Der Spatz aus Solothurn Chris „Ich-wäre-gerne-eine-Nachtigall“ von Rohr wuchtet 600 autobiographische Seiten in die Regale
Chris von Rohr hat im Musikbusiness eine Karriere vorgelegt, wie manch ein erfolgreicher Fußballspieler – vom Spieler zum Trainer. In der Schweiz ist er heute – wenn man seinen Erzählungen trauen darf - ein bunter Hund, der mit Himmel Hölle Rock’n’Roll sein drittes autobiographisches Werk vorlegt, das, wenn ich einige Andeutungen im Text richtig verstanden habe, die beiden Vorgänger aufnimmt, überarbeitet und ergänzt. Chris von Rohr ist der klassische Rockstar, dessen Karriere damit beginnt, dass er gegen die gerade vorhandenen Autoritäten (in seinem Fall vor allem die Bildungseinrichtungen) rebelliert und einen eigenen Weg sucht. Den findet er nach einigen weniger erfolgreichen Versuchen in der Band Krokus, die er bis in die (niederen) Etagen des Rock-Olymps führt, gekrönt von einer US-Stadien-Tour mit Def Leppard und Gary Moore. Von Krokus geschasst stürzt von Rohr in ein größeres Loch, rappelt sich auf und veröffentlicht eine erste Autobiographie und ein Soloalbum. Ein Neustart mit Krokus scheitert, aber von Rohr erklimmt den Posten des Produzenten von Gotthard. Er domestiziert die Hard Rocker auf ein Radio-taugliches Format und kreiert damit einen megaerfolgreichen Act in der Schweiz und einigen weiteren Regionen Europas. Aber auch dort wird ihm irgendwann der Stuhl vor die Tür gestellt. Mittlerweile ist der Rocker in der Schweiz aber eine Person des öffentlichen Interesses. Er darf einen Platz in der Jury von Talentshows einnehmen und wird – mittlerweile deutlich im regulären Rentenalter - die Quotenlederjacke im Goldenen Blatt der Schweiz. Von Rohr verzichtet auf jeden Ghostwriter. Schreiben und Reden kann er nicht nur, das gehört einfach zu seiner Persönlichkeit. Der Schweizer ist niemand, der unbeachtet oder gar am Rande einer Gesellschaft stehen bleibt. Er ist der Hans Dampf in allen Gassen, liebt es sich als rebellisch unangepasst darzustellen und lässt kein Rock-Star-Klischee aus. Zu ihm gehören große Autos, viele (vor allem gleichbleibend junge) Frauen, Drogen und natürlich das Glänzen im Lichte anderer Sterne des Business. Da gibt es dann auch eine längere Strecke von Fotos nach dem Motto „Ich und …“. Sicher wird man bei einem derartigen Buch nicht mit dem völligen Verzicht auf Jägerlatein rechnen dürfen, allerdings wirkt Himmel Hölle Rock’n‘Roll um vieles realistischer, als z.B. die Biographien von Mötley Crüe und Nikki Sixx. Fast 600 Seiten hat Chris von Rohr zu erzählen - im edlen Hardcoverbuch natürlih mit Lesefaden. Eingeschossen sind drei Fotostrecken. Das hat den Vorteil, dass die Fotos farbig auf qualitativ hochwertigem Glanzpapier gedruckt sind; aber auch den Nachteil, dass sie aus dem Kontext gerissen erscheinen, der auch durch die Beschriftung nicht immer herstellbar ist. Kleine Hinweise im Texte (s. Bild auf S. xxx) fehlen völlig. Chris von Rohr hat eine riesengroße Klappe, fühlt sich ungeheuer cool und weiß im Zweifelsfalle alles besser. Daran lässt er nicht den kleinsten Zweifel aufkommen. Und wenn man sich nur ordentlich mit ihm identifiziert, macht es beim Lesen natürlich auch mächtig Spaß Neider, Gegner und Spießer in den Seilen landen zu sehen. Und der als Outcast Gestartete fühlt sich völlig mit sich im Reinen, wenn er im gesetzteren Alter plötzlich an jeder Peinlichkeit der Unterhaltungsindustrie teilnimmt. Es erscheint fast überraschend, dass es keinen Auftritt im Dschungelcamp gibt. Dass das ein Problem ist, weiß er selber, aber er verteidigt auch das mit dem ihm innewohnenden manchmal an Größenwahn grenzenden Selbstbewusstsein. Etwas anstrengend ist sein Bemühen die Coolheit seines Lebens in einer Art Lindenberg-Sprech über die Rampe zu bringen. Kaum eine im Buch erscheinende Person kommt ohne „coolen“ Middle Name weg. (z.B.; S. 127, Freddy "You got the groove" Studer und Bobby "Ich habe Miles die Hand geschüttelt, Jagger am Flughafen abgeholt und mit Bowie gegessen" Leiser) Das ist die ersten drei Mal ja ganz lustig. Aber auf die Dauer anstrengend zeigt dies vor allem, dass Chris von Rohr eben kein Lindenberg ist, bzw. dass zwischen den beiden so in etwa der gleiche Unterschied besteht, wie der zwischen Hamburg und Solothurn. Spaß beim Lesen hat man trotzdem genug – auch für 600 Seiten! Norbert von Fransecky |
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