Japanische Musik (Diverse)
The Ongaku Masters. Klassische japanische Musik
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Info |
Musikrichtung:
Klassische japanische Musik
VÖ: 04.05.2005
Celestial Harmonies / Naxos / 2 bzw. 1 CD / DDD / 2004 / Best. Nr. 14239-2 (Kultmusik), 13241-2 (Weltliche Musik)
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DER FERNE KLANG
Die Lektüre der „Geschichte vom Prinzen Genji“, des wohl ältesten Romans der Welt – er wurde vor 1000 Jahren von einer anonymen Hofdame verfasst – hat mich dazu gebracht, mich einmal mit der Musik Japans genauer zu beschäftigen. Denn der Roman ist gesättigt mit Schilderungen von Musik, die die Fantasie anregen und die Neugierde wecken. Wo aber anfangen? Ich möchte als eine Art musikalischen Reiseführer 3 CDs von Celestial Harmonies vorstellen.
Alles an dieser Musik scheint dem westlichen Empfinden zunächst entgegengesetzt: Hört man das berühmte Entenraku (wörtlich: Musik, die vom Himmel gebracht wurde), eine klassische Gagaku-Melodie aus Japan, gibt es wenig, woran sich unser Ohr orientieren kann. Das immens gedehnte Tempo lässt die Melodie selbst zunächst gar nicht kenntlich werden. Man hört, von dumpfen, drängenden Trommelschlägen sekundiert, wie der Beginn des Stückes von der Hichiriki-Flöte intoniert wird und dann nach und nach die übrigen Instrumente, die Mundorgel Sho und die Ryuteki-Begleitflöten sowie diverse Zupfinstrumente einsetzen. Die Melodie ist eingebettet in die hochtönenden Klangfarben der Sho und die gebrochenen Akkorde der Saiteninstrumente. Die leicht unscharfen, obertönigen Klangkomplexe, die daraus resultieren, haben eine gleißende Brillanz – es klingt so, wie sich der Blick in die Sonne anfühlt: blendend.
Diese Musik hat eine lange Tradition und ist bis auf den kleinsten Ton minuziös festgeschrieben. Die Rhythmik ist allerdings frei, was die Musik organisch fließen lässt. Das thematische Material wird nicht verarbeitet; der musikalische Prozess ist die Entfaltung der Melodie. So gleitet die Musik gleichsam von einem Klangkomplex zum nächsten, wobei die Instrumentaleinsätze subtil gegeneinander verschoben erscheinen. Der Eindruck ist erhaben, fremd, streng. Gagaku bedeutet übersetzt die elegante, verfeinerte Musik. Musik, die so elaboriert ist, dass sich ihre hintersinnige Konstruktion nur dem geschulten Hörer mitteilt. Die hieratische Strenge, die dem Eindruck einer frei erfundenen Musik nicht entgegensteht, und ihre geradezu außerirdische Klangwirkung hat auch europäische Komponisten immer schon fasziniert. Olivier Messiaen hat dem Gagaku in seinen Sept Haikai ein Denkmal gesetzt und sein Schüler Karlheinz Stockhausen wünschte sich nach eigenem Bekunden, in seinen Kompositionen etwas Vergleichbares zu erreichen. Er hat sogar 1977 für das kaiserliche Gagaku-Orchester Tokyo ein Stück komponiert und später für westliche Instrumente so geschickt arrangiert, dass der ursprüngliche Klang weitgehend erhalten blieb: „Der Jahreslauf“. So treffen westliche Avantgarde und östliche Tradition fruchtbar aufeinander.
Die Faszination für diese ferne asiatische Klangwelt kann man verstehen, zumal die Aufnahmen auf dieser CD allesamt hervorragend produziert und (im umfangreichen englischsprachigen Beiheft) dokumentiert sind. Allerdings muss man sein Gehör schon sehr schulen, um die subtilen Feinheiten bei den ersten Stücken zu erkennen – sie klingen alle recht ähnlich. Leichter wird es, wenn auch vokale Partien dazukommen. Hier wie beim Gagaku auf den beiden CDs der 1. Folge traditioneller japanischer Musik geht es um kultische Musik. Sehr spannend sind die Priestergesänge, die der liturgischen Musik des Westens (Gregorianik) im Duktus mitunter verblüffend ähnlich sind. Offenbar existieren auch im kultisch-musikalischen Bereich Archetypen, die sich immer wieder durchsetzen.
Wesentlich für die japanische Kultur ist die Nähe zur Natur. Im Grunde sind die musikalischen Künste und die Poesie davon nicht zu trennen. Hört man z. B. die Bambusflöte Shakuhachi, dann kann man kaum an anderes denn an das Wehen oder Heulen des Windes denken, an rauschendes Wasser, Vogel- und Insektenrufe. Es ist auch aufgrund des vergleichsweise leisen Klanges ein außerordentlich kontemplatives Instrument mit einer reichen Palette an Klangfarben. Dass sie traditionell in der buddhistischen Meditationspraxis zum Einsatz kommt, ja ursprünglich ausschließlich dort und immer privat, niemals jedoch konzertant für weitere Zuhörer gespielt wurde, glaubt man sofort.
Lebhafter und vor allem im Vokalen „drolliger“ oder eben auch „schräger“ wirkt die weltliche Musik, von der eine Auswahl auf dem 2. Teil der Edition erklingt. Auch hier fällt die obertönige Qualität von Instrumenten und Stimmen auf. Basis vieler Stücke sind die klaren und herben, dabei reich artikulierten Klänge der Koto, einer länglichen Zitter, die einen geheimnisvollen Zauber verbreitet. Das etwas jodelnde Timbre der japanischen Sängerin (Nanae Yoshimura) erscheint für westliche Ohren zunächst unsauber. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch die vielfältigen Glissandi und Portamenti – übrigens gibt es diesen Effekt auch bei der von der Sängerin gespielten Koto, deren Tonhöhen sozusagen immer in Kurven nachschwingen.
Uriger und im Timbre bitterer als die noble Koto wirkt die Satsumabiwa; der „wimmernde“ Gesang (Yoshinori Fumon), den sie begleitet, erinnert eher an magische Beschwörungen – es ist immer auch eine ferne Klangwelt, die mit einer bequemen Weltmusik-Ästhetik wenig zu tun hat, dafür aber echte Entdeckungen ermöglicht.
Die beiden Teile gehören zu einer aus fünf Folgen bestehenden Box mit alter und neuer japanischer Musik. Gerade weil die ausgewählten Stücke die alte japanische Hochkultur so eindrucksvoll abbilden und kenntnisreich vermitteln, seien sie allen Interessierten und Neugierigen mit offenen Ohren wärmstens empfohlen.
Georg Henkel
Besetzung |
Diverse japanische Musiker
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