Ryanair-Flug ab Prag fällt heute aus: Circus Problem in Jena




Info
Künstler: Circus Problem

Zeit: 01.06.2018

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.cosmic-dawn.de

Hinter dem Bandnamen Circus Problem eine schräge Doomband zu vermuten läge nicht allzufern, zumal eine solche auch prima ins Beuteschema des Jenaer Kulturbahnhofs passen würde. Dieser Schluß führt freilich ziemlich weit in die Irre, und um ihm zu entgehen, hat das Sextett auf sein hier auch abgebildetes Promoplakat gleich einige Stilistika geschrieben, die gemäß Eigendefinition zu erwarten sein sollten. Das lockt an jenem quasi sommerlichen Freitagabend eine große Schar tanzlustiger Menschen in den Club und füllt diesen sehr ordentlich.

Freilich haben die Prager eine zentrale Stilistik zu erwähnen vergessen, nämlich den Folk. Unter dem Stichwort „Balkan“ hat man zwar schon so etwas vermutet, aber gemäß gängiger geographischer Meinung gehört die tschechische Hauptstadt noch nicht zum Balkan (selbst wenn schon Konrad Adenauer festgestellt haben soll, Asien beginne in Köln-Deutz, also am rechten Rheinufer), und somit ist auch die zu hörende slawische Folklore noch nicht zwingend so weit südlich anzusiedeln, wenngleich sich durch ihren Mix mit Elementen sogenannter Zigeunermusik (ein hier wertfrei gemeinter Begriff) durchaus ein gewisses südosteuropäisches Flair ergibt, das nicht nur durch die rasch steigenden Temperaturen im Club befeuert wird. Andererseits weist die Klarinette eindeutig in Richtung der klassischen k&k-Folklore und dabei nicht unbedingt in Richtung zu deren südlicheren Vertretern wie den Oberkrainern.
Vielleicht sollte zur Unterstützung der Eigenanalyse des Lesers zunächst das komplette Instrumentarium aufgezählt werden. Neben der Klarinette finden wir auf der Bühne noch ein Akkordeon, eine Posaune, eine Tuba, eine Geige und ein Schlagzeug. Das wirft allerdings weitere Fragen auf – und ja, richtig: Der Tubist übernimmt die Rolle des Kontrabassisten oder Baßgitarristen, wenngleich er sich durchaus nicht nur als Rhythmusgeber begreift, sondern auch in die polyphonen Strukturen der Melodieinstrumente eingebunden ist. Kurioserweise wird letzteres vor allem in den ersten drei, vier Songs deutlich, die noch durch eine gewisse Unausgewogenheit des Sounds gekennzeichnet sind, und außerdem gilt es diverse Kabelprobleme zu beheben. Nachdem das geschehen ist, fügen sich die vorher etwas vorlauten Blechbläser harmonischer ins Gesamtbild ein, und die Rolle des Tubisten ist fortan etwas stärker der Job als Bestandteil der Rhythmusgruppe, wenngleich er sich auch dann nicht auf jene limitiert. Für den vorwärtstreibenden Faktor sorgt allerdings im wesentlichen der Drummer, und Circus Problem legen den Fokus dann auch ganz klar auf die Erzeugung einer flotten Sohle, die vom Auditorium fürs Tanzbeinschwingen dankbar entgegengenommen wird, soweit denn Platz für derartige Aktivitäten bleibt: Der Rezensent befindet sich anfangs in der Mitte des Saals, wird aber ohne eigenes Zutun so weit nach hinten gedrängt, dass er zum Schluß in der letzten Reihe vor den vor der Technikburg plazierten Sesseln steht.
Neben dem Tanzen lohnt sich aber durchaus auch genaueres Hinhören, und das aus mehreren Gründen. Zum einen handelt es sich um offenkundig sehr fähige Musiker, die das eine oder andere technische Kabinettstückchen einflechten. Zum zweiten bastelt die Songwritingfraktion einige durchaus anspruchsvolle Rhythmuswechsel ein, so dass etwa „Money“ plötzlich in einem großen epischen Part landet, dem nur noch eine feiste Rhythmusgitarre fehlt, um als Epic Metal durchzugehen. Zum dritten schließlich ist der Humor der Prager zu beachten, auch der in doppeltem Sinne. Der Sänger, im Zweitjob noch Akkordeonist, liefert in sympathischem Schulenglisch abwegige Ansagen en gros, denen allerdings doch die eine oder andere Hintergrundinformation zu den Songs zu entlocken ist, und damit erschließt sich dann auch besser, warum Circus Problem eine Nummer namens „Fuck You Ryanair“ schreiben oder ein Lied über die Liebe „Money“ nennen. Das Verstehen der Texte hingegen wirft für den durchschnittlichen Besucher nicht selten Probleme auf, denn neben einigen in Englisch ist das Gros im heimatlichen Tschechisch gehalten. Allerdings scheint die komplette böhmisch-mährische Bevölkerung Jenas im Saal anwesend zu sein, und so staunen sowohl die Band als auch die nicht böhmisch-mährischen Besucher Bauklötze, als die Zugaberufe am Setende plötzlich auch lautstark in Tschechisch erschallen. Die Stimmung im Saal ist ähnlich am Kochen wie die Temperatur, und so kommen die fünf Tschechen plus die eine Tschechin (an der Klarinette) den Forderungen mit zwei weiteren Songs natürlich nach. Das Publikum gibt danach aber immer noch keine Ruhe, und so wiederholen Circus Problem, die keine weiteren Songs parat haben, kurzerhand noch einmal eine Nummer aus dem regulären Set und kommen damit wenigstens noch auf etwa 75 Minuten Spielzeit, was für einen Headlinergig ohne Vorband nicht eben viel ist – andererseits sind die Energiereserven des Publikums und der Sauerstoffvorrat im Club nach besagter Zeit auch mehr oder weniger aufgebraucht. Randbemerkung noch zum Sänger (der eine melodisch nicht immer treffsichere, aber sympathische Normalstimme ins Feld führt): Mit Zylinder und Sonnenbrille sieht er kurioserweise Therions Christoffer Johnsson, der zwei Monate zuvor in Jena gastiert hatte (siehe Review auf diesen Seiten), ein wenig ähnlich, aber das dürfte purer Zufall sein ...


Roland Ludwig



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