Riot
Live In Japan
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Dass es sich bei Riot um eine sehr starke Liveband handelt, war den europäischen Hörern lange Zeit nur noch vom Hörensagen bekannt: 1980 betourten Mark Reale und seine Spießgesellen letztmalig die Alte Welt, und erst 1996 kehrten sie zurück, nachdem zuvor mehrere schon angekündigte Touren aus verschiedenen Gründen geplatzt waren, u.a. das „Power Of Metal“-Package mit Metal Church, Vicious Rumors und Jag Panzer im Herbst 1994, das letztlich mit den beiden erstgenannten sowie Paul Di Anno’s Killers und Zodiac Mindwarp auf die Reise ging und in Halle/Saale einen gleich in mehrerlei Hinsicht denkwürdigen Gig im Beisein des Damals-Noch-Nicht-Rezensenten ablieferte. Aber die Riot-Anhängerschaft schaute in die Röhre: Die sechs Livesongs mit Rhett Forrester, die 1982 als EP herauskamen, waren ebenso wie die in den Endachtzigern veröffentlichte Scheibe mit Aufnahmen von der UK-Tour 1980 kein würdiger Ersatz für einen Riot-Livegig oder wenigstens ein vernünftiges aktuelles Livealbum.
Über letzteres durften sich dann zuerst die Japaner freuen, als 1992 im Land der aufgehenden Sonne ein Mitschnitt der dortigen „The Privilege Of Power“-Tour erschien, auf den Titel Riot In Japan – Live! getauft. Die Europäer mußten sich, wollten sie nicht in den sauren Apfel des hohen Preises für eine Japan-Import-CD beißen, noch bis Anfang 1996 gedulden: Wenn sie die Doppel-CD-Erstauflage des The Brethren Of The Long House-Albums erwarben, fanden sie auf der zweiten CD ebenjene Japan-Liveaufnahmen vor. Im Heimatland der Band, den USA, dauerte es gar noch bis 1999, dann erlebte die Scheibe, in diesem Fall als eigenständiger CD-Release und mit verändertem Coverartwork sowie in Live In Japan geändertem Titel, via Metal Blade Records doch noch ihre Veröffentlichung, und ebenjene letztgenannte Fassung dient als Vorlage für den als Digisleeve erschienenen Re-Release im Rahmen der Wiederveröffentlichungsserie der gleichen Company. Das Cover ist dasjenige der 1999er Fassung, das originale japanische Cover bildet die eine Seite des Posterbooklets, und die Titel wurden gar vermengt: Auf dem Cover ist der 1999er US-Titel zu lesen, auf dem Rücken des Digisleeves aber der originale japanische ...
Noch komplexer wird die Erkundungsarbeit, wenn man wissen möchte, wo denn die Aufnahmen herstammen. Riot spielten im Juni 1990 fünf Gigs in Japan – das originale Plakat findet man als Dokumentenabdruck auf dem Posterbooklet des Re-Releases von The Privilege Of Power. Drei der Gigs fanden in Tokio statt, davon zwei in Shibuya Koukaidou und einer in der Gotanda Kan-i Hoken Hall, dazu kam je einer in Kawasaki und in Kobe. Die Tracklist der Live-CD weist nun dreimal den Titelzusatz „...In Tokyo!“ und einmal den „...In Osaka!“ aus, wirft aber damit gleich zwei Unklarheiten auf. Zum einen sind die auf der CD zu hörenden Aufnahmen definitiv aus mehreren Mitschnitten zusammengesetzt, anders ist das z.B. deutlich andere Klangbild von „Killer“ nicht zu erklären, bei dem zudem interessant wäre, wer hier die original von Joe Lynn Turner übernommene zweite Stimme singt oder ob die wie die Bläser vom Band kommt. Zum anderen aber fand gar keiner der Gigs in Osaka statt, so dass der genannte Titelzusatz in diesem Fall ein ziemliches Rätsel darstellt.
Interessant ist zudem, welche der gespielten Songs denn nicht auf dem Livealbum gelandet sind, das mit 65 Minuten durchaus noch Kapazität nach oben besessen hätte. Da hilft www.setlist.fm, wo man zumindest die Setlist des Gigs in Kobe nachlesen kann – und die besteht aus 21 Positionen, während die CD auf 18 Tracks kommt. Von denen müssen allerdings die Studiofassung von „Smoke On The Water“, die im Zuge der Aufnahmen zu The Privilege Of Power entstanden war und die Gastbläser nochmals beschäftigt (der Song wurde dann in Japan als zweite Zugabe live gespielt), das Intro und das Outro sowie eine „Skins & Bones“-Position, da das sich dahinter verbergende Drumsolo Bobby Jarzombeks auf der CD in zwei Tracks möglicherweise gleichfalls unterschiedlicher Herkunft geteilt wurde, subtrahiert werden, so dass rein netto 14 Livenummern übrig bleiben, also stolze sieben nicht den Weg auf den Silberling gefunden haben, darunter leider auch die beiden besten Riot-Songs aller Zeiten oder zumindest bis zu diesem Zeitpunkt, „Dance Of Death“ und „Thundersteel“. Eine Riot-Livescheibe ohne „Thundersteel“ erscheint irgendwie schwer vorstellbar, und es muß schon gute Gründe gegeben haben, warum der Song letztlich nicht mit draufgepackt wurde, zumal er ja in mindestens zwei Mitschnittfassungen vorgelegen haben muß.
Aber beschäftigen wir uns nicht länger mit dem Konjunktiv, sondern schauen lieber, was uns die reichliche Stunde Musik nun wirklich bietet. Die Zwischenspiele der The Privilege Of Power-Studiofassung wurden hier weggelassen bzw. im Intro und Outro komprimiert, woselbst zudem Mitschnitte aus dem Backstageraum eingeflochten wurden, die offenbar die Liveatmosphäre unterstreichen sollen, ohne die man aber auch gut ausgekommen wäre und anstelle derer man lieber noch einen Zusatzsong gehört hätte. „On Your Knees...In Tokyo!“ offenbart noch einige kleine Tontreffsicherheitsprobleme bei Tony Moore, aber der mittlerweile nicht mehr blonde, sondern dunkelhaarige Sänger steigert sich schnell und erbringt eine starke Leistung. „Metal Soldiers“ und „Runaway“ setzen auch auf der Livescheibe die Studioalbumreihenfolge fort, was aber durch die Kobe-Setlist nicht gedeckt wird, denn dort kommt nach „Metal Soldiers“ „Flight Of The Warrior“, das auf der CD erst an Position 12 steht. Von der Zusammensetzung der Setlist her lassen Riot die beiden Forrester-Alben völlig außen vor, bedenken aber alle drei Alben der Speranza-Ära, wobei „Rock City“ hier mit einem Mitsingpart ausgestattet wurde, der verrät, dass diese Aufnahme definitiv aus Tokio stammen muß, da Moore das Publikum „Tokyo is Rock City“ singen läßt, und das hätte er an anderen Orten sicherlich nicht in dieser Form getan, sondern jeweils den Namen des aktuellen Auftrittsortes eingesetzt. Dass sowohl „Tokyo Rose“ als auch „Narita“ in der Setlist stehen würden, war zu erwarten – allerdings gibt es beide nur als reichlich zweiminütige Fragmente zu hören, was besonders bei letztgenannter Nummer außerordentlich zu bedauern ist. Trotzdem bleibt natürlich genügend Gelegenheit, die ausgezeichneten Fähigkeiten der Herrschaften an den Gitarren angemessen zu würdigen. Neben Mark Reale agiert hier wieder Mike Flyntz, der schon auf der „Thundersteel“-Tour als Gastmusiker dabei war und irgendwann im Laufe der Liveaktivitäten für The Privilege Of Power zum vollwertigen Bandmitglied befördert wurde. Dass Reale wußte, was er an Flyntz hat, beweist der Umstand, dass ein Instrumental namens „Japan Cakes“, eine von Flyntz verfaßte speedige Blues- oder bluesige Speednummer, in der Setlist und auch auf der CD auftaucht, die quasi Flyntz‘ Solospielwiese darstellt, während Reale selber natürlich auch soliert, in diesem Fall über einem atmosphärischen Keyboardteppich in bester Michael-Schenker-Manier (man glaubt hier eine flitzefingerige Version des „Courvoisier Concerto“ zu hören, aber auch schon einen Vorgriff auf die historischen Konzeptalben der Neunziger). Auf der CD stehen diese beiden Soli und „Narita“ unmittelbar hintereinander, die Kobe-Setlist weist sie dagegen an völlig unterschiedlichen Stellen im Set aus: „Japan Cakes“ in der ersten Gighälfte zwischen den beide nicht auf der CD gelandeten „Storming The Gates Of Hell“ und „Bloodstreets“, Reales Solo als vorletzte Nummer des Hauptsets zwischen „Dance Of Death“ und „Thundersteel“, „Narita“ schließlich als Auftakt des Zugabenteils, der noch mit „Warrior“, „Smoke On The Water“ und als Schlußgong „Road Racin‘“ bestückt war. Hier wäre dann wieder eine geeignete Stelle, mit Träne im Knopfloch zu lamentieren, wieso Song X oder Y nicht auf der Live-CD gelandet sind – und vielleicht finden sich in irgendwelchen Archiven ja wirklich noch komplette und veröffentlichbare Aufnahmen aus dieser Zeit (träum ...).
Vielleicht haben aber auch technische Gründe Band und Label einen Strich durch die Rechnung gemacht – die Soundqualität ist für die Möglichkeiten der Neunziger definitiv eher mäßig und die CD-Tracklist vielleicht kein Zufall (im Sinne von „das Beste von dem, was da war“). Deep Purples fast 20 Jahre älteres Made In Japan klingt jedenfalls deutlich besser, während wir hier eine gewisse Dumpfheit erdulden müssen, die beispielsweise dazu führt, dass man Mark Reales Sololinie in „Flight Of The Warrior“ erst beim zweiten Hören bemerkt. Und Pete Perez, der als Bassist nach den US-Gigs der Tour Don Van Stavern ersetzt hatte, kann kaum mal wahrnehmbare Akzente setzen. Zudem wirkt so manche Publikumsreaktion merkwürdig, ertönt plötzlicher Jubel, wo man rein aus musikalischen Gründen keinen erwarten würde. Kann natürlich sein, dass auf der Bühne etwas Bejubelnswertes passiert ist, das dem reinen Audiomitschnitt natürlich abgeht. Aber das dürfte nicht zu klären sein, ohne einen eventuellen Filmmitschnitt zu sehen. Dass die Band spielerisch jedenfalls in Hochform ist, kann man auch anhand des vorliegenden Materials eindeutig erkennen (mit „Warrior“ als absolutem Highlight – man muß sich nochmal vor Augen führen, dass diese Nummer original von 1977 stammt) – und dass sie erfolgstechnisch mit dem Livealbum außer in Japan keine Bäume ausreißen konnte, ergibt sich ja schon aus der eingangs skizzierten Veröffentlichungsstruktur. Ob der Einsteiger in puncto Livealben mit dieser Scheibe oder mit dem später in den Neunzigern erschienenen Shine On besser bedient ist, kann der Rezensent mangels Besitzes letztgenannten Werkes derzeit noch nicht entscheiden, aber der Riot-Anhänger macht, wenn er die genannten Einschränkungen im Kopf behält, mit der Japan-Scheibe erstmal nichts falsch.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Minutes To Showtime (spoken) | 2:02 |
2 |
On Your Knees...In Tokyo! | 3:53 |
3 |
Metal Soldiers | 4:43 |
4 |
Runaway | 5:15 |
5 |
Tokyo Rose...In Osaka! | 2:25 |
6 |
Rock City | 3:16 |
7 |
Outlaw | 4:19 |
8 |
Killer | 3:43 |
9 |
Skins & Bones - Part 1 | 3:17 |
10 |
Skins & Bones - Part 2 | 2:00 |
11 |
Johnny's Back...In Tokyo! | 5:24 |
12 |
Flight Of The Warrior | 4:08 |
13 |
Ladies And Gentlemen...Mark Reale | 3:09 |
14 |
Japan Cakes | 2:22 |
15 |
Narita | 2:09 |
16 |
Warrior | 5:39 |
17 |
The Dressing Room/The Encore Begins... In Tokyo!/The Encore Continues... (spoken) | 3:02 |
18 |
Smoke On The Water | 4:40 |
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Besetzung |
Tony Moore (Voc)
Mark Reale (Git)
Mike Flyntz (Git)
Pete Perez (B)
Bobby Jarzombek (Dr)
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