Alexej Malakhau
Leiblich
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“Vol. 82 – Jazzthing Next Generation“ – so der Untertitel der Debüt-Platte des aus Weißrussland stammenden Saxofonisten Alexej Malakhau. Die von der Zeitschrift JazzThing mitinitierte Serie schreitet kreativ voran. Leiblich hat der Musiker die Versammlung der neun Stücke genannt. Im Pressetext wird so manche Erklärung gesucht für diesen Plattentitel. Zitat:
„Man kann sich so Manches unter „Leiblich“ vorstellen. Die leiblichen Bedürfnisse Essen und Trinken zum Beispiel, der leibliche Bruder, Vater oder die Mutter. Leiblichkeit gilt in der Malerei als Synonym für Sinnlichkeit, mitunter auch für opulente Fülle, während der eher im juristischen Sprachgebrauch verwendete Begriff „eheleiblich“ die Herkunft aus einer rechtmäßig geschlossenen Ehe bescheinigen soll. Im Mittelpunkt jeder dieser Definitionen steht immer der Leib. Leiblich: Das ist das Gefühl, etwas entgegenzunehmen, es mit allen Poren des Körpers aufzusaugen, entweder lustvoll oder entbehrungsreich, Streicheleinheiten oder Schläge, Hitze oder Kälte, Glück oder Schmerz. Gleichzeitig gibt der Leib aber auch eine Menge, nicht zuletzt das Leben.“
Malakhau selbst drückt es so aus: „Ich habe keine Vorstellung davon, was der Hörer sich unter dem Begriff ‚leiblich‘ vorstellt. Für mich geht es dabei um eine tiefe Verbundenheit, es ist ein sehr intimer Begriff, und er bedeutet mehr als der Ausdruck ‚leiblicher Vater‘. Alle Lieder auf dieser Platte bilden wichtige Ereignisse in meinem Leben ab. Da steckt viel Melancholie drin, was ich manchmal sehr romantisch finde, manchmal nervt es mich auch. Die Musik bildet eine weiche und sensible Seite von mir ab, die ich sonst nicht nach außen trage. Die Stücke auf der CD begleiten mich seit vielen Jahren, sie sind mit mir gewachsen und bilden den emotionalen Fußabdruck meiner leiblichen Erfahrungen seit meiner Immigration nach Deutschland."
Diese Ausführungen wecken Neugier, gerade weil man sehr viel Persönliches entdecken könnte, viele Gefühle, die durch die Musik ausgedrückt werden, viel Seele in der Musik, wenig Verkopftes. So will ich versuchen, mich in den Menschen Malakhau hinein zu versetzen, mit diesen Vorgaben. Unterstützt wird der Protagonist von Musikern aus der Kölner Szene.
Zunächst mit klassischer Musik aufgewachsen, sei die Hinwendung zum Jazz und zum Saxofon ein Schritt weg von den Zwängen akademischer, unpersönlicher Musik gewesen, eine Art Befreiung. Und frei und locker startet die Platte dann auch, und auch Melancholie steckt ein wenig im Ausdruck des ersten Songs, “No Signal“. Zusammen mit Piano und Gitarre wird das Leitmotiv vorgestellt, auf einem der sieben Eigenkompositionen. Lediglich “Julia“ stammt von John Lennon und “Auf Der Anderen Seite“ vom Gitarristen Zolotov.
Sehr emotional, wie zu vermuten, kommt “Leibmotiv“, wohl quasi als „Leitmotiv“ (?) daher. Eine wirklich wunderschöne Ballade, die mitunter zum Stillstand zu kommen scheint, sich aber keineswegs dadurch in Langeweile ergibt, sondern mit vielen fein austarierten Nuancen sehr feinfühlige Momente voller Romantik, Nachdenklichkeit und Wärme bietet. Zwischendurch hebt sich die Stimmung und kleine wilde Episoden durchdringen die Stille und Beschaulichkeit. Schließlich ist dieser Song eine sehr ungewöhnliche Jazz-Ballade, ungewöhnlich gut.
Und so bietet jeder Song seine bestimmte Art emotionalen Ausdrucks, eigentlich genau so, wie es jeder Mensch auch empfinden und erleben sollte. Man mag sich auf diese Weise mit dem einen oder anderen Song identifizieren, und wenn nicht, so bleibt es dem Protagonisten allein überlassen, sein Gefühlsleben für sich persönlich auszudrücken, jedenfalls ist es ihm in der musikalischen Umsetzung sicher weitestgehend gelungen.
Dabei spielen die Stücke meistens in eher ruhigem Umfeld, so dass ich mir so manchen freien Ausbruch wünschte, sehr geordnet verlaufen die Strukturen der einzelnen Titel. Ungewöhnliche Elemente haben Einzug gehalten bei “Narcissique“, wo Zolotov durch seine Wah-Wah-Gitarre gewisse groovende Funk-Elemente einbringt und sich dieses auf den Gesamtausdruck auswirkt. Auch Malakhau hebt ansatzweise an, sich freier zu bewegen, aber leider nur ansatzweise. Die von ihm selbst propagierte Freiheit sollte er intensiver ausschöpfen, würde das der Musik doch ein deutliches Mehr an Kraft verleihen.
Wolfgang Giese
Trackliste |
1 No Signal (6:38)
2 Leibmotiv (7:12)
3 Zeitgefangener (6:36)
4 Lela (6:58)
5 Julia (5:17)
6 Narcissique (8:50)
7 Interlude (0:30)
8 Auf Der Anderen Seite (6:59)
9 Stressmaker (2:11)
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Besetzung |
Alexej Malakhau (saxophone)
Joscha Oetz (bass)
Vitaliy Zolotov (guitar)
Kristjan Randalu (piano - #2, 9)
Rainer Böhm (piano)
Bodek Janke (drums & percussion)
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