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DER ORCHESTRIERTE KÖRPER. MORTON FELDMANS OPER „NEITHER“ IN DER CHOREOGRAPHIE VON MARTIN SCHLÄPFER IN DER OPER DÜSSELDORF
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Ob Morton Feldman, diesem hochsensiblen Meister feingewobener Klangpatterns, eine choreographische Inszenierung seiner Oper Neither zugesagt hätte? Möglicherweise hätte er sich an der unvermeidlichen physischen Komponente und der damit verbundenen Unruhe gestoßen. Allerdings gelingt es der Compagnie von Martin Schläpfer trotz der zahlenmäßig starken Besetzung und des intensiven Körpereinsatzes, die Nebengeräusche auf ein Minimum zu begrenzen. So setzten sie vor allem einen optischen Kontrapunkt zu Feldmans Musik, die im Fall seiner einzigen Oper zwar häufig delikat, nicht weniger oft aber auch nicht ganz so zart und entrückt klingt, wie man es bei diesem Komponisten eigentlich erwartet. Feldman hatte eben Prinzipien, aber er folgte keinen Klischees. Allerdings ist seine Oper weniger ein musikalisches Theater denn ein szenisches Klangbild ohne Handlung.
Auf einen kurzen, vieldeutigen Monolog von Samuel Beckett über Licht und Schatten, Selbst und Un-Selbst hat er eine kongeniale Zwielicht-Musik für ein groß besetztes Orchester komponiert, die atmosphärisch mitunter sehr unheimlich, dräuend, ja sinister daherkommt, wie ein abstrakter Alptraum. Keimzelle des Werkes ist ein kleines chromatisches Feld, das immer neu entfaltet und orchestriert wird, ohne dass es eine eindeutige Entwicklung oder formalen Prozess gäbe. So unvermittelt, wie die rätselhafte Musik eingesetzt hat, verstummt sie nach rund 60 Minuten auch wieder. In Düsseldorf setzten die Düsseldorfer Sinfoniker unter Dante Anzolini die enigmatische Partitur mit viel Gespür für die eigentümlichen Klangwirkungen um. Ein instrumental geführter Sopran intoniert in höchster Lage die Worte Becketts, die meist unverständlich bleiben und der Musik lediglich eine weitere Farbe und ein weiteres Ornament hinzufügen. Da war es nur konsequent, dass die Sängerin (beeindruckend klangrein: Marlene Mild) für das Publikum unsichtbar im Orchestergraben auftrat.
Wie einer derart hermetischen Komposition begegnen, die sich der traditionellen Opernästhetik konsequent verweigert? Die Düsseldorfer Inszenierung eröffnete zwei sich ergänzende Perspektiven auf das Werk: Eine abstrakte Bühnenbild-Installation von rosalie orientiert sich an der relativen Statik der Musik. Das rechteckige, in zellenartige Kompartimente unterteilte Objekt, das im Hintergrund schwebt, wurde durch diskrete Projektionen in kaum merkliche, organisch atmende „Bewegungen“ versetzt – virtuelle Metamorphosen. Das Objekt erinnerte an Kunstwerke des Abstrakten Expressionismus, dem Feldman Ästhetik so viele Impulse verdankt. Anders die Tänzerinnen und Tänzers aus Schläpfers Truppe: Sie antworteten auf die reduzierte Musik mit einer reichen, ausgesprochen individuellen und körperbetonten Choreografie. Diese reagierte auf die Zwischenräume, die die Musik eröffnet, vermeidet aber wie diese praktisch alles Narrative und Anekdotische. Konkrete Abstraktion, sozusagen. Schläpfers Truppe geht bewusst frei und assoziativ an die Musik heran. Es gibt trotz einiger Wiederholungen keine getanzten Muster, die Feldmans Musik abbilden würden. Der Berührungspunkt liegt eher in der Art, wie Schläpfer die Körper und ihre Bewegungen „orchestriert“ und "durchspielte – so wie Feldman seine Klänge orchestriert. Schläpfers Choreographie ist also weniger eine Inszenierung der Musik als ein Kommentar dazu – mit den hochformalisierten Mitteln des Tanzes.
Dass die beiden Ebenen im Ganzen zueinander finden und sich in ihrer Wirkung intensivieren, gehört zu den Stärken dieser Produktion. Dass sie im Rahmen einer reprise.02 ihren Weg erneut auf die Bühne der Düsseldorfer Oper gefunden hat, ist ein echter Gewinn!
Georg Henkel
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