Ernst Hofacker führt durch die Musik der 70er Jahre
Sich musikalisch mit den 70ern zu beschäftigen ist eine dankbare Aufgabe. Wohl kein Jahrzehnt war so offen, vielfältig und experimentierfreudig, wie die Jahre zwischen 1967 und 1977. Es ist bei der Themenstellung, die sich Hofacker gestellt hat, also kaum zu verhindern, dass hier ein buntes Kaleidoskop von interessanten und unterhaltsamen Geschichten und Geschichtchen entsteht. Und so macht es über weite Strecken auch einfach Spaß Die 70er zu lesen. Wenn man – wie ich – gerne auch im Bett liest, kann das Lesen allerdings ein wenig zur Tortur für die Arme werden. Denn Reclam haben den Text auf gutes schweres(!) Hochglanzpapier drucken lassen. Ich weiß nicht, ob Hofacker sich den Untertitel für sein Buch selber ausgesucht hat. Er ist natürlich Blödsinn. Was für jedes Jahrzehnt gilt, gilt für die 70er im besonderen Maße. DEN Sound der 70er gibt es nicht. Dem trägt Hofacker aber auch Rechnung. Sein Buch hat eine Doppelstruktur. Vordergründig ist das Buch in zehn Kapitel aufgeilt – recht logisch beginnend mit 1971 und endend mit 1979. Diese starre Chronologie wird aber schnell aufgebrochen, das macht bereits das Inhaltsverzeichnis deutlich. Jedes Kapitel hat sein Thema. 1971 sind es die Singer/Songwriter, 1973 der Krautrock, 1974 der Reggae, 1976 der Punk, 1978 der HipHop und so weiter. Natürlich kann man diese Themen nicht so konsequent auf einzelne Jahre begrenzen. Selbstverständlich hat es 1974 noch Singer/Songwriter gegeben, 1976 noch Reggae und 1979 noch Punk. So werden die Jahre eher zu Stichwortgebern für Hofacker, um sich in jedem Kapitel mit einem für die 70er Jahre relevanten musikalischen Thema zu befassen. Da er sich jeweils bemüht hat die Themen an einem wichtigen Ausgangs- oder Startpunkt (und nicht an seinem Höhepunkt) zu verankern, erlebt man so doch eine gewisse historische Entwicklung mit, auch wenn die Chronologie durch die thematisch gebotenen Vorgriffe auf die sich über Jahre erstreckenden Entwicklungen des jeweiligen Stils aufgebrochen wird. Im Vorwort verspricht Hofacker hinter die Kulissen zu schauen, da sich die musikalische Entwicklung nicht einfach an den Listen der Hitparade ablesen lässt. Aber ich denke, das ist für jeden, der zu einem Buch über eine (Musik)Epoche greift, eine fast schon banale Selbtverständlichkeit. Und gerade in den 70ern war die Unterscheidung von „Single-Bands“, die die Charts dominierten, und LP-Bands, die sich zum Teil sogar weigerten Singles zu veröffentlichen, so wichtig wie in wohl keiner anderen Epoche. Und nie fühlten sich die LP-Band-Hörer so sehr als die besseren, als in der Zeit von frühen(!) Pink Floyd, Yes, Genesis, Miles Davis, Can, aber auch Deep Purples, die ihre 3-Minuten-Songs auf den (damals) wichtigen Live-Scheiben gerne auf eine halbe Stunde ausdehnten, und nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Gitarren- und Orgel-Wichserei geliebt wurden. Und so kommt zumindest für denjenigen, die sich schon in gewissem Maße mit der Musik der 70er Jahre beschäftigt hat, oder gar mit ihr aufgewachsen ist, wenig Neues zu Tage. Es sind die üblichen Verdächtigen, die abgegessen werden - und eben nicht Smokie, die Bay City Rollers und andere Single-Chart-Topper. Für die 70er Nerds mag vor allem die intensive Beschäftigung mit dem HipHop ungewohnt sein und schon viel zu viel vom Sound der 80er Jahre in den Blick nehmen. Das macht den Spaß am Lesen nicht zunichte. Ein großer Teil der Leser wird soundso mit nostalgischen Gefühlen an das Buch herangehen und die Neu-Begegnung mit Altem, zum Teil Selbsterlebtem, genießen. Und da bietet Die 70er. Der Sound eines Jahrzehnts einen gut informierten hintergründigen und illustrativen Blick auf eine spannende Zeit. Im Gegensatz zu manch einer Publikation über die 70er Jahre, bei der man in psychedlischer Optik ertrinkt, hält sich Hofacker bei der Illustrierung weitgehend zurück. Das Buch ist im positiven Sinne textlastig – und liefert pro Jahrzehnt im Schnitt wohl nicht einmal fünf Fotos. Etwas fragwürdig sind einige Beispiele, wo statt eines Fotos neun oder zwölf Standbilder eines Videos abgedruckt sind, die insgesamt nur die Größe eines Fotos haben. Die Erkennbarkeit ist da doch eher dürftig. Eine zweite Fragwürdigkeit sind die „Zeitleisten“ am Ende eines jeden Kapitels, in denen ein gutes Dutzend Ereignisse des jeweiligen Jahres aufgeführt werden. Die Auswahl dieser Ereignisse ist mehr als strange. Wichtigkeit oder Relevanz hat hier wohl keine Rolle gespielt. Da befinden wir uns dann eher auf einem Niveau zwischen Trivia und goldenem Blatt. Das Buch schließt mit einem ausführlichen Register der angesprochenen Bands und Künstler. Das Vorwort versucht eine kulturelle und gesellschaftspolitische Einordnung. Norbert von Fransecky |
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