Bach, C. P. E. (Staier)
Hamburger Cembalokonzerte Wq. 43 Nr. 1-6
RICHTUNGSWECHSEL
Schon früh hat Andreas Staier sich in seiner Diskographie der Musik von Carl Philipp Emanuel Bach zugewandt, so etwa mit der 1988 entstandenen Einspielung dreier Sonaten (dhm, Wiederveröffentlichung 2010). Seine Faszination für die Werke dieses Wegbereiters eines einschneidenden musikalischen Umbruchs ist seitdem ungebrochen und trägt jetzt erneut Früchte in Gestalt einer Doppel-CD mit sechs Cembalokonzerten.
Carl Philipp Emanuel hat diese zwischen 1770 und 1772 komponiert, zu einer Zeit also, als er den fast dreißig Jahre währenden Dienst am Hofe des preußischen Königs quittiert hatte. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass die Concerti den Geist und die Atmsophäre dieser neu gewonnenen Freiheit und der gesteigerten Entfaltungsmöglichkeiten atmen: heiter sind sie, stellenweise hemmungslos verspielt und ein Potpourrie angedeuteter Ideen und Möglichkeiten. Dabei weisen sie trotz aller Synchronität in der Struktur doch höchst unterschiedliche Charaktere auf - wer etwa nach dem ersten Konzert ein weiteres, eher unverbindlich galantes Stück erwartet, wird durch die Abgründigkeiten und Brüche im Konzert Nr. 2 überrascht werden. Der abrupte Wechsel im Ausdruck, das schroffe Gegeneinanderstellen von Themen und Figuren prägt indes die Musik insgesamt, die weniger von der Verarbeitung des Materials oder melodischen Linien lebt, als vom Neben- und Gegeneinander, das aber nie in beziehungslose Beliebigkeit ausartet. Die dahinter steckender Kunst der Verknüpfung und Verblüffung treibt C.P.E Bach auf die Spitze, indem er in allen sechs Konzerten die Sätze ineinander übergehen lässt (attacca), was den Eindruck einer wirbelnden Dynamik teils bis zur atemlosen Soghaftigkeit steigert.
"Leichte" Concerti für Kenner und Liebhaber sind dies - entgegen der Bezeichnung bei Drucklegung - dabei ganz gewiß nicht. Ihre Wirkung entfalten sie nämlich erst dann, wenn sie mit solch perfekter Technik, zugleich aber einem Höchstmaß an Leichtigkeit musiziert werden, wie Andreas Staier und das Freiburger Barockorchester (schon früher ein kundiger Sachwalter der Musik C.P.E. Bachs, vgl. MAS-Review) es vormachen. Nicht analytisch, sondern sinnfällig rhetorisch werden die schroffen Richtungswechsel herausgearbeitet. Im agogischen Ansatz zeigt Staier sich beredter als etwa Rien Voskuilen bei dessen Einspielung von Cembalokonzerten des Bach-Sohnes (vgl. MAS-Review). Wo es eben noch unverbindlich spielerisch tönt, rückt die nächste Phrase in dunklen Schatten oder begegnet uns mit feuriger Erregtheit. Ein echtes Wechselbad der Gefühle, das Staier zudem mit erhellenden Anmerkungen im Booklettext ergänzt. Der Einsatz der Kopie jenes registerreichen Cemabalos, das Hieronymus Albrecht Hass 1734 baute, ist dabei nur konsequent, erweitert es doch das Farbspektrum und die Palette der Ausdruckmöglichkeiten noch einmal nachhaltig. Trotz seines Klangvolumens ordnet sich das Instrument fein austariert in den Gesamtklang ein, tritt also eher konzertierend aus einer gleichberechtigten Stellung heraus gelegentlich in den Vordergrund um sich sodann wieder einzufügen.
Man mag nach dieser Hörerfahrung der Musik dieses Bach-Sohnes auch weiterhin mit jener Ambivalenz begegnen, die ihr schon zu Lebzeiten entgegengebracht wurde. Ihre Originalität, ihren Zug ins Exzentrische und ihre Modernität indes, die nicht zuletzt auf Haydn großen Einfluß ausübte, wird man kaum in Abrede stellen können.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
CD I:
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo F-Dur Wq 43,1
1 Allegro di molto (5:48)
2 Andante (3:43)
3 Prestissimo (4:10)
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo D-Dur Wq 43,2
4 Allegro di molto (7:50)
5 Andante (6:11)
6 Allegretto (8:24)
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo Es-Dur Wq 43,3
7 Allegro (7:05)
8 Larghetto (3:35)
9 Presto (4:03)
CD II:
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo c-moll Wq 43,4
1 Allegro assai (3:24)
2 Poco adagio (2:15)
3 Tempo di minuetto (2:51)
4 Allegro assai (4:27)
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo G-Dur Wq 43,5
5 Adagio - Presto (4:58)
6 Adagio (2:34)
7 Allegro (5:04)
Konzert für Cembalo, Streicher und Basso continuo C-Dur Wq 43,6
8 Allegro di molto (7:27)
9 Larghetto (3:55)
10 Allegro (6:44) |
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Besetzung |
Andreas Staier: Cembalo (Nachbau eines Instruments von H. A Hass, Hamburg 1734)
Freiburger Barockorchester
Petra Müllejans: Ltg.
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