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Reviews
Bruckner, A. (Eschenbach)

Sinfonie Nr. 4


Info
Musikrichtung: Orchester

VÖ: 01.03.2004

Ondine / Note 1
CD DDD (AD live 2003) / Best. Nr. ODE 1030-2D


Gesamtspielzeit: 73:34



SINFONISCHES WEIHESPIEL: ESCHENBACH ZELEBRIERT BRUCKNERS 4. SINFONIE

Die neun Sinfonien von Anton Bruckner sind für viele Hörer so etwas wie Orchester-Liturgien, Klang-Mystik und Kunst-Religion. Der Kult darum war mir immer etwas suspekt, vor allem der Kult um die Zelebranten dieser Werke. Viele Dirigenten fühlen sich offenbar berufen, Bruckner zu predigen, doch nur wenige werden vom Publikum auch auserwählt.
Für die meisten Brucknerianer heißt der Hohepriester Günter Wand. Statt sich, wie manche seiner Kollegen, in romantischem Geraune zu ergehen und in irgendwie weihevollen, aber auch banalen Klängen zu baden, hat er die Strukturen dieser Musik hörbar gemacht. Wands Bruckner ist klar, vorwärtsdrängend und himmelstürmend, aber auch kantig und schroff. Den Komponisten als klassischen, formbewußten Sinfoniker wiederentdeckt zu haben, ist Wands bleibender Verdienst.

Ganz anderes geht hingegen Christoph Eschenbach zu Werke, der Bruckners 4. Sinfonie soeben mit dem Orchestre de Paris neu eingespielt hat.
Wenn sich der Dirigent wie ein Zen-Meisters auf dem Cover abbilden lässt, dann ist das wohl nicht einfach eine fragwürdige „kultige“ Marketing-Pose, sondern durchaus programmatisch zu verstehen: Der Hörer empfängt Bruckner aus der Hand des Dirigenten, der sich als Erleuchteter (und von allen aufführugspraktischen Erkenntnissen unbeeindruckt) ganz auf seinen Genius bei der Neuerschaffung des Werkes vertraut.
Eschenbachs Genius ist die Macht (oder eben auch Ohnmacht) ostentativer Langsamkeit. Bei den Vortragsbezeichnungen des ersten und letzten Satzes, „Bewegt, (doch) nicht zu schnell“, hat der Dirigent den Schwerpunkt jeweils auf den Nachsatz gelegt. Er beschwört Klangzustände, weniger Klangentwicklungen. Von dieser Statik wird selbst das Scherzo ergriffen, das dann gleichfalls zu einer Kontemplation opulenter Klangsinnlichkeit erstarrt.
In dieser Hinsicht ist diese Einspielung alles andere als asketisch bzw. mönchisch geraten. Der Dirigent lässt das Orchester die Musik mit größter Hingabe aussingen und schwelgt dabei geradezu in feinsten dynamischen und instrumentalen Schattierungen, die Bruckners Romantik in fast impressionistischen Farben leuchten lassen. Überhaupt dominiert hier das Lichtvolle, selbst in den dramatischen, elegischen oder resignierten Momenten. Dass sämtliche Details eine selten gehörte Plastizität gewinnen, statt wie sonst so oft im Streicherklang aufzugehen, ist eine Tugend dieser Live-Aufnahme. Bruckners Kontrapunktik und Orchestrierungskünste habe ich selten eindrucksvoller, auch schöner gehört.
Das ist auf seine Weise atemberaubend, betörend - und in der Schlußsteigerung schier überwältigend. Für alle, die Bruckners Musik als sinfonisches Weihespiel schätzen, dürfte das die richtige Einspielung sein. So weit zur „Macht der Langsamkeit“.

Fragwürdig wird dieser Ansatz aber immer dann, wenn Eschenbach sein Orchester, das hörbar dem natürlichen Bewegungsimpuls der Musik folgen will, künstlich ausbremst, um sein Konzept durchzusetzen (der schwerfällig erste Einsatz der Blechbläser!). Von der vielbeschworenen Freiheit des Interpreten unterscheidet sich die Willkür eben nur graduell. Den himmelwärts stürmenden Bruckner wird man bei Eschenbach nicht erleben, vorenthalten wird dem Hörer auch der orgiastische Überschwang, das Ungeheure und Abgründige von Bruckners Musik.



Georg Henkel



Trackliste
1Bewegt, nicht zu schnell22:44
2Andante quasi Allegretto17:04
3Scherzo (Bewegt)10:41
4Finale (Bewegt, doch nicht zu schnell)23:05
Besetzung

Orchestre de Paris
Ltg. Christoph Eschenbach



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