Beavis und der Hahnenschrei: Die Schweizer Öz Ürügülü gastieren auf ihrer ersten Tour in Jena
Ein auf der A4 bei Gera in der Mittelleitplanke gelandeter Gefahrguttransporter sorgt für ein Verkehrschaos, das auch das Zeitmanagement der Anreise des Rezensenten nach Jena torpediert, selbst wenn er die Problemstelle letztlich doch noch auf Schleichwegen umgehen bzw. umfahren kann: 21 Uhr soll es planmäßig losgehen, kurz nach 21.30 Uhr trifft er im Kulturbahnhof ein, wo Öz Ürügülü bereits fleißig am Werkeln und justament mit „Secret Cheese“ fertig sind. Aber die chinesischen Philosophen sagen bekanntlich, dass man sich nicht mit Grübeln über die nicht änderbare Vergangenheit aufhalten solle, und auch der Rezensent ist im nachhinein nicht traurig über den verpaßten ersten Setteil, sondern dankbar für das, was er ab „Mosquito“ noch erleben darf. Denn: Das, was die Schweizer da abliefern, ist Musik vom Feinsten – und das, obwohl sie auf dieser ihrer ersten „richtigen“ Tour, die fünf Dates in Deutschland und ein abschließendes in der alpinen Heimat umfaßt, vor einer speziellen strukturellen Herausforderung stehen. Zwei Wochen vor Tourstart stellt sich nämlich heraus, dass Keyboarder, äh, Pianist Peter Amberg nicht mitkommen kann, so dass die besagte Zeit mit hektischer Betriebsamkeit gefüllt ist: Piano- und Keyboardparts programmieren und sich spieltechnisch auch noch darauf einstellen, dass diese Parts jetzt vom Band kommen und spontane Strukturveränderungen in den Songs kaum noch realisierbar sind. Aber das verbleibende Quintett meistert diese Aufgabe so gut, dass ein Mensch wie der Rezensent, der die Band an diesem Abend zum ersten Mal live erlebt, primär nicht auf die Idee kommt, dass da ein sechster Mann auf der Bühne fehlt, während die Bandkenner (die freilich an diesem Abend im Kulturbahnhof die deutliche Minorität stellen) das möglicherweise anders sehen. Aber egal: Aufeinander eingespielt ist die Truppe offensichtlich bestens, zumal sich vier der fünf Mitglieder schon aus der Schule kennen und dementsprechend wissen, wie die anderen jeweils ticken. Das ist bei der hochkomplexen Musik der Band auch eine gute Voraussetzung zum Gelingen. Öz Ürügülü spielen eine Art Jazz-Rock oder auch Jazz-Metal und werden gern als Mixtur aus Steve Vai und Mr. Bungle beschrieben, was definitiv nicht falsch ist, aber erstens die Stilvielfalt der Band (die trotzdem jederzeit logisch und nicht bemüht wirkt) nicht annähernd umreißt und zweitens diverser Ergänzungen bedarf. Zur genannten, eher das abgedrehte Element charakterisierenden Beschreibung tritt nämlich das Melodiegespür eines Mannes wie Joe Satriani, und irgendwie hat man das Gefühl, dass Toxic Smile heute so klingen könnten, wenn sie vor einer reichlichen Dekade nach RetroTox Forte eher in Richtung der absonderlich strukturierten Elemente in Songs wie „Confidence In Deception“ weitergearbeitet hätten. Sie hätten sich allerdings noch von Sänger Larry B. trennen müssen – Öz Ürügülü arbeiten als reine Instrumentalband, und somit fällt die Aufgabe, so etwas wie merkfähige Refrains zu erzeugen, in der Liveform dieses Abends hauptsächlich den beiden Gitarristen Angi Gwerder und Philippe Hubler zu. Ein Zusatzelement gibt es aber doch noch, denn es ist doch ein sechstes Mitglied dabei, und dieser Mann namens Martin Riesen sorgt für eine spezielle Multimediashow mit psychedelischer Bühnenbeleuchtung und mannigfachen an die Bühnenrückwand geworfenen Bildsequenzen, überwiegend musterartig, aber bisweilen auch konkrete Personen zeigend – so tritt sogar MTV-Altstar Beavis in Erscheinung, den man im Kontext dieser Band nun eher nicht erwartet hätte. Um nicht von den Bildern abzulenken, treten die Musiker übrigens in neutralfarbiger sackartiger Kleidung auf, und das einzige kleine Problem dieses Abends ist die niedrige Raumhöhe, die dazu führt, dass nicht genug Projektionsfläche für die Bilder bleibt – aber stimmungsvoll gerät das Ganze trotzdem. Stimmungsvoll ist auch die Musik, unterstützt durch einen sehr klaren Sound übrigens, so dass man all die Feinheiten und Wendungen problemlos nachvollziehen kann. Von der Setlist her spielen Öz Ürügülü ihr aktuelles, zweites Album Fashion And Welfare (Review folgt) bis auf dessen Closer „Missing Pets“ komplett durch und greifen zudem auf diverses Material des Debüts Forgotten Archives zurück, das noch von einem anderen Saxophonisten eingespielt worden war – aber der aktuelle Bediener dieser Instrumente (er hat mehrere in verschiedenen Tonlagen am Start), David Weber, hat auch die alten Nummern problemlos intus. (Für Optik-Analytiker: Er sieht aus wie eine deutlich verjüngte Mischung aus Klaus & Klaus, womit in diesem Falle Lage & Doldinger gemeint sind, während Drummer Beny Süess ein wenig dem jungen Hansi Kürsch ähnelt – und der Rezensent überlegt immer noch, an wen ihn Bassist Damian Gwerder erinnert.) Das Publikum weiß sowohl die musikalischen Darbietungen als auch den trocken-schrägen Humor in Angis Ansagen zu schätzen, und wenn es eine Band schafft, in einem Country-Jazz-Metal-Song das Krähen eines Hahnes in völlig logisch wirkender Manier als Quasi-Rhythmuselement einzubauen, dann ist sowieso kaum noch eine Steigerung möglich. Feines Konzert! Setlist: Raumpatrouille Orion Theme When I Was 17 Android Mustache Secret Cheese Mosquito Odd Waltz RDA Rotten Umbrellas Zeta Ridiculi Cartoon Holocaust Paltsug Rabbit Garlic Venus Tarkatan Rush I Am The Fungus Roland Ludwig |
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