Der Mensch als Instrument: Humanophones beim A-Cappella-Festival Leipzig




Info
Künstler: Humanophones

Zeit: 11.05.2018

Ort: Leipzig, Haus Leipzig

Fotograf: Holger Schneider (Dreieck Marketing)

Internet:
http://www.a-cappella-festival.de
http://www.humanophones.com

Traditionell wird einem der letzten Konzerte des jeweiligen Jahrgangs des A-Cappella-Festivals ein Programmpunkt vorgeschaltet – die Siegerehrung des parallel zum Festival stattfindenden A-Cappella-Wettbewerbes, eines der bedeutendsten Sprungbretter für junge Genrevertreter, bei dem aber neben dem Wettbewerbs- vor allem der Weiterbildungs- und der Vernetzungscharakter ebenbürtige Bedeutung aufweisen. Dass die Jury sehr hohe Maßstäbe ansetzt, beweist der Fakt, dass 2018 wie schon im Vorjahr trotz allgemein hohen Niveaus der letztlich sieben anwesenden Endrundenteilnehmer aus Deutschland, der Schweiz, Ungarn, der Ukraine und Uganda (zwei weitere waren zwar qualifiziert, haben aber aus gesundheitlichen bzw. organisatorischen Gründen nicht antreten können) kein 1. Preis vergeben wird. Dafür werden sowohl der 2. als auch der 3. Preis jeweils geteilt – auf letzterem landen die Ukrainerinnen United People und die Schweizerinnen Frouwenzimmer, während die Ungarn WindSingers und Aba Taano aus Uganda den geteilten 2. Platz belegen und damit auch das Preisträgerkonzert beim 2019er Festival gemeinsam bestreiten werden. Aba Taano heimsen dazu auch noch den Publikumspreis ein, während der von den Festivalveranstaltern amarcord ausgelobte Sonderpreis für die beste Darbietung eines unverstärkten Songs an die Schweizerinnen dezibelles für „Luegid vo Bärg und Tal“ geht – überhaupt fällt auf, dass gleich fünf der neun Endrundenqualifikanten rein weiblich besetzt sind, während es andererseits mit der Group Imeri aus Georgien nur eine reine Männerformation ins Finale geschafft hat (die dann noch nicht einmal antreten konnte).

Nachdem Jury-Chef Simon Carrington, bekannt als langjähriges Mitglied der King’s Singers, die Preisverleihung in launiger Manier zweisprachig moderiert hat, räumen die glücklichen Gewinner die Bühne und machen selbige frei für den Act dieses Abends: Humanophones. Dahinter verbirgt sich keine feste Formation, sondern ein derzeit zwölfköpfiges Künstlerkollektiv um den Chefdenker und Songwriter Rémi Leclerc, aus denen sich jeweils eine Quintettbesetzung findet, die dann die anstehenden Konzerte bestreitet. Konzept hierbei ist, das perkussive Element zu betonen, ohne das A-Cappella-Grundkriterium des Musizierens ohne Instrumente entscheidend zu verletzen.

Das Beatboxing als Methode, mit vokalen Mitteln Perkussion umzusetzen, gehört heute ja zur Standardausstattung im A-Cappella-Pop, und Leclerc erweitert das Arsenal der Möglichkeiten noch um die sogenannte Body Percussion, also sämtliche Geräusche, die man mit Teilen eines menschlichen Körpers noch so erzeugen kann, angefangen vom simplen Händeklatschen bis hin zu hochkomplexen Geräuschfolgen, die entstehen, wenn man auf bestimmte Körperteile schlägt. Zwei solche Bodyperkussionisten (darunter Leclerc selbst) plus ein Beatboxer gehören jeweils zum aktiven Quintett und stellen jeden Soundmann vor eine interessante Aufgabe, wie er die bodyperkussiven Geräusche abnehmen und abmischen soll, um sie zum einen strukturell glasklar hörbar zu machen, andererseits aber das Eindringen unerwünschter Nebengeräusche zu vermeiden. Eins vorab: Der an diesem Abend am Mischpult stehende Mensch macht seine Sache ausgezeichnet.

Nicht minder schwierig ist die Frage zu beantworten, wie man die Musik der Humanophones beschreiben soll. Sie interpretieren ausschließlich Leclerc-Eigenkompositionen, und diese setzt sich, so das Programmheft, „aus musikalischen Elementen von Pop, Jazz und Funk, Weltmusik und Improvisation“ zusammen. „Silben, Klänge und Rhythmen bauen sich dabei oft zu einer eigenen kleinen Sprache zusammen.“ Hm. Der Leser ist nun aber ähnlich schlau wie vorher. Als vorsichtigen Herantaster an die Klangwelt der Franzosen könnte man das noch in fast konventionellem A-Cappella-Pop, nur eben erweitert um bodyperkussive Elemente siedelnde, relativ kompakte „Meestic Civilization“ ansehen, aber die Band ist selbstbewußt, indem sie diese eher unauffällige Nummer nicht etwa an den Anfang des Gigs packt, sondern mitten im zweiten Teil versteckt. Fast alle anderen Songs (wenn man die Musik des Quintetts mit ebenjenem Wort belegen will) gebärden sich deutlich avantgardistischer, wozu nicht nur das bodyperkussive Element, sondern auch die nicht selten völlig abgedrehten Gesangselemente von Frédérika Alésina ihr Scherflein beitragen. Der Ausdruckswillen erscheint bisweilen übermächtig, und nicht wenige Momente bewegen sich an der Grenze zum Overacting oder überschreiten diese.

Andererseits bewundert man die vokale Kunst und den Einfallsreichtum der Musiker etwa im den zweiten Set eröffnenden „Fee La Belle“, einer akustischen Umsetzung einer Urwaldkulisse, und generell gerät der zweite Set zugänglicher als der partiell sehr abgedrehte erste, der zwar auch seine reizvollen Momente hat (etwa die psychedelischen Momente in „Bulle“ oder die brillante Temposteigerung im Setcloser „Tang“), aber vor allem mit dem Humorfaktor bemüht wirkt und sich teilweise hinzieht wie Kaugummi. Das machen die Humanophones im zweiten Set etwas besser, ohne aber den avantgardistischen Anspruch in Frage zu stellen – aber der Humor wirkt organischer, und das erwähnte „Meestic Civilization“ oder das Rapduell in „Mod’s Mood“ kann das Gros der Hörer besser mit seinen Hörerfahrungen in Einklang bringen. Im Closer des zweiten Sets, „T’es Pas Cap“, wird das Publikum im vollen Saal dann auch noch einbezogen, indem es einen mit einer Glocke vorgegebenen Orgelpunkt summen darf, und im Zugabenteil kommt, nachdem Bodypercussionistin Quelen Lamouroux ein klassisches Drumsolo nachgestellt hat, auch noch ein klassischer Mitsingpart zum Zuge, in dem die Damen im Saal „Yeah, Yeah“ singen, während die Herren mit „No, No, No“ antworten. Das sorgt für Stimmung und so fällt der Applaus insgesamt doch recht enthusiastisch, wenngleich nicht frenetisch aus: Teile der Anwesenden sind sichtbar überfordert von dem musikalischen Gebräu, und auf dem Heimweg meinen beispielsweise zwei Pärchen sarkastisch, sie müßten sich das Konzert jetzt schönsaufen gehen. Aber die Avantgarde wurde seit jeher nicht durchgängig verstanden ...

Setlist Humanophones:
Intro
Shuffle
Bulle
Interlude
Conf
Ouiouioui
Tang
--
Fee La Belle
Miroir
Interlude
Circle Song
Meestic Civilization
Mod’s Mood
T’es Pas Cap
--
Souviens-to De L'Eau
Sowela


Roland Ludwig



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