Drogen, Gewalt, Kriminalität – Der Rapper Sun Diego erzählt sein „Wert“-loses Leben
Der in der Ukraine geborene Dimitri Chpakov kam 1992 als Dreijähriger mit seiner Mutter und Großmutter nach Deutschland. Durch Kontakte der jüdischen Gemeinde kamen sie nach Osnabrück. Das Leben in bedrängten Verhältnissen änderte sich als seine Mutter eine Beziehung zu einer lokalen Unterweltsgröße aufnahm, die sie dann auch heiratete. Plötzlich war Geld im Überfluss vorhanden. Als Chpakovs Stiefvater zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, war Dimitri noch so jung, dass man ihm das als Krankenhausaufenthalt verkaufen konnte. Chpakov machte nie einen Schulabschluss. Er lebt abwechselnd bei seiner Mutter, seiner Großmutter und auf der Straße. Bereits während der Zeit in der Realschule driftete er ins kriminelle Spektrum ab, wurde zum Kleinkriminellen, der sich mit Betrügereien, Einbrüchen und Diebstählen über Wasser hielt. Als seine Gruppe aufflog, kam der Fünfzehnjährige selber mit 400 Sozialstunden im Osnabrücker Zoo davon, ein älterer Komplize ging für vier Jahre in den Knast. Chpakov begann sich für Deutsch-Rap zu interessieren. Er legte sich erst den Künstlernamen Capri-Sonne, später Sun Diego zu und professionalisiert sich immer mehr. Seinen Durchbruch erzielte er 2013 als SpongeBozz. In Parodie auf die Comic-Figur SpongeBob Schwammkopf siegte er als Battle-Rapper in JuliensBlogBattle. Seine Studioausrüstung und die Produktion seines ersten Albums finanzierte er zum Teil durch harte Arbeit auf dem Bau; zum Teil durch den Einstieg in den Drogenhandel. Sein steiler Erfolg brachte ihn erneut mit dem kriminellen Millieu in enge Berührung. Dieses Mal mit einem libanesischen Familienclan, der u.a. im Türsteher-Bereich aktiv ist. Yellow Bar Mitzvah endet Ende 2017. Bei einer Razzia in Sun Diegos Studio und seiner Wohnung werden größere Mengen Drogen und Waffen gefunden. Der Epilog des Buches sieht den Rapper und Dealer in seiner Zelle in Untersuchungshaft vor einer ungewissen Zukunft. Bereitschaft zur Kriminalität, Drogen- und Alkoholmissbrauch, sowie die Akzeptanz von Gewalt ziehen sich mit völliger Selbstverständlichkeit als rote Fäden durch die Lebensgeschichte, die Dimitri Chpakov mit einem mehr als soliden Selbstbewusstsein schildert. Er ist eigentlich immer der Beste, als Rapper, als Produzent oder als Krimineller. Wenn er seine Betrugsmaschen oder die Art und Weise einen Supermarkt auszurauben schildert, dann klingt heute noch der Stolz darüber mit, wie und mit welchem Erfolg er und seine Komplizen die Aktionen durchgezogen haben. Dass sein libanesischer Freund wegen eines kleinen Streits das Sicherheitspersonal einer Diskothek mit einer Schlägergruppe blutig prügeln lässt lässt, läuft für ihn unter „aufräumen“. Und als ein Freund jemanden brutal zusammenschlägt, weil er sich angeblich despektierlich über jemanden aus der Gruppe geäußert hat, bleibt Chpakov auch dann noch völlig ungerührt, als der auf den bereits hilflos am Boden Liegenden eintritt. Erst als die Türsteher der Diskothek, auf deren Parkplatz die Gewaltorgie stattfindet, aufmerksam werden, stoppt er ihn. Das völlige Fehlen jeder kritischen Distanz gegenüber Gewalt, Drogenhandel oder Kriminalität macht dieses Buch bedrückend und erschreckend. Gut oder schlecht spielt für das Handeln nicht die geringste Rolle, erlaubt oder nicht erlaubt noch viel weniger. Es geht einfach nur darum, was Chpakov nützt und was ihm schadet. Der wichtigste Wert, zu dem er sich bekennt ist der Lamborghini. Und wenn es um „einen Bruder“ geht, ist sowieso alles erlaubt. „Schwul“ als immer wieder eindeutig negativ wertend benutztes Adjektiv hat den Lektor offenbar ebenso wenig gestört, wie die Bezeichnung „Kanaken“ für Türken. Für Chpakov scheint es zwischen den Inhalten brutalsten Gangsta-Raps und seiner persönlichen Lebensgestaltung kaum einen Unterschied zu geben. Enttäuscht hat mich an Yellow Bar Mitzvah insbesondere das, was mich auf dieses Buch neugierig gemacht hatte. Sun Diego verkauft sich ganz gezielt als jüdischer Rapper. Das beginnt beim Titel des Buches, dessen erster Buchstabe im Layout darüber hinaus in Form einer Menora gestaltet ist, geht über einen Satz in Hebräisch, der den Klappentext einleitet, über die Nummerierung der Kapitel mit hebräischen Buchstaben bis hin zu dem Davidstern, der durchgehend als Absatzteiler genutzt wird. Das Judentum spielt in Yellow Bar Mitzvah allerdings kaum eine Rolle. Im ersten Kapitel werden kurz die Synagogenbesuche seiner Großmutter erwähnt und jüdische Speisen, die er eklig findet, aber essen muss. Dann ist es ihm ganz am Ende des Buches (S. 212) völlig unvermittelt „eine Herzensangelegenheit“ sich mit der Single „Yellow Bar Mitzwah“ zu seinem Judentum zu bekennen. Warum? Vielleicht, weil er meint, dass sich Jüdisches im political correcten Deutschland gut verkaufen lässt? Zu der Biographie würde das passen. Norbert von Fransecky |
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