Wudzdog Open Air 2015: Vier Tage lang Love, Happiness & Rock’n‘Roll
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Das Wudzdog-Festival ist in diesem Jahr das 16. Mal am Start. Die Veranstalter um den Hauptorganisator „Bommel“ und die Dornstädter Gemeinde bieten schon seit langem ein musikalisch sehr abwechslungsreiches Festival mit etlichen Schmankerln. Es handelt sich um ein Event, bei dem Kommerz in dem Sinne nicht stattfindet. Ein Festival-Shirt kostet 15 Euro, ein Bier 3 Euro und jedes alkoholfreie Getränk sage und schreibe 2,50 Euro. Verpflegungstechnisch gibt es alles was das Herz begehrt und die Preise sind sehr human. Die Dornstädter legen hier sehr viel Herzblut in das Festival, das an dem schönen Stöckenweiher stattfindet. Die Atmosphäre ist traditionell friedlich und harmonisch, es sind sehr viele Alt-Hippies und viele Jugendliche da, die hier zum Feiern zusammen kommen. Das Festival dauert vier Tage und kostet mit Camping 36 Euro. Da kann man nicht meckern! Am Festival angekommen wird klar, dass die Veranstaltung heuer sehr gut besucht ist. Beim letzten Festival an dem ich war (2006) waren noch erheblich weniger Leute da. Trotzdem ist die Organisation sehr gut und man kann ca. 30 Minuten Fußweg vom Festival entfernt parken.
Freitag, 05.06.2015
Wo Tags zur vor noch Labrassbandas Manuel Winbeck mit seinen Monobo Son und die reformierten Ton Steine Scherben spielten, bin ich am Festival-Freitag hauptsächlich wegen WISHBONE ASH gekommen. Die Band gefällt mir schon seit etlichen Jahren live sehr gut und ich war gespannt, wie die Kultband bei dem Dornstädter Publikum ankommt. Sie beginnen pünktlich wie die Maurer um 22.30 Uhr. Im Vorfeld war in den lokalen Zeitungen zu lesen, dass sie das Programm der Tour im Frühjahr spielen, bei der das legendäre Live Dates-Album komplett gespielt wird. Doch es kommt teilweise anders als erwartet. Powell und seine Band fangen nicht mit neuen Songs an, sondern lassen gleich zu Beginn ihre Klassiker vom Stapel. Das wäre, als würden Deep Purple gleich als ersten Song „Smoke On The Water“ spielen. Die Entscheidung der Band geht jedoch hundertprozentig auf. Dornstadt geht vom ersten Song an mit. Es wird getanzt, mitgesungen und mitgerockt, dass es eine wahre Freude ist. Ich bin in der Früh noch vom Urlaub aus dem Spreewald zurückgefahren und eigentlich total platt, aber mich hält auch nichts mehr. Die Musik steckt sofort an.
Wishbone Ash haben heute einen hervorragenden Tag erwischt. Sämtliche Musiker sind bis in die Haarspitzen motiviert. Sie präsentieren sich rockiger und wuchtiger, als im Januar in Augsburg. Im Publikum befinden sich auch sehr viele junge Zuhörer, die dem ganzen ebenfalls begeistert lauschen und sich von dem Groove der Musik anstecken lassen. Es gibt fast keine Ansagen, die Songs gehen ineinender über. Nach „Throw Down The Sword“ kündigt Powell ein paar neue Stücke an, die beim Publikum ebenfalls sehr gut ankommen. Der Blues „Baby What You Want Me To Do” funktioniert prächtig. Die Fans tanzen reihenweise und feiern die Briten nach allen Regeln der Kunst ab. Das hat Auswirkungen, die man bei den Musikern normalerweise so nicht sieht. Kostproben gefällig? Gitarrist Muddy Manninen lacht sogar ein paar mal, was wirklich selten vorkommt. Bassist Bob Skeat imititiert ein paar Mal Michael Jacksons „Moonwalk“, bei dem er von links nach rechts über die Bühne schwoft. Und Andy Powell animiert das Publikum mehrfach zum mitsingen und mitklatschen, was ich in dieser Intensität von ihm auch noch nicht erlebt habe.
Bei den epischen Songs wie „Phoenix“ oder „The Pilgrim“ hatte ich die Befürchtung, dass die Fans hier reihenweise zum Bier holen gehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Fast andächtig lauscht das Publikum den gezeigten Gitarrenkünsten, die einfach nur magisch sind. Wie Manninen und Powell sich hier bei den Solos die Bälle gegenseitig zuspielen, ist perfekt und nicht von dieser Welt. Bob Skeat und Schlagzeuger Joe Crabtree sorgen für einen gefühlvollen Dampfhammer-Groove, wie man ihn nicht alle Tage findet. Skeat gehört zu den absoluten Großmeistern seines Fachs und tut das, was ein guter Bassist tun muss: Er unterstützt das Schlagzeug. Das kommt an diesem Abend mehr als eindrucksvoll zur Geltung. „Living Proof“ steigert sich zur reinen Party-Hymne, bei der die Post abgeht. „Blowin’ Free“ und das zünftige „Jailbait“ sollten eigentlich den regulären Abschluss eines phänomenalen Konzertes sein, aber Dornstadt gibt nicht auf und bekommt dann mit „Open Road“ noch eine Zugabe.
Nach 105 Minuten verlassen Wishbone Ash sichtlich beeindruckt und gerührt die Bühne. Das Konzert war ein sehr gutes Beispiel dafür was passieren kann, wenn der Funke von der Band aufs Publikum überschwappt. Grandios! Auch hier lassen sich die sympathischen Wishbone Ash nicht lumpen und geben eine Viertelstunde nach ihrem Auftritt eine Autogrammstunde, bei der eine junge Festivalbesucherin möchte, dass die komplette Band auf ihrem hautengen Shirt unterschreibt. Hier merkt man den Veteranen an, dass dies wirklich nicht nach jedem ihrer regulären Konzerte vorkommt. Aber auch diese Aufgabe löst das Quartett mit Bravour!
Setlist Wishbone Ash:
1.The King Will Come
2. Warrior
3. Throw Down The Sword
4. Blue Horizon
5. Way Down South
6. Baby What You Want Me To Do
7. The Pilgrim
8. Living Proof
9. Phoenix
10. Blowin Free
11. Jailbait
12. Open Road
Samstag, 06.06.2015
SIENNA ROOT kannte ich bis jetzt noch nicht. Die Band wurde mir jedoch von einem fachkundigen Freund sehr ans Herz gelegt. Die Schweden, die 2006 schon einmal auf dem Festival zu Gast waren, sehen optisch so aus, als wenn sie direkt den 70er Jahren entstiegen sind. Bassist Sam Riffer hat einen blauen Rickenbacker-Bass und eine Kutte, wie sie einst Messiah Marcolin von Candlemass getragen hat. Auch von der Frisur sieht er dem wuchtigen Frontmann nicht unähnlich. Keyboarder Erik Petterson spielt ein Uralt-Gerät, das klanglich bedrohlich nahe einer Hammond B3 kommt. Und auch der Rest kleidet sich im Vintage-Look und spielt auch so - herrlich altmodisch!
Die Songs pendeln zwischen Liedern von Uriah Heep und Deep Purple, manchmal noch mit einer gehörigen Portion Black Sabbath. Gerade von den Riffs her sind sie den Jungs aus Birmingham nicht gerade unähnlich. Einige Songs erinnern mich an Deep-Purple-Perlen wie „When A Blind Man Cries“, „Demon’s Eye“ (vor allem vom Anfang her), „Lazy“ und „No One Came“. Uriah Heeps „Gypsy“ hört man auch noch ein kleines bisschen raus. Manchmal schimmern auch die Doors durch - z. B. bei der hervorragenden Nummer „The Kitchen“. Eine enorme psychedelische Klangwelle, die einen da von der Bühne aus erreicht. Sänger Jonas Ahlen mit dem witzigen Künstlernamen „Joe Nash“ hat eine Klassestimme und eine ziemlich beeindruckende Bühnenpräsenz. Ich kenne bisher keins der Lieder, aber der Gig ist äußerst kurzweilig und musikalisch hochspannend. Vor allem Keyboarder Erik Petterson sorgt mit seinen musikalischen Nebelschwaden und seiner imposanten Spielweise für enormen Druck und einem gewissen „Sägefaktor“ im Sound. Richtig kultig wird es, als er sich mit Gitarrist Matte Gutsavsson Duelle wie einst Ritchie Blackmore und Jon Lord liefern. Das kommt beim Hippie-Publikum erwartungsgemäß sehr gut an und peitscht die Musiker noch mehr zum Improvisieren an. Nach 90 Minuten gehen die spielfreudigen und sympathischen Schweden unter großen Beifallsbekundungen von der Bühne. Die Jungs sind auch wenige Minuten nach dem Auftritt am Merchandising-Stand, wo sie Autogramme schreiben und sich mit ihren Fans unterhalten. Im Laufe des Abends kann man das sympathische Quintett noch desöfteren in Feierlaune über das Festivalgelände schlendern sehen.
Die Hip-Hop- Bläser-Fraktion MOOP MAMA begeistert das tanzwütige Publikum und reißt es förmlich zu Begeisterungsstürmen hin. Meine Musik ist es nicht, aber ich bin schwer beeindruckt von der Bühnenpräsenz vor allem des Sängers und der Stimmung, die diese Formation auslöst. Die kritischen und nachdenklichen Texte sind gerade an diesem Wochenende, bei dem der G7-Gipfel weltweit in den Nachrichten ist, Aufsehen erregend. Mehrfach sind politische Botschaften enthalten, die wachrütteln und einen zum Nachdenken anregen. Rein optisch ist es schon imposant, wenn die ziemlich zahlreiche Truppe loslegt und dabei so enthusiastisch zu Werke geht. Wahnsinn!
Zwischen den Auftritten sorgt PICHI mit Coversongs von Jimi Hendrix und Led Zeppelin auf der kleinen Nebenbühne für Unterhaltung. Etliche nutzen die Zeit, um sich bei den äußerst originellen und vielseitigen Ständen umzuschauen oder bei dem reichhaltigen und günstigen Essensangebot einzudecken.
Danach leert sich der Platz vor der Bühne bedrohlich. Ich habe beinahe schon Angst, dass KEN HENSLEY ein „Wohnzimmerkonzert“ spielen muss, bei dem fast keiner mehr zuhört. Langsam füllt sich jedoch der Platz wieder. Ken Hensley und seine Band lassen es sich nicht nehmen, den Soundcheck persönlich durchzuführen. Die Spannung steigt im Publikum und natürlich auch bei mir. Ich freue mich riesig auf den Auftritt dieser Legende. Ich habe Ken Hensley damals noch mit seiner Band Free Spirit 2002 in der Augsburger Rockfabrik gesehen und den Auftritt noch in sehr guter Erinnerung.
Das Intro geht los und die Band und der Mastermind himself kommen auf die Bühne. Für seine 69 Jahre hat er sich erstaunlich gut gehalten und winkt mit meterbreitem Lächeln in das erwartungsfrohe Publikum hinein. Er setzt sich an seine Orgel und das Spektakel beginnt. Anstatt auf Nummer Sicher zu gehen und gleich mit einer Uriah-Heep-Nummer los zu legen, startet das Konzert mit Songs neueren Datums. Mit dem sehr harten „Ready To Die“ und „The Curse“ vom Album „Faster“ knallt er der Menge erst einmal ein paar richtig hart und wuchtig gespielte Granaten vor den Latz. Dabei ist der Sound vor allem vor der Bühne sehr laut und drückend. Der Applaus ist zu Beginn erwartungsgemäß eher verhalten, da ein Großteil des Publikums doch eher mit einer Art „Uriah Heep Revival Show“ gerechnet hat. Diesen Gefallen tut ihnen Hensley jedoch bewusst nicht, was ich sehr gewagt finde. Beide Songs werden von dem neuen Sänger und Bassisten Roberto Tiranti gesungen, der eine Hammerstimme besitzt und mit etlichen David Byron-Gedächtnisschreien begeistert.
Als Hensley mit der Orgel die Anfangstöne von „Circle Of Hands“ spielt, hat er das Publikum natürlich sofort fest im Griff. Diesen Klassiker kennt ein Großteil der Anwesenden. Entsprechend gut kommt der geniale Song an. Beim nächsten Lied kommt die erste Ansage. Es handelt sich um „July Morning“! Hier bin ich im seligen Hammond-Himmel und genieße vor allem die tollen Orgel-Passagen in vollen Zügen. Leider ist das nicht jedem möglich. Der Typ hinter mir bequatscht dauernd in ohrenbetäubender Lautstärke die Mädels um ihn rum, welche denn auf seine Schultern sitzen möchte. Dies nervt mich, der ich doch ein geduldiger Mensch bin, so dass ich ihn darum bitte, doch endlich mal die Klappe zu halten. Etlichen um mich herum geht es genauso, bloß sagt keiner was. Der Trottel wird später noch von der Security herausgezogen, da er bei einem Mädel versucht, den BH zu öffnen, als sie auf seinen Schultern sitzt. Wirklich sehr originell! Schon vorher wechsle ich entnervt den Standort und kann nun das Konzert mit anderen echten „Musikfans“ zu Ende genießen.
Und Highlights gibt es noch einige während der 90 Minuten. „The Wizard“ wird zum fleischgewordenen Hippie-Traum, in dem Hensley sogar im Text zweimal das Wudzdog-Festival einbaut. Gesanglich bin ich von Ken Hensley sehr positiv überrascht. Bei dem 2013 erschienenen Live-Album wurden viele Passagen von dem mittlerweile ausgestiegenen Eirikur Hauksson übernommen. Heute abend übernimmt dies zu großen Teilen der Meister selbst, was schon für einen enormen Gänsehautfaktor sorgt. Die neueren Songs singt eher wieder Roberto Tiranti, ebenso höhere Passagen. Seine Begleitmusiker sind über jeden Zweifel erhaben. Die Rhythmusfraktion mit Schlagzeuger Tom Arne Fossheim und Bassist Roberto Tiranti treiben die Klassiker ein bisschen knalliger aus der Mottenkiste wie gewohnt, was jedoch in Ordnung geht. Die Songs behalten ihren ursprünglichen Charakter und werden nicht, wie bei der aktuellen Uriah-Heep-Besetzung von Schlagzeuger Russel Gilbrook zu Tode gedroschen. Gitarrist Sid Ringsby spielt gut, lässt mir jedoch mit seinen übertriebenen Posen und seinem Herumgespucke ein bisschen zu sehr den Rockstar raushängen. Die eigentliche Hauptperson jedoch ist und bleibt Ken Hensley. Er selbst ist jedoch sehr zurückhaltend und eher stolz auf seine Band, denen er ab und zu auch applaudiert.
Für mich ist es ein beeindruckendes Erlebnis zu sehen, wie der bald 70-Jährige mit einer riesigen Begeisterung seine Orgel bearbeitet und dabei seine immer noch sehr zottelige Matte dazu schüttelt. Er freut sich, dass seine Songs immer noch beim Publikum ankommen und das spürt man auch. Manchmal lässt er sich jedoch zwischen den Songs ein bisschen zu viel Zeit, in dem er herumklimpert und mit der Band improvisiert. Das finde ich bei 90 Minuten Spielzeit schade, hier hätte man locker noch einen oder zwei Songs mehr (z. B. „Rain“ oder „Look At Yourself“) spielen können. „Lady In Black“ mit der Originalstimme gerät zum Triumphzug, was hier abgeht ist einfach nur genial. Ein überwältigendes „Gypsy“, bei dem Hensley noch einmal seine Orgel nach allen Regeln der Kunst röhren und wummern lässt, beendet einen seltenen und legendären Auftritt, der so schnell sicher nicht wieder zu bestaunen ist. Das Wudzdog-Publikum ist völlig aus dem Häuschen und verabschiedet sich rührend von dem Altmeister und seiner Jungspund-Truppe.
Einziger Kritikpunkt meinerseits: Mir hätten ein paar Solo-Nummern wie „Out Of My Control“, „Brown Eyed Boy“ oder „Blood On The Highway“ besser gefallen als die gespielten, aber das ist natürlich reine Erbsenzählerei. Leider gibt es keine Autogrammstunde mehr. Der Wind wird immer schlimmer und es wurde für das Gebiet eine Sturmwarnung ausgegeben. Der Veranstalter weist das Publikum darauf hin, den Platz vor der Bühne zu räumen, um vor eventuell umstürzenden Bäumen sicher zu sein. So schlimm scheint es uns gerade zwar nicht, aber wir suchen langsam das Weite.
Setlist Ken Hensley:
Ready To Die
The Curse
Circle Of Hands
July Morning
The Wizard
The Last Dance
Stealin‘
Easy Living
Lady In Black
Gypsy
Fazit: Ein tolles Festival, was Meister Bommel und sein Organisationsteam wieder aus dem Boden gestampft haben, ist leider schon wieder viel zu schnell vorbei. Bleibt zu hoffen, dass es auch 2016 wieder stattfindet und sich die Organisatoren dem Motto: „Keinen Kommerz“ treu bleiben.
Stefan Graßl
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