Attika
When Heroes Fall
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Als für den traditionellen Metal in den Frühneunzigern harte Zeiten anbrachen, orientierten sich auch viele Labels weg von diesem Sound, so dass es für Bands dieses Stils, sofern sie nicht schon einen gewissen Status erreicht hatten, schwer wurde, einen Deal zu ergattern. Just in dieser Zeit gründete sich in Baden-Württemberg ein Label namens Massacre Records, das sich zwar auch nicht auf traditionsmetallische Bands limitierte (man erinnere sich bereits an frühe Signings wie Baphomet oder Silent Death), aber vor allem die US-Metal-Szene nach interessanten Acts durchforstete, die man dann auch hierzulande zu popularisieren trachtete. Der Erfolg dieser Maßnahmen hielt sich rückblickend zwar in Grenzen, und sicherlich mußten die Gewinne aus einschlagenden Veröffentlichungen wie denen von Crematory durchaus auch mal zur Querfinanzierung anderer Releases herhalten, aber die Gourmetmetaller bekamen doch hin und wieder das eine oder andere Schmäckerchen vorgesetzt, auch wenn sich langfristig betrachtet keine der Bands durchsetzen konnte und Forte noch die langlebigsten waren, allerdings nach ihren traditionsmetallischen Anfängen in modernere Gefilde abwanderten.
Eine der via Massacre Records damals an die Oberfläche gespülten Bands waren Attika, und nur die informiertesten Undergroundfreaks werden gewußt haben, dass das 1993 veröffentlichte When Heroes Fall schon das zweite Album des Quartetts war. Das Debüt blieb selbstbetitelt und erschien 1988 nur in Kassettenform als Quasi-Eigenproduktion – etwas weitere Verbreitung fand es erst 2003 mit seinem CD-Re-Release auf Cult Metal Classics, versehen mit zwei Bonustracks. Auch der Zweitling wurde 1991 zunächst nur auf Magnetband veröffentlicht, bevor Massacre auf ihn aufmerksam wurden und ihn 1993 mit verändertem Coverartwork versilberten. In letztgenannter Form fand das Werk dann auch Eingang in den Tonträgerbestand des Damals-Noch-Nicht-Rezensenten, der die CD allerdings nicht käuflich erwarb, sondern beim 1993er Rock-Hard-Weihnachtspoll gewann, nachdem er im Jahr zuvor bei der gleichen Gelegenheit schon ein Massacre-Labelshirt gewonnen hatte, das sich noch heute hier im Schrank befindet und auf der Rückseite in giftgrüner Farbe das damalige Labelroster abbildet (wer erinnert sich noch an Crossroad Jam oder die erwähnten Silent Death?), worunter sich Attika allerdings noch nicht befanden, so dass die Verhandlungen über den CD-Release erst danach, also 1993, zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen sein können.
Tim Hofmann, der die CD damals im RockHard rezensierte, verglich sie mit einer Mixtur aus Liege Lord und Deathwish – da der Rezensent mit dem Schaffen besagter Acts allerdings nur peripher bzw. überhaupt nicht vertraut ist, kann er das nicht verifizieren. Interessanterweise vermieden Massacre im seinerzeitigen Informationsmaterial den Begriff des traditionellen Metal und sprachen statt dessen von Power Thrash mit progressiven Zügen, was schon Hofmann als eher bemüht brandmarkte, zumal auch der von ihm interviewte Gitarrist Joe Longobardi zunächst ebenfalls ängstlich bestrebt war, nicht von traditionellem Metal zu sprechen, bevor Hofmann ihm klarmachte, dass er damit kein gähnend langweiliges Ewiggestrigtum meinte, sondern den Begriff für positiv besetzt hielt. Hört man die dreiviertelstündige Scheibe, wird klar, dass beide Seiten irgendwie recht haben. Auf der einen Seite bietet When Heroes Fall in der Tat eine Art Epic Metal traditionellerer Bauart, auf der anderen Seite finden sich allerdings wirklich einige eigentümliche Rhythmen und Schlenker, so dass die progressiven Züge tatsächlich auszumachen sind – man höre sich nur mal Tempomanagement und Rhythmusstruktur in „Prisoners Of Habit“ an! Power gibt es in epicmetaltypischer Dosierung auch, und für die Thrash-Kante sorgt Sänger Robert Van War, der in einigen Quellen auch als Robert Van Wart firmiert. Egal wie, der Mann shoutet eher, als dass er singt, und bisweilen erinnert er an eine tiefergelegte, aber leider auch nicht so gute Version des Iced-Earth-Ur-Sängers Gene Adam, von dessen hohen Schreien er sich nahezu komplett fernhält. Van Wars Versuche, Melodielinien zu finden, atmen etwa in „Hollow Grave“ ein Moment gewisser Unbeholfenheit, zumal auf instrumentaler Seite mit dem bereits erwähnten Gitarristen Joe Longobardi ein Könner seines Fachs arbeitet, der die vom Sänger angedeuteten Melodielinien dann bisweilen nochmal in richtig hörbare Form „übersetzt“. Möglicherweise bildete der Gesang Hofmanns Gedankenbrücke zu Deathwish, die dem Vernehmen nach ins Thrashlager gehört haben sollen. Instrumental haben wir jedenfalls wohl eher die Brücke zu Liege Lord oder zu Artverwandtem aus dem episch angehauchten Metallager, wozu im übrigen auch die frühen Iron Maiden gehören, die bisweilen hörbar auf das Schaffen Attikas abgefärbt haben, nicht zuletzt auch auf die Baßarbeit Scott Millers, der auf dem neuen Album den auf dem Debüt zu hörenden Dan Rubel abgelöst hatte, während die restliche Besetzung unverändert geblieben war. Miller brachte sich mit „The Shame“ auch ins Songwriting ein – ein mit ultratiefer Stimme gesprochenes Intro leitet einen langen Instrumentalpart ein, aber als man schon glaubt, tatsächlich ein Instrumentalstück serviert zu bekommen, so wie das gitarrenseitig ziemlich einfallsreiche „Exiled“ auf dem Debüt, setzt Van War doch noch ein und macht den Song zu Attika-Normalität. Aus der brechen sie nur einmal aus, nämlich mit dem achtminütigen Albumcloser „Black Rose“, dreieinhalb Minuten dreiertaktige Halbballade, anderthalb Minuten flottes Vierertempo und einen breit ausgewalzten epischen Finalteil zu einem der besten Metalsongs der Frühneunziger koppelnd – und im balladesken Teil zeigt Van War, dass er richtig gut und melodientreffsicher singen kann, was die Frage „Warum erst jetzt?“ auf der Stirn des Hörers aufscheinen läßt und einen Cousin des Damals-Noch-Nicht-Rezensenten zum erstaunten Ausruf „Er kann’s doch!“ animierte. Collin Kock, der das fast gleichzeitig erschienene dritte Sacrosanct-Album Tragic Intense einsang, taugt hier als passender Vergleich, wenngleich er noch eine Qualitätsstufe höher anzusiedeln ist als Van War. Diese großartige Nummer und das summiert knapp zehnminütige Eingangsdoppel „Filming The Tragedy“/„Silent Rage“ erzeugen einen großartigen Rahmen um ein interessantes, mit nicht weniger interessanten Lyrics ausgestattetes Album, das Attika indes auch in der Massacre-Version keinen Schritt weiterbrachte, so dass sie bald darauf in den Mittneunzigern die Aktivitäten einstellten.
Ein reichliches Vierteljahrhundert nach dem Massacre-Re-Release legen Pure Steel Records nun einen weiteren Re-Release vor. Dieser kommt im Remastering von Robert Romagna, woraus ein etwas homogeneres Klangbild entsteht, das allerdings ein wenig die Spitzen aus Longobardis hochinteressantem Leadgitarrensound nimmt – so klang damals kaum jemand sonst, und die einzige entfernte Parallele findet man in einem völlig anderen metallischen Substil, nämlich auf The Astral Sleep von Tiamat, wobei dieses Werk und die originalen Aufnahmen von When Heroes Fall ungefähr gleich alt sind, also keiner vom anderen abgekuckt bzw. abgehört haben kann. Der Re-Release kommt übrigens im originalen Artwork der Kassettenversion daher – da hätte man freilich doch lieber das 1993er Bild, das auch für den 1994er Japan-Release Verwendung gefunden hatte, genommen, denn obgleich auch selbiges nicht das großartigste Kunstwerk seit dem Tod von Rembrandt darstellt, steht es immer noch turmhoch über der ungelenken Zeichnung einer Hexenverbrennung aus dem Stift Longobardis, die ähnlich verunglückt wirkt wie das gleiche Motiv der Banzai-Pressung des Fates-Warning-Debüts Night On Bröcken. Und noch eine andere Komponente der 2019er CD hätte nicht sein müssen: der Bonustrack „Silent Rage“, live mitgeschnitten beim Up The Hammers Festival am 25. Mai 2018 in Griechenland. Der brüllende Reunion-Löwe hat also auch Attika gepackt, und dass der Gig ausgerechnet in Griechenland stattfand, das erstens mit einer historischen Landschaft der Namensgeber für die aus Florida stammende Band war, zweitens aber seit jeher verrückt nach Epic Metal ist, besitzt irgendwie eine logische Konsequenz. Mit Van War und Drummer Jeff Patelski sind noch zwei Mann des alten Quartetts dabei, und Van War klingt jetzt noch eine Portion grobschlächtiger als damals, während Longobardis Gitarrennachfolger Bill Krajewski hörbar Mühe hat, den Anforderungen des Originals gerecht zu werden, wobei Longobardi allerdings auch eine gewisse komplexe Struktur in seine Gitarrenarbeit gelegt hat, die live nicht gerade einfach zu reproduzieren sein dürfte, und der Rezensent hat den Originalurheber auch selbst nie live gehört und weiß nicht, wie der die Aufgabe bewältigt hat. So richtig paßt die Aufnahme jedenfalls nicht zum Albumrest, und so sollte man seinen CD-Player so programmieren, dass er nach Track 9 stoppt. 9 ist übrigens auch die Trackzahl der Massacre-Pressung, aber zwei strukturelle Unterschiede gibt es doch: „Filming The Tragedy“ und „Silent Rage“, die ineinander übergehen, waren dort als ein Track programmiert, während das gesprochene Intro von „The Shame“ einen eigenen Track bildete – das ist im Re-Release nun nachvollziehbarer gelöst: die beiden Songs jeder als ein Track, das Intro dafür in „The Shame“ integriert. Das Gesamturteil bleibt jedoch ganz leicht zwiespältig: Wenn man mit dem Gesang klarkommt, kann man When Heroes Fall für ein kleines Juwel des Epic Metal halten – man kann es aber auch anders sehen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Filming The Tragedy | 4:52 |
2 |
Silent Rage | 4:59 |
3 |
When Heroes Fall | 3:18 |
4 |
Prisoners Of Habit | 5:04 |
5 |
Hollow Grave | 5:41 |
6 |
Deliverer | 4:15 |
7 |
Seventh Sign | 4:34 |
8 |
The Shame | 4:06 |
9 |
Black Rose | 8:04 |
10 |
Silent Rage (Live) | 6:00 |
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Besetzung |
Robert Van War (Voc)
Joe Longobardi (Git)
Scott Miller (B)
Jeff Patelski (Dr)
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