Filippo Deorsola Anaphora
Lexicon 1
|
|
|
Elegant tänzelnd, und schon bald in freie Gestaltung übergehend, und das in ständigem Wechsel, mit stetig unterbrochenen Versuchen, so etwas wie eine swingende Struktur aufzubauen, so begrüßt mich die Platte Lexicon 1 von Filippo Deorsola Anaphora. "F.S.A.", der Songtitel steht wohl als Abkürzung für den Namen der Band. Und das mag dann wohl auch eine gewisse Aussagekraft hinsichtlich der Gestaltung dieser elf Kompositionen sein, die grundsätzlich alle vom Pianisten Filippo Deorsola stammen, bis auf die #3, 7, und 10, die als Kollektiv-Improvisationen angegeben sind. Und auf diesen Stücken läßt man dann auch das los, was sich in den übrigen Zwängen in strukturellen Zwängen hält, eine total freie Gestaltung, ein Quietschen mit dem Bass, ein Geflatter mit den Becken und Stakkato auf dem Piano, allerdings sind alle drei Titel nur von kurzer Dauer, quasi erscheinen sie wie ein kurzes Durchschütteln, wie eine Orchesterprobe vor den nachfolgenden Songs.
Allerdings strahlen diese drei Kollektiv-Improvisation nicht das aus, was man allgemein aus dem Free Jazz kennt. Hier empfinde ich es eher als avantgardistisch geprägte kollektive Einsprengsel, ein kurzes Loslassen vom rechten Pfad. Aber dennoch kann ich sie als wesentlichen Bestandteil des Ganzen betrachten, denn auch die strukturierten Kompositionen leben von freier Entfaltung und Gestaltung. Dabei sollte man sich, sofern man sich dieser Musik zugeneigt fühlt, Zeit nehmen, Zeit für genaues Hinhören, für ein Beobachten mit den Ohren, und der Seele, denn dorthin zielen diese emotional geprägten Ausbrüche der drei Musiker stets. Und diese Ausbrüche umfassen das ganze Spektrum zwischen romantischen Passagen, wilden Ausbrüchen und swingenden Momenten.
Sie bewegen sich ständig, sie wirken frech, wirken suchend, scheinen mitunter einen Pfad zu finden, einen, der ihnen dann doch nicht passt, um sogleich einen anderen Weg einzuschlagen. Und dabei passiert es - kreative Momente breiten sich aus zu kreativen Passagen und letztlich kreativ gestalteten Songs. Ja, purer Jazz der Fünfziger, avantgardistische Strömungen, Elemente des freien Jazz der Sechziger, finden Einzug zu einem Ganzen, dass zunächst sehr wenig zugänglich wirkt, mitunter gar sehr unbequem. Manche Hörer*innen mögen wohl schon einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein, Songs wie "Where Do Adults Come From?" könnten diesem Umstand Vorschub leisten.
Alle drei Musiker spielen sehr ideenreich und virtuos, spielen zusammen, lassen einander los und finden sich wieder, und spinnen daraus gewaltige Spannungsfäden, die sich letztlich zu einem Netz verbinden, ein Netz, dass alle Drei verbindet, und das viel Platz bietet für Allem die sich darin auch gern fangen lassen möchten. Ja, das ist kein Jazz für Puristen, für die ist er zu frei, für Free Jazzer mag er noch zu strukturiert sein, für zarte Seelen ist er zu heftig und nervös, für Alle, die in der Lage sind, Kopfkino zu gestalten, ist diese Musik ein wahrer Quell für kleine Kurzfilme. Wer dann noch gern eine Geschichte dazu hören möchte, wendet sich dem "Hörbuch" des elften Songs zu, denn hier erzählt Rebekka Salomea einleitend eine kleine Geschichte. Und das scheint eine sehr beruhigende Wirkung auf die drei Musiker auszuüben, denn die Begleitung in den etwa neuneinhalb Minuten erklingt in einem sehr lyrischen und beschaulichen Umfeld, mithin ist hiermit das wohl harmonischte Stück der Platte gelungen, jedenfalls im überwiegenden Anteil der Spielzeit.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 F.S.A (5:58)
2 Coralli (7:22)
3 Towards a Lexicon (Part 1)(1:29)
4 Image - Movement (4:31)
5 Image-Temps (7:07)
6 Inner Workings Resolved (7:36)
7 Towards a Lexicon (Part 2) (1:46)
8 Where Do Adults Come From? (7:42)
9 From Co-Motion To Commotion (10:37)
10 Lexicon 1 (1:38)
11 Enoshima (After a Lexicon) feat. Rebekka Salomea (9:38)
|
|
|
|
|
Besetzung |
Filippo Deorsola (piano)
Jonathan Ho Chin Kiat (double bass)
Ap Verhoeven (drums)
Rebekka Salomea (voice on #11)
|
|
|
|