Mahler, G. (Roth, F.-X.)

Titan. Eine Tondichtung in Symphonieform


Info
Musikrichtung: Romantik Orchester

VÖ: 17.05.2019

(Harmonia Mundi / Harmonia Mundi / CD / DDD / 2018 / Best. Nr. HMM 905299)

Gesamtspielzeit: 57:01



KLANGGEDICHT

1893 dirigierte Gustav Mahler in Budapest unter dem Titel Titan. Tondichtung in symphonischer Form die revidierte Fassung seines 1889 uraufgeführten ersten großen Orchesterwerkes, das dann 1896 als "Sinfonie Nr. 1" seine endgültige Gestalt finden sollte. In dieser finalen Form ist die Musik heute weitgehend bekannt.
Nun hat das französische "Originalklang-Ensemble" Les Siècles unter der Leitung seines Gründers François-Xavier Roth für seine Mahler-Premiere auf CD die genannte 2. Fassung gewählt. Diese enthält gegenüber der späteren Sinfonie noch einen fünften Satz, ein "Blumine" übertiteltes florales Idyll, das Mahler später als "Jugend-Eselei" bezeichnet und gestrichen hat (wahrscheinlich, weil es ihn zu sehr an die Widmungsträgerin, eine unglückliche Liebe des Komponisten, erinnerte).
Diese 2. Fassung hatte Mahler gegenüber der ursprünglichsten Version schon vor allem hinsichtlich der Instrumentierung überarbeitet und verfeinert. Auch erkennt man noch deutlicher, dass dem Werk ein Programm zugrunde liegt, das der Komponsit auf die für ihn bereits sehr typische Weise verarbeitet: Hochmusik und derbe Volksmusik, Ironie und Tragik, Naturmystik und Apokalyptik, Monumentalität und Lyrismus, Klangfarbenzauber und ein an Bach orientierter komplexer Kontrapunkt gehen eine unverwechselbare Mischung ein.

Um sich dem spezifischen Klang eines Mahler-Orchesters vom Ende des 19. Jahrhunderts anzunähern, haben die Musiker von Les Siècles tatsächlich ein nahezu komplettes Orchester aus originalen historischen deutsch-österreichischen Holz- und Blechblas-Instrumenten zusammengetragen, während die Streicher auf Darmseiten, teilweise mit Metall umsponnen, spielen. Letztere sprechen leichter an und sind obertonreicher, erstere klingen dunkler, erdiger als die französischen Instrumente aus der gleichen Epoche, decken aber auch im Tutti die Streicher nicht zu.

Ob es nun an den Instrumenten oder der Interpretation liegt: Die Tugenden, die Roths Mahler-Erkundungen mit dem Gürzenich-Orchester auf "modernen" Instrumenten auszeichen, finden sich auch hier: ein breites dynamisches Spektrum vom ätherischen Piano bis zum energischen Fortissmo, Transparenz, Beweglichkeit, kammermuskalische Delikatesse, orchestrale Brillanz sowie Durchschlagskraft bei den dramatischen Gipfelereignissen. Roth vermeidet dabei Übertreibungen, das Grelle wird gleichsam immer noch klassisch-romantisch ausgehört. So ist das Scherzo insgesamt etwas weniger scharf und bissig geraten als bei anderen Interpreten. Wie lebendig aber entfaltet sich die Vision eines endlosen Frühlings im 1. Satz, wie schön und überzeugend natürlich ruft dort der "Kuck-Kuck" in den Holzbläsern! Und wie energisch dürfen sich die Ländler- und Walzermelodien im 3. Sazt "Mit vollen Segeln" austanzen!

Es ist am Ende der atmosphärische, vitale Gesamteindruck, der diese Mahlereinspielung über das philologische Interesse hinaus bemerkenswert macht. Dazu kommt die ausgezeichnete Klangqualität - man merkt der Einspielung nicht an, dass sie an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurde, offenbar im Kontext von Konzertaufführungen. Da die Musiker Lust auf weitere Mahler-Erkundungen haben, wünscht man ihnen bald weitere Gelegenheiten!



Georg Henkel



Besetzung

Les Siècles

François-Xavier Roth, Leitung


 << 
Zurück zur Review-Übersicht
 >>