Sibelius, J. (Segerstam)
Kullervo
ABSCHIED AUF FINNISCH
Was könnte sich der Chef des führenden finnischen Orchesters zu seinem Abschied vom Dirigentenpult nach 12 Jahren für ein passenderes Geschenk machen, als eine Einspielung des Ausgangwerkes der finnischen Nationalmusik schlechthin - Jean Sibelius´ (1865-1957) symphonischer Dichtung Kullervo? Uraufgeführt zu einer Zeit, als es um Finnlands Stolz und Eigenständigkeit nicht zum Besten stand, 1892, greift es zurück auf die zentrale Gestalt des finnischen Nationalepos Kalevala und schildert musikalisch das Leben des Helden Kullervo. Sibelius findet hierfür eine bildgewaltige, nordische Tonsprache und knüpft dabei an die Vorbilder Bruckner und Tschaikowsky an. Dass seine Musik uns ungeachtet dessen typisch finnisch erscheinen möchte, hat nur am Rande damit zu tun, dass Sibelius sich auch von Volkslied-Themen aus seiner Heimat inspirieren ließ. Vielmehr erzielen vor allem der rasche Wechsel von Instrumentalfarben, die zwischen sommerlicher Helligkeit und winterlichem Trübsinn schwankende Atmosphäre sowie der von überwältigenden Natureindrücken erzählende Klangrausch diese Wirkung. Überwiegend an Stimmungen und Episoden interessiert, geht dem Werk allerdings eine konsequente Durchführung oder Entwicklung der Themen, wie sie aus der deutschen Romantik vertraut ist, ab. Die hintereinandergeschalteten musikalischen Bilder gehen zwar ineinander über, ergeben dabei aber weniger ein Gesamtbild als eine Bildfolge. Dem Stoff angemessen greift Sibelius dabei oft zu einem hochdramatischen, teils auch pathetischen Ansatz, so dass das ganze Werk eine Größe und Erhabenheit ausstrahlt, die wesentlich zur begeisterten Aufnahme beigetragen haben dürfte, welche die Komposition bei ihrer Uraufführung erfuhr.
Die Einspielung besticht zunächst vor allem durch ihr räumliches, weit gefasstes Klangbild und vermeidet so den bei diesem üppig besetzten Stück nur allzu leicht entstehenden Klangbrei.
Segerstam schöpft die damit verbundenen Möglichkeiten in der Introduktion allerdings nicht vollständig aus und setzt nicht stets die klaren Schnitte und Akzente, die nötig sind, um der Musik Kontur zu geben. In den anschließenden biographischen Szenen verliert sich dieser Eindruck. Dort überzeugt die Interpretation vor allem durch ihre dramatische, von der klanglichen Schärfe des Streicheraparrats angetriebene Zugkraft, die dem Pathos nur an den Extrempunkten Raum gibt. Das dynamische Spektrum wird effektvoll ausgereizt. Die Bläsereinsätze hätte man sich allerdings hier und dort harrscher gewünscht, dafür kommt das Schlagwerk sehr gut zur Geltung.
Für den Vokalpart (in den Teilen III und V) konnte Segerstam auf bewährte Kräfte zurückgreifen. Die Solisten agieren mit opernhaftem Ton, der Männerchor wechselt geschickt zwischen kriegerischer Intonation und Kirchenchortonfall. Gerade durch ihn gerät der Schlußsatz zu einer erschütternden Szene von wahrer Größe.
Insgesamt also ein würdiges Abschiedsgeschenk für Leif Segerstam und ein gelungenes Plädoyer für ein bei uns kaum bekanntes Werk.
Sven Kerkhoff
Trackliste |
1 Introduktion 14:16
2 Kullervos Jugend 16:33
3 Kullervo und seine Schwester 24:39
4 Kullervo zieht in den Krieg 09:47
5 Kullervos Tod 12:41
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Besetzung |
Soile Isokoski, Sopran
Tommi Hakala, Bariton
YL Male Voice Choir
Helsinki Philharmonic Orchestra
Ltg. Leif Segerstam
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