Zwei Exoten und ein Schwergewicht: Das Leipziger Hochschulsinfonieorchester spielt Weber, Penderecki und Bruckner




Info
Künstler: Sinfonieorchester der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Zeit: 31.03.2017

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater FMB

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Geht es im Orchesterbetrieb um Solokonzerte, so dominieren kompositionsseitig seit dem 19. Jahrhundert als Soloinstrumente Violine und Klavier – der Rest der Instrumentenwelt muß sich mit einem gewissen Exotenstatus zufriedengeben, obwohl das in den Jahrhunderten zuvor durchaus anders aussah, wenn man sich etwa den barocken Fundus der Flötenkonzerte vor Augen führt. Das Leipziger Hochschulsinfonieorchester hievt nun mit seinem Konzert zum Auftakt des Sommersemesters zwei dieser Exoten ins Rampenlicht und koppelt sie mit einem Schwergewicht der traditionellen Sinfonik.

Hört man den Namen Carl Maria von Weber, denkt man heute natürlich primär an sein Opernschaffen – aber der Mann hat natürlich noch viel mehr geschrieben und mit dem Konzert für Fagott und Orchester F-Dur op. 75 auch einen der genannten Instrumentenexoten bedacht, der weiland anno 1811 freilich als Soloinstrument noch nicht ganz so subdominant war, da es beispielsweise auch vom großen Mozart ein Fagottkonzert gibt. Webers Konzert entstand 1811 für Georg Friedrich Brandt, der es mit der Münchner Hofkapelle auch uraufführte. Solist an diesem und dem nächsten Abend in der Hochschule (das Programm wird wie immer zweimal gespielt) ist der junge Schweizer Philipp Hösli, derzeit Meisterklassenstudent an der Leipziger Musikhochschule. Der braucht im ersten Satz (Allegro ma non troppo) nach der sowohl im schnellen als auch im langsamen Teil recht eleganten Orchestereinleitung ein wenig, bis er seine Einsätze mit dem Pauker synchronisiert hat, aber nachdem das gelungen ist, hinterläßt das gemeinsame Schaffen einen durchaus sicheren Eindruck, auch wenn einige Spitzentöne leicht gequält anmuten. Die sich bisweilen breitmachenden Ahnungen traditioneller Generalbaßstrukturen verdeutlichen, daß Weber die Vergangenheit durchaus kennt, und schlagen einen Bogen zur Alten Musik, die freilich noch nicht so stark vor dem Balanceproblem des Soloinstrumentes mit dem „Rest“ des Orchesters stand. Diese Balance ist an diesem Abend im ersten Satz gewissen Schwankungen unterworfen, gelingt im langsamen zweiten Satz (Adagio) aber durchgängig besser. Dirigent Matthias Foremny wählt ein weit unten liegendes Grundtempo und ermöglicht dadurch einen Effekt der Lieblichkeit – für das klangspektrumsseitig eher schräge Duett des Solofagotts mit dem Horn können die Beteiligten dieses Abends ja nichts. Dafür schafft es Hösli, eine ganze Menge Spannung in die langen Töne der Kadenz zu legen. Fast attacca hängt der dritte Satz (Rondo-Allegro) an: Das Orchester groovt locker, der Solist geht mit, und selbst der Dirigent beginnt auf seinem Podest zu tänzeln. Die Kontraste der kammermusikalisch anmutenden Passagen zu den Tutti arbeitet Foremny sehr markant heraus, auch die Tempoverharrungen sitzen nunmehr wie eine Eins, und der Fortgang des Satzes bis zum Ende atmet eine Menge Witz, auch wenn Hösli nun wieder gegen den geballten Orchesterklang keine Chance hat. Aber das ist sozusagen systembedingt und beeinträchtigt den guten Gesamteindruck kaum.

Matthias Foremny, Dirigierprofessor an der Hochschule, ist für launige Moderationen und Werkerklärungen bekannt, und nachdem man sich schon gefragt hatte, ob er dieser Tradition diesmal untreu würde, weil es zu Konzertbeginn nichts dergleichen gab, so löst sich das Rätsel jetzt: Die Erläuterungen zum Weber-Werk liefert der Dirigent sozusagen im Nachgang und geht dann gleich zu denen über das zweite Werk weiter: das Concerto per flauto ed orchestra da camera von Krzysztof Penderecki, komponiert anno 1992 und nur aus einem Satz bestehend. Die Kammerorchesterbesetzung führt dazu, daß sich die Bühne etwas leert – aber es kommen 19 Rototoms zum Einsatz, eines von mehreren Instrumenten, mit denen die Soloflöte zu dialogisieren hat. Unüblich für ein Solokonzert, führt nicht das Soloinstrument ins Werk ein, sondern die Orchestersoloklarinette, die mit den anderen Orchester-Holzbläsern eine Unterhaltung anstimmt, welchselbige allerdings bald von Filipa Lima und ihrer Soloflöte abgewürgt wird. Das ist, so stellt man bald fest, auch das Grundkonzept das Stückes: „Wettrennen zwischen der Flöte und ihren Begleitern“ nennt der Werkinfotext das, in der Realität hört es sich aber eher nach Streit an, der nicht selten mit Geschrei (= Spitzentönen, durchaus nicht nur von der Flöte, sondern auch von anderen Instrumenten, etwa der Trompete) einhergeht und in dem die Soloflöte immer das letzte Wort zu behalten sucht (man hat den Eindruck, sie schreit „Ruhe!“), was mit einer laufenden Steigerung des Hysteriefaktors korrespondiert, den nur selten ein harmonisches Miteinander ablöst, etwa im zentralen Andante, das allerdings auch einige Schreckeffekte für den Hörer bereithält. 25 Minuten fast durchgängiger Streit ermüden freilich auch den hartgesottensten Hörer irgendwann, und man ertappt sich irgendwann dabei, auf Durchzug zu schalten und nur noch die Momente zu suchen, in denen Penderecki auf einige schostakowitsch-artige Elemente zurückgreift. Dafür kann die kleine, in ein langes fleischfarbenes Kleid gehüllte Solistin, gleichfalls derzeit Meisterklassestudentin in Leipzig und im Vorfeld sogar mit dem Komponisten über diverse Aufführungsdetails beraten habend, natürlich nichts, und an Ausdruckswillen läßt sie es durchaus nicht mangeln. Ihr Einsatz wird mit viel Applaus belohnt, so daß sie auch noch eine Zugabe auspackt, ein Stück aus ihrer portugiesischen Heimat: The Panic Flirt von Alexandre Delgado, das mit perkussiven und schnaufenden Geräuschen das Spektrum noch etwas erweitert und in seinen wenigen Minuten mehr Humor auffährt als das ganze Flötenkonzert Pendereckis.

Anton Bruckners 6. Sinfonie steht nach der Pause auf dem Programm – eine eher selten gespielte Sinfonie, die im Schaffen des großen Österreichers ein bißchen im Schatten zwischen der markanten Fünften und dem mit der Siebenten einsetzenden gewaltigen Spätwerk siedelt und daher weniger häufig auf den Spielplänen angesiedelt ist als jene. Insofern freut man sich natürlich prinzipiell über die Gelegenheit, sie wieder einmal live zu hören, auch wenn an diesem Abend die Einleitung des 1. Satzes erstmal ungewollt so anmutet wie das Penderecki-Werk. Bis zum Hauptthema hat Dirigent Foremny aber wieder alle Musiker des mittlerweile recht großen Apparates an der Leine, und das ist auch nötig, denn er siedelt dieses Hauptthema schon sehr weit oben auf der Dynamikskala an. Auch in der Folge setzt er stärker auf Kontrast- als auf Zusammengehörigkeitswirkungen: Generalpausen (von denen es hier allerdings deutlich weniger gibt als in diversen Schwesterwerken Bruckners) werden ausgespielt und hervorgehoben, Tuttieinsätze erfahren kaum eine Vorbereitung, dafür die blockweise Struktur eine Herausmodellierung, und der Kontrast der lauten zu den leisen Passagen führt dazu, daß man die Satzbezeichnung „Majestoso“ nur bedingt ernstzunehmen geneigt ist. Im Satzschluß liegt dann schon so viel Energie, daß man sich fragt, ob die im Finale denn noch übertreffbar sei.
Vor das Finale aber hat der Komponist natürlich noch zwei andere Sätze gesetzt. Und siehe da, im zweitplazierten Adagio läßt Foremny das Orchester plötzlich Elemente entfalten, von denen man sich im ersten Satz vielleicht einen Deut mehr gewünscht hätte. Das Tempo liegt weit unten, aber nicht weit genug, um die Feierlichkeit in Trauer umschlagen zu lassen, und der Trauermarsch gewinnt seine Wirkung gerade aus der Zurückhaltung. Das Tempo bleibt allerdings variabel, und man kann lange überlegen, was es mit den minimalen Tempovariationen im zweiten Trauermarschthema auf sich hat. Nicht alles klappt spielerisch ganz perfekt (da eiern etwa die Hörner mal ziemlich herum, beweisen später allerdings auch ihre Qualitäten), aber allein schon über die lehrbuchreifen Steigerungen freut man sich definitiv, die Blechchoräle haben ein Klasseniveau, und im Piano-Satzschluß liegt etliches an Spannung.
Wurde dieses Adagio schon von Bruckners Zeitgenossen bei der einzigen Teilaufführung der Sinfonie während der Lebzeiten des Komponisten geschätzt, so taten sich die Hörer mit dem Scherzo deutlich schwerer. Foremny bietet an diesem Abend eine äußerst gekonnte kurzdistanzige Entwicklung von ganz unten zum großen Gedonner, hält den Tuttilärm aber trotzdem ziemlich durchsichtig. Die Hörner schleppen wieder etwas, zeigen aber vor allem im Trio, was sie können, wenngleich sie diesen Teil auch nicht zugänglicher machen (da hatte Bruckner in andere seiner Sinfonien deutlich leichter faßliche Trios in die Scherzi gepflanzt – vielleicht ein Grund für die Überforderung der zeitgenössischen Hörer), zumal der Dirigent hier auch keine ganz klare Linie fährt, und in der Wiederkehr des Scherzos schraubt er die Dynamikgrenze abermals weit hoch.
Letzteres rächt sich dann im Finale: Um überhaupt eine Gesamtdynamik hinzubekommen, muß Foremny schon in den ersten Energieausbrüchen das Orchester ans Limit führen. Das hindert ihn natürlich nicht, hier auch wieder sehr strukturdominiert zu arbeiten, wobei die Strategie eher der des ersten Satzes folgt, also Blockstruktur plus Betonung der Brüche, wenngleich sich auch hier einige exzellente Schwell-Abschwell-Strukturen finden, die als Einzelteile ausgezeichnet gelingen, während man beim Rest irgendwie nicht so richtig weiß, wie der große Plan denn nun aussieht. Folgerichtig ist dann zum Schluß auch keine Energiereserve mehr da, und so endet das Werk nach allerdings brillant herübergebrachten Schwenkungen in eine Scheinapotheose eben nicht mit dem totalen Höhepunkt, was freilich das Publikum im nicht ganz gefüllten Großen Saal der Hochschule nicht davon abhält, sofort in Applaus auszubrechen. Insgesamt keine schlechte Aufführung, aber partiell irgendwie planlos wirkend und nur im Adagio richtig ergreifend.


Roland Ludwig



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