrt, und „Mbece more shoke“, eine Nummer aus dem Repertoire des Volksstammes der Tosken, führt den Leadsänger bis in Regionen eines Wagner-Heldentenors. Über das liebliche „Balluket e ballit“ und das dynamisch-flotte „Dallandyshe vogel“ erreicht das Programm mit „Legjenda e ures“, der tragischen Geschichte um den Bau der Burg Rozafati im nordalbanischen Skodhra, die es als „Wandersage“ auch in anderen Kontexten gibt, das Finale „Mike Suljote“, eine sehr fröhliche und mit viel Gestik untermalte Nummer, in der das Publikum dann auch zum Mitklatschen aufgefordert wird. Die Begeisterung im weiten Rund ist groß, und so fällt es nicht schwer, das Sextett noch zu drei Zugabesongs zu „überreden“. „Nelemtearre e madhe“ ist dabei sehr groß angelegt, auch wieder sehr gestenreich und mündet schließlich in einen singenden Ausmarsch, „Kenge arbereshe“, einen flotten B-Teil durch zwei bedächtige A-Teile rahmend, und das kurze und knackige „Do mar ciften“ werden als Grande Finale kredenzt. Das Ganze ist keine Musik, die man als Text-Nicht-Versteher (und ohne bewußtseinserweiternde Getränke) stundenlang am Stück hören könnte – aber für die Konzertdistanz von etwas weniger als 90 Minuten gestaltet es sich äußerst reizvoll, wenngleich man sich durchaus noch mehr Ansagen und Hintergrundinformationen gewünscht hätte, wenn schon mal ein Übersetzer da ist. Aber man muß sich ja noch Steigerungsmöglichkeiten offenlassen, und die erwähnte Vielschichtigkeit der albanischen Gesangstraditionen – es gibt auch rein weibliche Ensembles – eröffnen für weitere Konzerte in folgenden Festivaljahrgängen noch so manche Option. Setlist Albanian Iso-Polyphonic Choir: 1. Janines ci pane syte 2. Dola ne gerxhe ne mal 3. Aman o mike aman 4. Vajze e valave 5. Mu thane syte mu thane 6. Shoke me binilungare 7. Legjenda e Ago Ymerit 8. Dale Himariote dale 9. Atje poshteteure e madhe 10. Legjenda e Quyqes 11. Bejke bardhe 12. Vito mu bere ne gjume 13. Mbece more shoke 14. Balluket e ballit 15. Dallandyshe vogel 16. Legjenda e ures 17. Mike Suljote -- 18. Nelemtearre e madhe -- 19. Kenge arbereshe 20. Do mar ciften Roland Ludwig |
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