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Reviews
Britten, B. (Atherton)

Billy Budd


Info
Musikrichtung: Oper

VÖ: 05.04.2004

Arthaus Musik / Naxos
DVD (AD 1988) / Best. Nr. 100 278


Gesamtspielzeit: 155:00



BENJAMIN BRITTEN BESINGT DIE SCHÖNHEIT VON BILLY BUDD

Die Geschichte von Billy Budd, nach einer literarischen Vorlage von Herman Melville, bot dem Komponisten Benjamin Britten eine weitere Gelegenheit, sein Lieblingsthema der vom Bösen bedrohten Unschuld zugleich als subtile Auseinandersetzung mit der eigenen Homosexualität zu verarbeiten.

ARCHAISCHER PLOT

Ort der Handlung ist das englische Kriegsschiff "Indomitable", das 1797 in den Gewässern zwischen England und Frankreich Jagd auf Schiffe der französischen Flotte macht. Tief sitzt die Furcht, die Ideen der Französischen Revolution könnten die Insel erreichen, zumal Napoleon versucht, England durch eine Seeblockade in die Knie zu zwingen. Schon zweimal gab es Meutereien auf anderen englischen Schiffen im Namen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Daraufhin hat man die Kontrollen und Disziplin extrem verschärft, selbst kleine Unachtsamkeiten werden jetzt mit brutaler Härte bestraft. Tiefes Misstrauen herrscht zwischen Schiffsführung und Matrosen, von denen viele nicht einmal freiwillig an Bord sind, sondern gegen ihren Willen in den Kriegsdienst gezwungen wurden. Nur ein gelegentlicher Kampf gegen die französischen „Königsmörder“ und „Atheisten“ vermag die Gruppen für kurze Zeit im gemeinsamen Hass auf den Feind zu einen.
Zu den Verschleppten gehört auch Vollmatrose Billy Budd (Thomas Allen). Er verkörpert in Brittens Oper das Prinzip der Reinheit, Güte, Unschuld - und Schönheit: Die Mannschaft liebt ihn, weil er selbst unter den erbarmungslosen Umständen an Bord seine Menschlichkeit nicht verloren hat; dass er bei Aufregung stottert, macht ihn nur noch menschlicher und liebenswerter. Er ist "ein Licht, das in die Finsternis gekommen ist". Ohne es zu ahnen, zieht Billy deshalb den Hass des sinistren Schiffsprofos John Claggart (Richard van Allan) auf sich, der die Mannschaft mit eiserner Hand unter der Knute hält: "Und die Finsternis hat es ergriffen, und leidet." Claggart nämlich fühlt sich zu Billy hingezogen, der all das verkörpert (im wahrsten Sinnen), was Claggart nicht ist, niemals sein kann. Weil Billy das unmenschliche System Claggarts durch seine bloße Existenz in Frage stellt, will dieser ihn vernichten.
Auf der anderen Seite steht mit Kapitän Vere (Philip Langridge) eine durch und durch tragische Figur. Auch Vere, der versucht, Integrität und Menschlichkeit zu wahren, erliegt dem Charisma von Budd, sieht sich dann aber im entscheidenden Augenblick nicht in der Lage, ihn zu retten: Als Budd Claggart in Notwehr erschlägt, erkennt er darin zwar ein Gottesurteil, doch das königliche Gesetz kennt kein Erbarmen ... Veres Auftritte als alter, von Schuldgefühlen gebrochener Mann eröffnen und beschließen die Oper, die unter diesen Vor- bzw. Nachzeichen vor allem zum Lebensdrama des Kapitän wird.

Lässt man einmal die historische Situation beiseite und reduziert den Plot auf sein Grundmuster, so werden die vielen religiösen und biblischen Anspielungen deutlich, mit denen Britten sein Werk zu einem Erlösungsdrama stilisiert hat. Claggart verkörpert das abgründig Böse, Budd erscheint Vere am Ende als ein Engel. Zwischen diesen Polen gerät er Kapitän der „Indomitable“ schließlich in eine Entscheidungssituation, der er nicht gewachsen ist. Noch im Untergang triumphiert das Böse. Dass Billy Budd Vere am Galgen vergibt, ja für ihn betet, ist für diesen Fluch und Erlösung zugleich.

ZEITLOSE MUSIK, ARCHAISCHE INSZENIERUNG

Regisseur Tim Albery trägt der archaischen Konstruktion der Geschichte durch eine reduzierte Inszenierung Rechnung, die auf einer fast leeren, verhalten ausgeleuchteten Bühne mit nur den notwendigsten Requisiten und einer engagierten Personenführen ein Höchstmaß an dramatischer Spannung erzeugt.
Dabei hat er auch Brittens Musik auf seiner Seite: Für Billy Budd kommt zwar ein großes Orchester zum Einsatz, der Komponist setzt es allerdings sehr ökonomisch ein. Mit kammermusikalischer Transparenz folgt die sinfonisch durchgearbeitete, ausgesprochen farbig instrumentierte Musik den Charakteren, Motiven und Situationen. Dass der Komponist auf (wenn auch gebrochen) pathetische Gesten und eine unmittelbar ansprechende Emotionalität nicht verzichtet, spricht für sein inneres Engagement.
Britten war vielleicht kein Neuerer, aber ein Erneuerer: Die musikalischen Topoi klingen bei ihm gewissermaßen zeitlos, stets unverbraucht und inspiriert. Vor allem in den instrumentalen Zwischenspielen schafft der Komponist wie schon in Peter Grimes eindrucksvolle, suggestive Klangbilder: musikalische Psychogramme und atmosphärische Seestücke in einem.

Dass diese Produktion atmosphärisch dicht und bewegend geriet, verdankt sich nicht zuletzt den hervorragenden Sängerleistung von Thomas Allen, Philip Langridge und Richard van Allen, die auch als Schauspieler überzeugen. Dank des ausgewogenen, präsenten Klangbildes und einer gut abgestimmten Kameraführung kann man sich von den Qualitäten dieser inzwischen 16 Jahre alten Produktion aus der English National Opera auch am heimischen Bildschirm überzeugen.



Georg Henkel



Besetzung

Philip Langridge (Captain Vere)
Thomas Allen (Billy Budd)
Richard van Allan (John Claggart)
Neil Howlett (Mr. Redburn)
Philip Guy-Bromley (Mr. Flint)
Clive Bayley (Mr. Ratcliffe)
Edward Byles (Red Whiskers)
Mark Richardson (Donald)
John Connell (Dansker)
Barry Banks (Novice)
u. a.

English National Opera Chorus
English National Oper Orchestra

Ltg. David Atherton

Bühnen-Regie: Tim Albery
DVD-Regie: Barrie Gavin


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