Musik an sich


Reviews
Bach, J. S. (Dubreuil)

Clavierübung I (Partiten für Cembalo BWV 825-830)


Info
Musikrichtung: Barock Cembalo

VÖ: 23.05.2008

(Ramée / Codaex / DDD 2007 / Best. Nr. RAM 0804)

Gesamtspielzeit: 159:31



WO BLEIBT DER HUMOR?

Der Tanz und seine vielfältigen Rhythmen sind in der Barockmusik allgegenwärtig. Das gilt auch für die Musik von J. S. Bach. Wie viele seiner Kollegen pflegte er die barocke Form der Tanz-Suite, um Allemanden, Couranten, Sarabanden und Guigen gleich mehrfach repräsentativ gebündelt in Sammlungen herauszubringen. Und wie so oft in seinem Schaffen erkundet er dabei die Möglichkeiten eines bestimmten Genres und führt sie in zeitlos gültigen Lösungen vor.
Der 1. Teil seiner Clavierübung war so ein Projekt: 6 Partiten – „Teilungen“ – mit jeweils sechs bis sieben Tänzen für ein Tasteninstrument, die Bach 1731 im Druck veröffentlichte. In ihrer Verbindung von Einfallsreichtum, subtiler Ausschöpfung spiel- und klangtechnischer Möglichkeiten sowie der idealen Balance von Eingängigkeit und Anspruch nehmen sie einen Spitzenplatz unter Bachs Werken ein. Mag die Musik auch im barocken Tanz wurzeln, so ist doch das, was es da zu hören gibt, kompositorisch derart verfeinert und ausdifferenziert, dass man fast schon von Stimmungs- oder Charakterstücken sprechen möchte.

Heute werden diese erlesenen Stücke entweder auf einem modernen Flügel oder historischen Cembalo dargeboten. Beides hat seine Berechtigung. Der französische Cembalist Pascal Dubreuil verwendet ein klangvolles und farbenreiches Instrument nach einem Modell aus der Werkstatt von Hans Ruckers II, einem Meister des 17. Jahrhunderts: im Anklang satt und leuchtend, mit einem brillanten Messing-Timbre im Diskant und Fagottfarben im Bass.
Auch tontechnisch herrschen bei dieser Produktion optimale Voraussetzungen. Der Klang ist präsent und direkt, aber nicht aufdringlich. Man hört, wenn Dubreuil umregistriert, aber das spricht für die Detailgenauigkeit der Klangabbildung und ist kein Manko.
Mühelos übertrifft die Aufnahme darin meine persönliche Referenz, die Interpretation von Trevor Pinnock, die im Rahmen der Bach-Edition bei Hänssler Classics veröffentlicht wurde. Pinnocks Aufnahme klingt gut, aber längst nicht so plastisch und reich wie diejenige Dubreuils. Sie hat aber andere Vorzüge, vor allem eine geschmeidige, pulsierende Virtuosität. Pinnocks Tempi sind durchweg schneller als diejenigen, die Dubreuil bei seiner Deutung bevorzugt.
Der Franzose arbeitet mit einer detailfreudigen Artikulation. Dennoch ist sein Bach in erster Linie ernst, erhaben, durchgeistigt. Pinnock betont darüber mehr das Spielerische, auch Humorvolle der Musik und hat offenkundig Freude daran, ihre musikantischen Energien freizusetzen. Dubreuil legt sich da für meinen Geschmack zu oft Zurückhaltung auf. Ein Beispiel: Das in seiner stillen Einfachheit betörende Eröffnungs-Praeludium der Partita 1 wirkt wie mit angezogener Handbremse gespielt. Die beschließende Giga derselben Partita ergibt aufgrund des langsamen Tempos für die Ohren nur ein monotones Webmuster, statt ein sinnenverwirrendes Kaleidoskop sich überlagernder Bewegungen. Solche Stücke, in denen die Musik ausgebremst wirkt, finden sich immer wieder, z. B. die steife Fantasia in der 3. Partita oder ebenda die recht brave Burlesca.
Wo Dubreuil diese Zurückhaltung aufgibt oder ihm die Musik Bachs entgegenkommt, gelingen ihm dagegen ausdrucksvolle Darbietungen wie bei der Sarabande aus der Partita Nr. 6. Auch die umrahmenden Stücke, Corrente, Air und Gavotta, geraten mit ihrer organischen Rhythmik sehr stimmig. Ebenso überzeugt die Partita Nr. 4, weil hier Tempi und Artikulation viel ungezwungener erscheinen. Schade, dass der Interpret die Zügel sonst lieber fest hält und der souveränen Virtuosität von Bachs Musik nicht so recht nachgeben möchte.



Georg Henkel



Trackliste
1CD I (Partita I, II, VI)77:35
2 CD II (Partita III, IV, V)81:56
Besetzung

Pascal Dubreuil, Cembalo nach einem Modell von Hans Ruckers II (1624)


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