Dänen-Western: Lee van Cleef und Mythic Sunship in Jena
Nanu, ist der aus diversen Sergio-Leone-Klassikern bekannte, laut den gängigen Enzyklopädien aber bereits lange verstorbene Schauspieler Lee van Cleef auferstanden? Nein – er gibt „nur“ den Namenspatron für eine italienische Band ab, die an diesem quasi sommerlichen Freitagabend im Jenaer Kulturbahnhof gastiert. Das Wetter führt auch zur Prognose eines wahrscheinlich relativ leeren Clubs, aber es findet sich letztlich doch ein erkleckliches Publikum zusammen, begünstigt möglicherweise noch durch die Tatsache, dass der am gleichen Abend anstehende Gig von Eisenpimmel im Rosenkeller, einem traditionellen Studentenclub der Saalestadt, kurzfristig gecancelt wird und die zwar kleine, aber nicht nonexistente Schnittmenge der Interessengruppen mit Lee van Cleef zumindest eine Alternative hat. Als Support agieren Mythic Sunship, die laut Eigendefinition „crude jams & cosmic vibes“ bieten. Mit letzteren passen sie ja schon mal prima in die Agenda des Veranstalters Cosmic Dawn, und das mit den Jams ist so eine Sache. In schätzungsweise einer Dreiviertelstunde Spielzeit bekommt das Quartett exakt vier Songs unter, von denen der erste, als nach mannigfachen Vorbereitungen der schnelle geradlinige Grundbeat erreicht ist, selbigen auch für zehn Minuten beibehält und nur in den letzten Minuten in ein genauso geradliniges Midtempo herunterschaltet. Hier entsteht quasi der Eindruck, man habe eine urlange Live-Jamsession von Wishbone Ash oder Thin Lizzy vor sich – wie diese beiden arbeiten auch die Dänen ohne einen Keyboarder, dafür mit zwei Leadgitarren, die auch fast dauernd im Leadeinsatz sind und nur selten mal basischen Riffkrach machen. Aufgrund des glasklaren Soundgewands kann man die Strukturen auch sehr gut nachvollziehen, was sich in den Folgesongs gleichermaßen als nutzbringend erweist, denn die steigern den Komplexitätsgrad vor allem der Rhythmusarbeit deutlich, und speziell Song 3 verlangt dem Drummer einiges an Arbeit ab, was ihn freilich nur ein Lächeln kostet und ihn nicht zwingt, seine sparsame Körperarbeit wesentlich zu intensivieren. Vor selbigem hatte der rechte Gitarrist, der für die Ansagen verantwortlich zeichnet und deshalb ein Mikrofon vor sich hat, das allerdings während der Songs ungenutzt bleibt – die Dänen arbeiten rein instrumental –, augenzwinkernd bemerkt, bisher sei der „mythic part“ erklungen, und jetzt komme der „sunship part“. Falls auch der letzte Song noch zum „sunship part“ gehört haben sollte, unterscheidet er sich doch in der Herangehensweise massiv vom dritten: Die Komplexität sinkt wieder, und ein doomiger Aufbau führt letztlich in einige lehrbuchreife Steigerungen und ein vergleichsweise großes Finale. Die Stimmung im Saal ist exzellent, eine Zugabe wird angesichts der durchschnittlichen Songlänge aber von allen Seiten primär gar nicht erst erwogen. Nach dem Gig unterhält sich der Rezensent noch mit der Band und erfährt, dass die Bemerkung mit den Jams durchaus ernst gemeint war: Es gibt vier verschiedene Songanfänge, die Musiker einigen sich auf einen und jammen dann drauflos – das führt dann dazu, dass, obwohl Mythic Sunship schon drei Alben veröffentlicht haben, an diesem Abend nur sehr wenig von deren Musik erklungen ist – genau genommen nur Song 3, der einen Mix der beiden Albumtracks „Ophidian Rising“ und „Cosmic Rapture“ darstellt. Die anderen drei Songs sind noch unkonserviert, tragen Arbeitstitel wie „Göttsching“ oder „Berlin“, verändern sich während der laufenden Tour (es ist der 15. Gig in 16 Tagen, am Folgetag steht der letzte in Berlin an) dauernd und werden auf der nächsten Tonkonserve noch einmal anders klingen, weil da als fünfter Musiker noch ein Tenorsaxophonist hinzukommt. Für so eine Herangehensweise braucht man exzellente Musiker, die die vier Dänen trotz allen Understatements offensichtlich auch sind (wobei der Drummer von Haus aus eigentlich Gitarrist und Keyboarder sei), und als eingespielte Einheit präsentieren sie sich ebenso. Daumen hoch! Lee van Cleef geben als Einflüsse Bands wie Earthless, Black Bombaim und Harsh Toke an, und der Rezensent outet sich, dass er jene ebensowenig kennt wie La Powder Di Botélé, Efesto, Lamarck und Whiskeycold Winter, in denen die drei Neapolitaner sonst noch tätig sind. Auch sie haben ihren Ursprung allerdings in Jamsessions, was man der Musik noch heute anhört: Das Material des bisher einzigen Albums Holy Smoke (nein, da steckt keine Iron-Maiden-Coverversion dahinter, und es dürfte sich auch nicht um die Vertonung eines Ausbruchs des Vesuv oder der Phlegräischen Felder handeln) bildet zwar das Gerüst des Sets, wird aber regelmäßig für längere Solopassagen des Gitarristen aufgebrochen. Der hat als einziger Musiker auch ein Mikrofon vor sich stehen und nutzt dieses gelegentlich tatsächlich für Gesang, aber diese Momente bleiben selten und spielen im Gesamtkontext eine so geringe Rolle, dass es wohl kein Zufall ist, dass sie ziemlich weit im Hintergrund des ansonsten wieder sehr klaren und gut ausbalancierten Klangbildes stehen, sondern Absicht – und etliche der Songs bleiben auch gleich von vornherein instrumental. „Hard Psych Rock“ lautet die Eigendefinition, aber so viel Psychedelic findet sich weder im Albummaterial noch in dessen Liveumsetzung. Statt dessen bewegen sich die Italiener in überraschend niedrigtempigen Gefilden, nur selten hebt der Drummer die Schlagzahl mal etwas an, und es bleibt eher der Wunsch haften, Lee van Cleef in die Doomschublade einzusortieren, wenngleich dafür die richtig düstere Wirkung eigentlich fehlt. Es dauert eine Weile, bis man sich in die musikalische Welt des Trios eingehört hat – dann aber entfalten sie live eine Art Sogwirkung, die nicht mal durch diverse längere Gitarrenstimmpausen, welche niemand mit Ansagen überbrückt, entscheidend unterbrochen wird. Neben dem Albummaterial kommt auch ein noch unkonservierter neuer Song zum Zuge, der sich „White Bear’s Revenge“ oder „White Bird’s Revenge“ nennt (so ganz eindeutig ist die akustische Lage an der Stelle nicht) und die Tugenden des Triosounds nahtlos weiter pflegt. Das Publikum ist offenbar in der Lage, den erst nach eingehendem Lauschen offenbar werdenden Charme der Band korrekt wahrzunehmen, zeigt sich begeistert und fordert eine Zugabe ein, die mit „Spoiler“ auch gewährt wird – gleichfalls ein noch unkonservierter und fürs nächste Album vorgesehener Song, bei dem nicht ganz klar ist, ob er wirklich „Spoiler“ heißt oder die Ansage so gemeint war, dass er einen Spoiler für das besagte nächste Album darstellt. Egal wie – der Gig ist klasse. Roland Ludwig |
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