Schlagzeugliebhaber in Zeitlupe: Vier Acts beim Risen From The Depths Of Doom VII in Leipzig




Info
Künstler: Grim van Doom, Leechfeast, Black Mood, Calliophis

Zeit: 31.05.2019

Ort: Leipzig, Bandhaus

Internet:
http://www.bandcommunity-leipzig.org

Unter dem Titel Risen From The Depths Of Doom beleuchtet das Bandhaus Leipzig in unregelmäßigen Abständen die verschiedenen Ausprägungen des metallischen Musizierens in niedriger Geschwindigkeit und bringt die vom Außenstehenden gemeiniglich eher unvermutete eindrucksvolle Vielfalt dieses zumeist wenig massenkompatiblen Spezialistengenres zu Gehör. In und um Leipzig gibt es dafür sehr wohl einen Liebhaberkreis, der sich auch bei anderen Gelegenheiten wie dem Festival Doom Over Leipzig trifft, und so ist der Bandhauskeller an diesem eigentlich eher grillkompatiblen letzten Maiabend zur siebenten Auflage der eingangs erwähnten Festivalreihe ziemlich gut gefüllt.

Ophis hat der Rezensent fast genau sieben Jahre zuvor in Jena im Rosenkeller als Support von Ahab und Esoteric erlebt, und nun sieht er auch die Fast-Namensvettern Calliophis erstmalig auf der Bühne. Das Leipziger Quintett heißt aber nicht nur fast so wie die Hamburger Formation, es klingt auch grundsätzlich ähnlich, so dass, wer die eine Band mag, prinzipiell auch etwas mit der anderen anfangen können sollte. Zu hören gibt es Death Doom der ganz alten britischen Schule, und von den Referenzgrößen dieser Ära passen Paradise Lost am besten als Vergleich. Dabei bauen Calliophis ihren Set dramaturgisch geschickt auf: Der Opener „The Cleansing“ bewegt sich ausschließlich in Schleichgeschwindigkeit, der neue Song „Snow & Liquid Darkness“ fährt im Finale kurz Midtempo in hüpfbarem Groove auf, bei „Krakonos“ ist dieser Midtemposchlußteil noch ein wenig länger, und „Seven Suns“ gerät zum insgesamt flüssigsten Song des Sets, wenngleich natürlich auch er die doomigen Gefilde nicht grundsätzlich verläßt. Die Motiventwicklung aus einer Geräuschwand heraus, wie sie hier im Mittelteil exerziert wird, stellt Calliophis ein sehr gutes songwriterisches Zeugnis aus, auch die zahlreichen Halbakustikelemente werden songdienlich verarbeitet, und generell gerät die Gitarrenarbeit recht harmonieselig. Nachteil dieses Abends: Der Soundmensch bedenkt den Drummer mit viel Aufmerksamkeit, die Gitarren aber sind viel zu matschig abgemischt, um diese Harmonien mehr als nur erahnen zu können. Auch auf den Sänger trifft der Paradise-Lost-Vergleich durchaus zu – Nick Holmes hat sich vor drei Jahrzehnten in ähnlichen Lagen artikuliert, wobei Calliophis den Basser aber gelegentlich eine zweite Stimme beisteuern lassen, die dann im Kreischbereich angesiedelt ist, wobei man besagten Basser rein optisch eher in eine klassische New-Orleans-Sludge-Combo zu stecken geneigt wäre. Gute Band, die man gerne nochmal bei klarerem Sound hören würde.

Setlist Calliophis:
The Cleansing
Snow & Liquid Darkness
Krakanos
Seven Suns

Der Calliophis-Fronter hatte angekündigt, Black Mood würden heute „in großer Besetzung“ spielen, also quasi mit Orchester und so. Das entpuppt sich als Witz – die Schwarzgestimmten treten nämlich als Duo an, sowohl üblicherweise als auch speziell an diesem Abend: Ein langhaariger Rastamann mit Pantera-Shirt sitzt hinter dem Schlagzeug, und ein Langhaariger ohne Rastas, aber mit ausgeprägter Gesichtsbehaarung zeichnet für alles andere verantwortlich, also primär Gesang und Gitarre, sekundär aber auch einen Baßsound, der da hier und dort noch mitläuft, per Signalteilung, Loops oder wie auch immer erzeugt wird und das Gesamtklangbild dann doch voller macht, als die reine Besetzungsschilderung erwarten lassen würde. Bei der „Füllung“ hilft der Umstand, dass Black Mood die mit Abstand schnellste Band des Abends sind und ungefähr genauso viele Akkorde gespielt haben dürften wie die drei anderen Acts in Summe. Trotzdem paßt das Duo problemlos in ein Doom-Billing: Ihr Sludge ist zwar wie erwähnt mit schnellem Gepolter durchsetzt, enthält aber auch viele zähflüssige Parts, und die bilden auch den Höhepunkt des Materials, kann die Band doch hier am meisten Tiefe erzeugen, wenngleich aus den erwähnten technischen Gründen Gitarre und Baß sich wenig differenziert gebärden, so dass markantes Riffing eher Mangelware bleibt, woran freilich auch mal wieder der Sound eine Aktie trägt – auch hier präsentiert sich der Soundmensch als Schlagzeugliebhaber, was zu einem gewissen Vorschmecken im Gesamtmix führt (speziell die Baßdrums hauen alles weg, was sich ihnen in den akustischen Weg stellt) und nicht gerade hilft, den auf den ersten Hör fragmentarischen Eindruck so manches Songs genauer zu entschlüsseln. Der Sänger artikuliert sich zumeist in einem Mix aus Brüllen und Shouten, nur gelegentlich wechselt er ins Kreischfach, und was er einem mitteilen will, bleibt überwiegend im Dunkel, vom Setcloser abgesehen, wo er in appellierendem Gestus verkündet, nicht zu den Sympathisanten von Jesus Christus zu zählen, was dann schrägerweise auch den markantesten Moment des 40minütigen Gigs bildet. Der Publikumszuspruch ist allerdings deutlich besser als bei Calliophis, und etliche Headbanger arbeiten an der Verbesserung der Luftzirkulation im Saal.

Den größten Füllstand erreicht das Auditorium bei Leechfeast, und das, obwohl die Band den extremsten Sound des Abends fährt – oder vielleicht auch gerade deshalb? Auf den Flyern gleichfalls als Sludge angekündigt, haben die Slowenen mit der sumpfig-dreckigen Variante des Dooms wenig zu tun, zumindest wenn man den Set dieses Abends als Maßstab nimmt (der Rezensent kennt ihr Studiomaterial nicht, weder die aktuelle EP Village Creep noch den Full-Length-Vorgänger Neon Crosses). Das Quartett spielt zunächst einen Sound an der Grenze zum Funeral Doom und erinnert in instrumentaler Hinsicht ein ums andere Mal an die legendären Winter – der Sänger artikuliert sich allerdings in völlig anderer Weise, nämlich zwischen Gekreisch und episch-sakralem Klargesang pendelnd. Das Problem besteht nun darin, dass er gegenüber der Gitarre so weit in den Hintergrund gemischt ist, dass man ihn lange Zeit kaum hört – das ändert sich allerdings in der Setmitte: Der Gitarrist hat neben sich ein Effektgerät stehen, und wenn er das bedient, schweigt sein Saiteninstrument. Das passiert in besagter Setmitte über einen längeren Zeitraum, gipfelnd in ausgedehnten Passagen, wo auch der Basser pausiert, der Drummer nur vereinzelte Schläge setzt und das Gebrumm aus dem Effektgerät zusammen mit dem Leadgesang die alleinigen Akzente setzt. Hier wandelt sich das musikalische Geschehen dann klar in die Drone-Richtung, und nur das Setende bietet wieder den gewohnten Winter-Sound des ersten Teils. Vor allem der Drone-Teil erzeugt eine ziemlich nervenzerfetzende Spannung, und der Basser hantiert gelegentlich auch noch mit einem Saxophon herum, das allerdings auch keine saxtypischen Klänge ins Geschehen einbringt, den etwas verschrobenen Gesamteindruck damit bestens unterstreichend. Irgendwann macht der Sänger eine Ansage, die aber wegen des leisen Mikrofons keiner versteht – alle warten also auf den nächsten Song, aber plötzlich geht das helle Bühnenlicht an, und der Set ist zu Ende, was mit verwirrtem, aber doch sehr wohlwollendem Applaus für das Quartett quittiert wird.

Grim van Doom treiben das Konzept der Distanziertheit dann auf die Spitze: Kaum Bühnenlicht, dafür viel Nebel, so dass man die Akteure kaum erkennt – der Gitarrist läßt zudem sein Instrument auch die Songpausen hindurch heulen, so dass man quasi keine Gelegenheit zum Applaudieren bekommt und der Sänger auch kein akustisches Fenster für etwaige Ansagen zur Verfügung hat, außer mal kurz vor dem letzten Song, nachdem der – soviel sieht man dann doch – wie ein Irrer über die Bühne springende Gitarrist tatsächlich mal den Aus-Knopf gefunden und seinem Basser im vorgelagerten Song die Gelegenheit für ein gefühlvolles Intro gegeben hatte. Ansonsten nimmt der Sludge des Quartetts in der Extremitätswertung des Subgenres hohe Werte an, wozu der Sänger sein Scherflein beiträgt, welchselbiger derart hysterisch in sein Mikrofon kreischt, dass selbst beim allerbesten Willen nichts zu verstehen ist. Der auch hier etwas zu laut abgemischte Drummer geht als Running Gag des Abends durch, aber trotz der vorgerückten Stunde sind im etwas geleerten Rund doch noch genügend Spezialisten anwesend, denen die apokalyptische Mischung gefällt, und einzelne Headbanger versuchen ein vernünftiges Mitbangtempo zu finden, bei dem die Haare nicht schon nach dem halben Takt wieder unten sind. Kurz vor Ende der Geisterstunde ist Schluß, eine Zugabe gibt es hier wie bei allen anderen drei Bands nicht, und es fordert auch niemand eine ein – der Abend war auch so anstrengend genug.


Roland Ludwig



 << 
Zurück zur Artikelübersicht
 >>