Kansas und Styx
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Künstler: Kansas und Styx
Zeit: 07.06.2005
Ort: Berlin, Columbiahalle
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Egal ob man das Stück liebt oder hasst, ein Styx-Konzert ohne „Boat on the River“ ist kaum vorstellbar. Zu deutlich dominiert die Hitsingle, mit der sich die Chicagoer 1979 auf der europäischen Szene etabliert haben, die kommerzielle Erfolgsgeschichte des Quintetts. Umso überraschender die Ansage von Tommy Shaw, dass die Band den Song sehr selten live spiele. Aber in Amerika verlief die Bandgeschichte anders. „Boat on the River“ ist dort nie als Single erschienen und weitgehend unbekannt. Die Aufnahme des Mandolinenstücks ins Live-Programm war allerdings eine der wenigen Konzessionen ans Berliner Publikum. Die drei deutschen Erfolgsalben Cornerstone, Paradise Theater und Kilroy was here wurden eher stiefmütterlich berücksichtigt. Außer dem „Boat“ gab es lediglich zwei komplette und drei angespielte Stücke im Rahmen eines 18-Track-Medleys. Dem Publikum war es egal oder sogar recht. Lauthals gefordert wurden ältere Stücke, wie „Fooling yourself“, das dann kurz vor Abschluss des regulären Sets mit einer Überraschung begann. Ex-Bassist Chuck Panazzo enterte die Bühne und vergrößerte den Anteil der Original-Styxe für einige Songs zum Trio. Um den Original-Sound zu reproduzieren war Panazzo aber eigentlich gar nicht nötig. Die Konzentration auf die frühen Jahre bescherte der Columbia-Halle ein klassisches 70er Jahre Hard-Rock-Konzert, das perfekt inszeniert wurde. Wohl kaum einer der Anwesenden dürfte dabei groß daran gedacht haben, dass die Band zu 60 Prozent aus Neulingen bestand.
Wenn etwas am Sound neu war, dann die Stimme von Tommy Shaw. Seinen sympathischen jungenhaften Charme hat er sich erhalten, aber der Gesang kam ungewohnt hoch, etwas dünn und geriet dabei gelegentlich etwas quäckig. Aber das waren Peanuts angesichts einer Band, die auf allen Positionen hochprofessionell und überzeugend agierte. Tommy Shaw gab die Rolle des Frontmanns immer wieder an den Gitarristen und zweiten Ur-Styx James Young oder den neuen Keyboarder und Sänger Lawrence Gowan ab. Letzterer tobte wie ein Derwisch um das um 360° drehbare Keyboard herum. Teilweise wirkte das wie Rock’n’Roll mit Überschlag. Irgendwann hockte er sogar auf dem Instrument, um in die Menge zu singen. Young und Shaw gaben sich daneben keine Blöße. Jeder Zentimeter der großen Bühne wurde ausführlich genutzt. Sollte irgendwer vor dem Konzert noch Fragen gehabt haben, warum diese Band in ihren guten Tagen die großen Stadien gefüllt hatte, dürften sich die schnell in Wohlgefallen aufgelöst haben.
Bei aller Klasse konnten die pünktlich um 20 Uhr an den Start gegangenen Kansas, meine eigentlichen Favoriten des Abends, damit nicht mithalten. Auch hier teilten sich drei Musiker die Rolle im Spotlight. An erster Stelle natürlich Robby Steinhardt, der mit der Geige den Ton angab, mit Bierplautze und Zottelmähne eine Art Zwerg Gimmli aus dem Herrn der Ringe. Frontmann Nummer zwei war Steve Walsh. Bei den ausgefeilten Prog-Arrangements an den Keyboards hatte er einiges mehr zu tun als sein Styx-Kollege. So blieb er etwas disziplinierter hinter dem Instrument stehen. Seine Show war mehr akustisch als optisch angelegt. Gitarrist Richard Williams wirkte wie ein elder statesman of Rock, in der Regel ein wenig zurückgenommen in der zweiten Reihe. Das verhinderte allerdings nicht, dass er dem Kansas-Sound ordentlich Zunder gab und bei den Soli ein gutes Teil härter zur Sache ging, als man das aus den alten Tagen kennt. Insgesamt legten die Jungs vom Lande nicht das jugendliche Ungestüm an den Tag, das die Chicagoer eine Stunde später zeigten. Gerechter Weise muss man allerdings hinzufügen, dass Kansas, ihre Bühne – inclusive Schlagzeugpodest und Backline – vor die komplett aufgebauten Anlage von Styx stellen mussten. Da fehlte natürlich auch viel an Platz zum posen.
Das Publikum war erkennbar nicht nur wegen der Styx gekommen. Spätestens als mit „Bring it back“ eines der rockenden Highlights der frühen Jahre an den Start ging, rastete die Menge kollektiv aus. Danach wurde ein Feuerwerk nach dem anderen abgebrannt: „Down the Road“, „Point of know Return“, „Portrait (He knew)“. Als Kansas nach gut 50 Minuten ohne „Dust in the Wind“ gespielt zu haben von der Bühne gingen, war klar, dass an diesem Abend auch der ersten Band eine Zugabe zugestanden wurde. Wenige Minuten später erklang die akustische Gitarre und erst zwei, dann vier, dann (exakt gezählt!) fünf Feuerzeuge flammten auf. Entweder hat die Rauch-feindliche Politik der Bundesregierung tatsächlich Früchte getragen oder ein Großteil des Publikums war schon in dem Alter, in dem die ersten Krebsdiagnosen auf dem Tisch liegen. Wie dem auch sei, das Konzert war auch in seiner relativen Rauchfreiheit ein angenehmes Erlebnis. Überhaupt war der gesamte Rahmen des Abends erste Sahne. Beide Bands begannen fast auf die Minute pünktlich. Ein perfekter und schneller Umbau der topfitten Roadcrew bescherte ein Verhältnis von gut 2½ Stunden Musik zu einer knappen halben Stunde Umbaupause. Auch der Sound war erstklassig. Kein Boxenoverkill, sondern ein lauter, aber nie übersteuerter und von Anfang bis Ende in jeder Ecke der Halle glasklarer Sound prägte das Geschehen. Nach „Dust in the Wind“ erklang noch „Carry on wayward Sun“, das in einem furiosen Finale endete, und Kansas verließen nach einer guten Stunde endgültig die Bühne. Insgesamt ein geniales Doppelkonzert von zwei Legenden, denen es gelungen ist, den Spirit ihrer frühen Tage vollständig wieder aufleben zu lassen. Die durchwachsenen Alben, die beide Bands in den späten 80ern abgeliefert haben, waren schnell vergessen. Das Publikum dürfte auch eher den frühen Tagen zugeneigt gewesen sein. Beim Einlass habe ich (Jahrgang ’63) mir den Spaß gemacht, jemanden zu finden, bei dem ich sicher war, dass er jünger ist, als ich. Vergeblich! Lediglich beim Thekenpersonal, den Sanitätern und den Roadies waren Menschen zu entdecken, die zweifelsfrei unter 35 waren. Somit hatte Robby Steinhardt den Geist des Abends mit den Worten „Who says you cannot rock when you’re 55 years old“ auf den Punkt gebracht. Denn die Stimmung in beiden Bands und im Publikum war durchweg wesentlich jünger.
Besetzung Styx: Tommy Shaw (Git, Voc) James Young (Git, Voc) Lawrence Gowan (Keys, Voc) Todd Suchermann (Dr) Ricky Philips (B, Back Voc)
Besetzung Kansas Robby Steinhardt (Voc, Violine) Steve Walsh (Voc, Keys) Richard Williams (Git) Phil Ehart (Dr) Billy Greer (B, Voc)
Playlist Kansas (unvollständig) Miracles out of nowhere Bring it back Down the Road Point of know Return Portrait (He knew)
Zugaben Dust in the Wind Carry on Wayward Son
Playlist Styx Blue Collar Man Grand Illusion Lady Too much Time Snowblind Piano Solo I am the Walrus Medley (18 Styx-Songs) Boat on the River Crystall Ball Fooling yourself Miss America Come sail away
Zugaben I don’t need no Doctor Renegade
Norbert von Fransecky
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