Schostakowitsch, D. (Petrushansky)
Complete Piano Music
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Info |
Musikrichtung:
20. Jh. Klavier
VÖ: 14.02.2007
Stradivarius / edel 5 CD (AD DDD 1992-2006) / Bestellnr. 8681883
Gesamtspielzeit: 324:28
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Von gläsern bis grimmig: Petrushansky beschwört die komplette Klaviermusik von Schostakowitsch
Der Trend zu Gesamtbestandsaufnahme hält an und hat längst auch Schostakowitsch erfaßt, hier nun zum ersten Mal mit seinem vollstän-digen Klavierwerk. Die Zusammenstellung, die schon in einzelnen Alben vorlag, er-möglicht einen ähnlichen Querschnitt durch seine Entwicklung wie die Zyklen der Streichquartette, der Sinfonien und der Filmmusik. Da sind der intellektuell-aggressive Witz der frühen Präludien, Drei Phantastische Tänze und Aphorismen, die schlagkräftige Maschinenmusik der ersten Sonate op. 12, die fast filmmusikalischen Miniaturen der Klavierstücke für Kinder aus der stalinistischen Eiszeit und dann, als opus summum, die 24 Präludien und Fugen op. 87 aus der Reifezeit der 10. Sinfonie. In den letzten zweieinhalb Lebensjahr-zehnten bleibt das Klavier dann stumm, abgesehen von den unterschwellig-subversiven Glinka-Variationen von 1957.
Ein solcher Querschnitt fordert vom Interpreten insgesamt eine enorme Spannweite und für die Sonaten bzw. op. 87 eine kompetente Konkurrenz zu den Interpre-tationen von Wainberg, Nikolajewa, Scherbakow und Keith Jarrett, aber auch von Schostakowitsch selbst – mehr als eigentlich erwartet werden kann. Diese Musik ist, in Miniatur oder Großform, vor allem Musik, die eine Musik konterkariert, parodiert, transformiert und negiert, die ihrerseits in ihren Formen und Emotionen nur noch Imi-tat und unfreiwillige Parodie ist und so negiert, was einmal Musik gewesen sein könn-te: ein analytisches und böses Als-ob eines Als-ob, Negation einer Negation bis zur völligen Auflösung oder Neuformung. So könnte das kompositorische Ergebnis etwas positives sein, vielleicht. Die komplizierte Reflexivität solcher Kompositionen hörbar zu machen und sie nicht für das zu nehmen, was sie zu sein scheinen – Tänze, So-naten, Miniaturen, „klassische“ Stilübungen –, ist die große Herausforderung an je-den Interpreten. Hört man das bei Boris Petrushansky?
Man hört es weniger in den Phantastischen Tänzen (die Schostakowitsch selbst recht anders eingespielt hat), aber es ist sofort da in den Aphorismen und 24 Präludien: Phrasierung, Anschlag, Agogik – alles stellt Formen und Funktionen in Frage, um nur den irrwitzigen Kanon op. 13,8 oder die Stilparo-dien der Präludien zu nennen, in denen es mahlert und strausst oder auch mal das Stereotyp einer Banda-Musik (op. 24,6) zerlegt wird. All dies gelingt Petruchansky mit einem gläsernen, wenn es sein muß: dünnen Ton, wie ihn der Komponist als Pianist selbst gepflegt hat. Ein Minimalismus mit äußerst feinen Abstufungen, aber auch großer Struktur, wie Petruchansky an den Sonaten vorführt. Köstlich die Kinderstücke op. 69 und ihr fast „automatisierter“ Anschlag, der der kindlichen Puppenmaske kein falsches Leben gibt. Die Präludien und Fugen geben Probleme auf. Jarrett stellt sie analytisch in den Raum, Schostakowitsch selbst präsentiert sie verfremdend und distanziert, als seien sie nicht „seine“ Sache, Nikolajewa oder Scherbakow hingegen machen aus dem Als-ob, das vielleicht mehr sei könnte, ein romantisch-virtuoses Etwas. Petruchansky wirkt hier weniger unentschieden als differenziert, wenn er jedem Zweisätzer ein eigenes Profil gibt. Das C-Dur-Paar kommt eher mystisch daher, die a-moll-Fuge wiederum klirrend virtuos, das e-moll-Paar romantisch (bei Schostako-witsch fast hektisch-beiläufig „überspielt“). Fantastisch der singende Ton im E-Dur- bzw. ges-moll-Paar; das grimmige Des-Dur habe ich selten so sardonisch gehört, ebenso die Parforce-Tour in B-Dur und das finale d-moll, das eher an den ambivalen-ten „Triumph“ der 5. Sinfonie (Tonart!) erinnert. Insgesamt klingen diese schon in den 90er Jahren entstandenen Aufnahmen „russischer“ als die beiden ersten CDs dieser Sammlung. Wer sich damit anfreunden kann, ist mit diesem Zyklus sicher ebenso gut bedient wie mit den kühlen (und bisweilen etwas gleichförmigen) Analysen Jarretts. Fazit: Nach Repertoriewert und Interpretation eine Referenzaufnahme.
Peter Hofmann
Trackliste |
CD 1: 5 Präludien op. 2, Drei phantastische Tänze op. 5, Aphorismen op. 13, Polka op. 22, 24 Präludien op. 34, Puppentänze CD 2: Sonate n. 1 op. 12, Sonate n. 2 h-moll op. 61, Drei Stücke (1920), Notenbuch für Kinder op. 69, Drei Variationen über ein Thema von Glinka (1957) CD 3-5: 24 Präludien und Fugen op. 87 (CD 3: 1-10, CD 4: 11-14, CD 5: 15-24) |
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Besetzung |
Boris Petrushansky, Klavier
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