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Anarchie im Bücherregal: "Anger is an Energy" - die Biografie von John Lydon
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John Lydon - der Welt vielleicht besser bekannt als Johnny Rotten - geht jetzt auch schon sehr steil auf die Sechzig zu. Zeit also seine Memoiren zu schreiben. Das hat er aber schon vor rund zwei Jahrzehnten mit No Irish, No Blacks, No Dogs getan - möchte man meinen. Doch Anger is an energy zäumt das Pferd noch einmal komplett von vorne auf und beschäftigt sich nicht zum großen Teil mit den Sex Pistols. Nein, auf über 600 Seiten breitet John Lydon sein komplettes Leben aus.
Und das auf einen Art und Weise, wie man sich den Mann auch in echt vorstellt: als euphorisches Plappermaul. Das Buch liest sich so, als würde Lydon kurz in sich gehen und dann einfach ohne Punkt und Komma vor sich hin reden. Manchmal springt er dabei immer wieder etwas von hinten nach vorne, er schweift ab und zaubert andere Anekdoten aus dem Hut. Aber doch hält er sich chronologisch an seine Biographie.
Und diese ist durchaus ereignisreich. Als Kind irischer Einwanderer in London geboren, sind es vor allem Jahre von Armut und Gewalt auf den Straßen, die den kleinen John prägen. Noch viel mehr als er in jungen Jahren an Meningitis erkrankt, mehrere Monate im Koma liegt und danach alles neu erlernen muss. Was er dabei mitnimmt, ist aus Wut Energie ziehen zu können, was gut genug als Buchtitel für ihn ist. Als Keimzelle für seinen revolutionären Geist entpuppten sich ausgerechnet die Jahre auf katholischen Schulen, in denen er auch einen gewissen Sid Vicious kennen lernte.
Die Jahre mit ihm, mit Drogen, Rumtreiberei in den Clubs der Stadt und Hausbesetzerei münden schließlich in der Mitgliedschaft der Sex Pistols, einem der größten Missverständnisse der Musikgeschichte. Schließlich waren sie anfangs nicht viel mehr als eine Castingband, ein Vehikel ihres Managers Malcolm McLaren, der das Ganze als eine Art Werbemittel für den Klamottenladen „Sex“ sah, den er zusammen mit Vivienne Westwood betrieb. Lydon lässt auch dieses Mal kein gutes Haar an McLaren und auch Westwood.
Am Ende nehmen die Pistols-Jahre allerdings nicht den größten Teil des Buches ein, das definitiv keine Geschichte über die Punkbewegung, sondern ganz allein die Geschichte seines Protagonisten ist. Denn es passierte auch sehr viel Erzählenswertes in Lydons Leben nach dem Tod von Sid Vicious. Vor allem die Geschichte von Public Image Ltd. nimmt einen großen Raum ein. Aber auch die Jahre als Fernsehclown im Dschungelcamp oder als Moderator von Tierdokus kommen nicht zu kurz. Dabei wird immer wieder klar: was Lydon tut, das tut er mit viel Leidenschaft, Eifer und Liebe. Dabei stellt er sich stets als loyaler Mensch mit klaren, liberalen Werten dar.
So zeichnet sich das Bild eines nicht einfachen, im Herzen geradlinigen und immer wieder durchaus sympathischen Charakterkopfs. Streitbar bleibt der Mann auch nach diesem Buch. Doch man ist ihm ein Stück näher gekommen. Zumindest wenn man die Arbeit auf sich nimmt, diesen dicken Schinken zu lesen, der durchaus Geduld verlangt.
Mario Karl
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