„Ich heiße Erik Satie, wie alle Menschen." - das Editorial zum 150. Geburtstag eines zeitlos Unzeitgemäßen!
Erik Satie, ein ewig Junggebliebener, der in eine alte Zeit hineingeboren wurde (wie er es selbst ausdrückte). Satie, der Sonderling, der zum Schutz gegen Überfälle immer einen Hammer bei sich trug. Der verarmte Eremit und Messie, der in einer winzigen Wohnung zwischen gesammeltem Krempel, verlorenen Partituren, zwei übereinandergestellten Klavieren und unzähligen kaligraphisch fein gestalteten Zettelchen mit Anzeigen für nichtexistente Unternehmen und ominöse Institutionen lebte. Der Gewitzte, der seine musikalischen Einfälle unterwegs auf seine Hemdmanschetten notierte. Der konsequente Melonen-Träger, Stockschirm-Verwender und Cordsamtanzug-Liebhaber (sein einziger Luxus). Der Alkoholiker, der an Leberzirrhose starb.
Satie, der Mystiker, der als Hauskomponist des Rosenkreuzerordens tätig war und dessen Gymnopédies und Gnossiennes das Publikum seit Jahrzehnten entrücken, dessen umfangreiches Klavierwerk von Starpianisten aber meist gemieden wird. Der kindliche (aber nicht kindische) musikalische Provokateur, der viel vom Varieté und Kabarett gelernt hat. Der Gelegenheitsmusiker, der nach eigenem Bekunden als bezahlter Krachmacher sein Brot verdiente. Der vorbildlose Erfinder einer unpersönlichen Musik, die das Hohe und das Banale zwanglos vereinigte und noch aus diversen Leibesertüchtigungen Musik machte (so im Klavierzyklus Sports et Divertissements). Satie, der Humorist und Ironiker, der unter anderem drei Stücke in Form einer Birne, einen köstlich geschmacklosen Walzer, eine bürokratische Sonatine und schlaffe Präludien für einen Hund, sowie die 840 Mal zu wiederholenden Quälereien komponierte (die Uraufführung 1963 dauerte fast 19 Stunden und wurde von 10 Pianisten im Schichtbetrieb realisiert). Der bildende Künstler, dessen Partituren oft kleine grafische Meisterwerke voller skurriler Spielanweisungen sind (Verändern Sie nicht Ihren Gesichtsausdruck, erbleichen Sie in der Magengrube).
Der Anti-Anti-Zeitgenosse von Debussy, Ravel und Stravinsky, der mit seiner transparenten, pathosfreien und bewusst einfach gehaltenen Musik Abstand hielt zu allem seinerzeit Modernen und dadurch in vielem die spätere Moderne vorwegnahm: Dada und Surrealismus, Ambient, Minimalismus und Pop. Der lange Zeit Belächelte und Ignorierte, den jene Musikwissenschaft, die nicht hinhört, sondern nur Partituren studiert, überhaupt erst seit den 1980er Jahren richtig zur Kenntnis genommen hat. Wie sagte es John Cage so schön: „Es geht nicht darum, ob Satie relevant ist. Er ist unerlässlich.“ Selbst ein alter Zwölfton-Miesepeter wie Theodor W. Adorno konnte Satie seine Anerkennung nicht gänzlich verweigern: „In den schnöden und albernen Klavierstücken Saties blitzen Erfahrungen auf, von denen die Schönbergschule nichts sich träumen lässt.“
Dieses Jahr nun feiert dieser zeitlos-unzeitgemäße und rätselhafte Erik Satie am 17. Mai seinen 150. Geburtstag. Und vielleicht würde er sich mehr denn je als allzu junger Bewohner einer in die Jahre gekommenen Welt fühlen, die sich in der Erschaffung so vieler Neo- und Retroinkarnationen gefällt, die entweder absichtlich provozieren, oder sich einfach den müde gehörten Ohren bequem anbiedern möchte (wo Satie einfach stets Satie war, was für ein Erleuchtungserlebnis oder einen entzückenden kleinen Skandal völlig genügte).
Satie hören? Kein Problem! Beim Klavierwerk empfehlen sich die Gesamteinspielungen von Aldo Ciccolini (der Klassiker in analog oder digital, EMI) oder Jean-Yves Thibaudet (Decca).
Einen schönen pianistischen Querschnitt mit kammermusikalischen Extras und Gesang bietet Alexandre Tharaud (Harmonia Mundi).
Extremer, aber auf ihre Weise sehr gelungen sind die ausgewählten Ausflüge von Reinbert de Leeuw (eine Doppel-CD der frühen "mystischen" Stücke bei Philips, dann noch einmal aus neuerer Zeit bei Etcetera; jüngst folgte noch ein Liederalbum inklusive des späten Socrate mit Barbara Hannigan bei Winter&Winter) und Patrick Cohen (auf einem historischen Flügel beim Label Glossa).
Für die Orchesterwerke ist die Einspielung von Jérôme Kaltenbach (Naxos) eine Empfehlung, darunter das skandalträchtig mit Geräuschen ausgestattete Ballett Parade. Und wer Saties Werke einfach komplett haben möchte, der greife bei Erato zur 10-CD-Box zum Sonderpreis.
Ich bin mir sicher: Satie würde MAS gefallen, auch wenn er die Zuordnung zur Klassik-Sparte wohl eher mit Staunen zur Kenntnis nähme. Auf jeden Fall steht seine „weiße Musik" (O-Ton Satie) in einem schönen Kontrast zum schwarzen Metalsound, der wie immer auch in der jüngsten Ausgabe unseres Magazins vertreten ist. Um aber zwischen allem Klingeling und Dingelingelong die scheppernde Spreu vom musikalisch nahrhaften Weizen trennen zu können, hat sich das MAS-Team durch die Neuerscheinungen sämtlicher Genres gehört, hat Konzerte von Ten Years after, Udo Dirkschneider und Donovan besucht, Bücher über Die Prinzen und AC/DC gelesen, Noten für die Asturias aus der Suite Espangnole für vier Violoncelli studiert und die dänische Metal-Band Rising interviewt.
Viel Spaß beim Lesen, Vor-, Quer- und Nachhören wünscht
Georg Henkel
Foto: Wikipedia
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