Bergkönig-Klezmer ohne Klarinette: Die Niederländer De Baron bringen einen unterhaltsamen Stilmischmasch auf die Bühne des Jenaer Kulturbahnhofs




Info
Künstler: De Baron

Zeit: 04.05.2019

Ort: Jena, Kulturbahnhof

Internet:
http://www.cosmic-dawn.de

Guerilla Brass? Blech für den Untergrundkampf? Und schreiben sich die Kämpfer nun eigentlich mit einem r oder mit zweien? Fragen über Fragen, zumal De Baron auf dem Backdrop, das sie an diesem Abend am hinteren Bühnenrand des Jenaer Kulturbahnhofs aufhängen, auch noch einen roten Stern zeigen. Und am nächsten Tag steht der 201. Geburtstag von Karl Marx im Kalender ... Okay, letzterer Fakt geht als Zufall durch: De Baron sind auf einer kleinen Deutschlandtour, und in Karl-Marx-Stadt, äh, Chemnitz haben sie schon zuvor gespielt, auch in Leipzig schon – eine auffällige Häufung von Gigorten im sächsisch-thüringischen Raum. Aber offensichtlich können die Niederländer durchaus auch auf lokale Fangemeinden zurückgreifen: Im Publikumsraum des Kulturbahnhofs hört man durchaus so manche Worte in der Heimatsprache der Band. Der Frontmann wiederum fragt die Anwesenden, ob er zwingend Deutsch sprechen müsse oder auch auf Englisch ausweichen dürfe – das Publikum gesteht ihm Letzteres durchaus zu, und nur ein Spaßvogel möchte russische Ansagen haben, was der Fronter prompt in fließendem Russisch pariert.
Bleibt allerdings immer noch der Aspekt der Sprache, in der sich die insgesamt sechs (!) an den Vocals beteiligten Bandmitglieder in den Songs artikulieren. Das ist zum einen ihr heimatliches Idiom, zum anderen und scheinbar überwiegend allerdings Jiddisch: Klezmer bildet einen der Hauptpfeiler in der Musik des Septetts, obwohl sich unter den Instrumentalisten kein Klarinettist findet, der ja für diese Musik eigentlich als archetypisch und unverzichtbar gilt. De Baron bilden sozusagen so etwas wie die anarchistisch-punkige Antwort auf die Amsterdam Klezmer Band, die fast ein Jahr zuvor ebenfalls in Jena gastiert hat, allerdings nicht im Kulturbahnhof, sondern im Volksbad. Heute abend stehen zwei Gitarristen auf der Bühne, und die agieren durchaus nicht im Verborgenen, obwohl sie andererseits auch keinen heftigen Riffkrach machen und der eine der beiden noch Nebentätigkeiten als Zweitsänger und als Trompeter nachgeht. Überhaupt finden sich etliche Multiinstrumentalisten auf der Bühne: Der Baßsaxer haut, wenn er sonst gerade nichts zu tun hat, bisweilen noch mit aufs Drumkit, und der Fronter singt nicht nur und spielt das Altsax, sondern hat auch noch ein perkussives Instrument am Mikrofonständer hängen und jagt seinen Gesang bisweilen durch eine Flüstertüte. Am Gesang bzw. den Gangshouts wiederum sind bis auf den Drummer alle Bandmitglieder beteiligt, was in voller Ausdehnung natürlich nur geht, wenn keiner der Bläser (außer den bereits erwähnten haben wir noch einen Posaunisten am Start) seine Luft anderweitig zum Einsatz bringen muß.
Was produziert diese Mischpoke nun für Musik, die sie da mit dem Terminus Guerilla Brass belegt? Die Stichworte Klezmer und Punk sind ja schon gefallen, auch ein paar Balkanbeat-Elemente lassen sich nicht verkennen – aber womit das Septett überrascht, sind einige fast psychedelisch anmutende Elemente, beispielsweise die Soundlandschaften gleich im Opener, während sie umgekehrt auch mal kurz in wilden Krach der John-Zorn- bzw. Naked-City-Kategorie umschalten und generell durchaus ein Händchen für ungewöhnliche Arrangements besitzen. Sie machen es dem auf Tanzbarkeit geeichten Hörer durchaus nicht einfach: Es gibt zweifellos genug Passagen, zu denen man gepflegt das Tanzbein schwingen oder sich in hüpfende Bewegung versetzen kann – aber man muß stets darauf gefaßt sein, von einem unerwarteten Break ausgebremst zu werden. Und lange Spannungsentwicklungen bilden auch keinen Fremdkörper im Schaffen der Niederländer – als archetypisches Beispiel darf die Adaption von „Hava Nagila“ gelten, die einen bewegungsaktiven Refrain mit eher entrückt wirkenden Strophen koppelt. Der Energietransport von der Bühne ins Publikum klappt nach einigen Anfangsschwierigkeiten dann auch problemlos, und im Auditorium wird fleißig der Bewegung gefrönt, während eine gewisse Zeit lang noch ein Meter vor der Bühne frei war, den drei der Bläser dann auch schon mal für einen Ausflug nach unten nutzten, während der Fronter erst ganz zum Schluß mit seinem Altsax quer durchs Publikum hirscht. Interessanterweise gibt es in der Gesamtbetrachtung gar nicht so viele Hochgeschwindigkeitspassagen, schalten De Baron statt dessen auch mal in eine stimmungsvoll-eskapistische Halbballade herunter und tun das als erste Zugabe gleich nochmal – an dieser Position muß man sich das auch erstmal trauen. Arrangementösen Witz verraten Ideen wie das lockere Einjammen von Griegs „Bergkönig“-Thema in den Setcloser, das zwischen den Gitarristen und den Bläsern hin und her pendelt und den freiheitlich-anarchistischen Charakter des Bandschaffens unterstreicht: Grieg ist weder im Klezmer noch auf dem Balkan und auch nicht im Punk zu verorten, aber das bildet noch lange keinen Hinderungsgrund, sein Material nicht zu verarbeiten. Dieser eklektizistische Ansatz, dank eines ziemlich klaren und nur am Anfang einen Tick zu lauten Klangbildes auch gut wahrnehmbar, gefällt offensichtlich dem Publikum, das sich auch gelegentlicher Mitsingaufforderungen gekonnt entledigt, die durchaus schon mal in dem Auftrag enden, als nächstes die Melodie nicht laut zu singen, sondern nur im Kopf ablaufen zu lassen, was tatsächlich befolgt wird und einiges an Spannung erzeugt. So erntet das niederländische Septett verdienten Applaus, wenn es denn mal solchen zuläßt (viele Nummern werden gleich attacca aneinandergehängt), und wird ohne zwei Zugaben auch nicht von der Bühne gelassen. Die Kurzweil des Abends bestätigt sich bei einem Blick auf die Uhr allerdings noch in anderer Weise: De Baron haben nur etwas mehr als 75 Minuten gespielt – das ist als Headliner ohne Vorband nicht übermäßig viel, und gerade angehörs der hohen Qualität des Gebotenen hätte es durchaus noch etwas mehr sein dürfen. Aber andererseits bekommt zumindest der Rezensent lieber 75 mitreißende Minuten als zweieinhalb einschläfernde Stunden vorgesetzt, wenngleich er natürlich gerne noch länger sein Tanzbein geschwungen hätte. Also dann beim nächsten Mal!


Roland Ludwig



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