Schubert, F. (Schiff, A.)
Sonaten D 894 & 960, Moments musicaux D 780, Impromptus D 935 u.a.
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Info |
Musikrichtung:
Romantik Klavier
VÖ: 27.03.2015
(ECM New Series / Universal / 2 CD / DDD / 2014 / Best. Nr. ECM 2425/26)
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GRENZGÄNGERISCH
Von den klassisch-romantischen Klavier-Komponisten profitiert Franz Schubert doch am meisten von der Wiederentckung historischer Fortepianos. Die zum Teil recht eigentümlichen Farben und Stimmungen der alten Instrumente, die oft weniger glatt, dafür farbiger, atmosphärischer und manchmal auf aparte Weise fragil klingen, passen zu Schuberts grenzgängerischen Kompositionen, bei denen Lebensfreude, Idylle, Trauer und Todesnähe auf so unvergleichliche Weise zusammengehen. Mit Hilfe von Dämpfer- oder Moderator-Pedal lässt sich der Klang so weit verändern, dass er geheimnisvoll jenseitige Stimmungen heraufbeschwört. Da ist Schubert dann ein echter Zeitgenosse von Caspar David Friedrich, an dessen Bilder man des öfteren Denken muss, wenn man Schuberts Musik, v. a. das pianistische Spätwerk, hört.
Renommierte Pianisten wie z. B. Andreas Staier haben sich bereits auf dem Hammerklavier Schuberts Kompositionen genähert; von daher betritt András Schiff kein völliges Neuland. Er, der bislang vor allem als Interpret auf großen, modernen Konzertflügeln hervorgetreten ist, hat bereits Beethovens Diabelli-Variationen auf einem historischen Instrument, einem Wiener Franz-Brodmann-Flügel von 1820, eingespielt. Als Grenzgänger zwischen historisch-informierter und konventioneller Interpretation er jetzt noch einen Schritt weiter und hat eine repräsentative Sammlung reifer und "später" Schubert-Stücke, die er selbst unzählige Male im Konzert gespielt und bereits mit einem "normalen" Flügel aufgenommen hat, auf einer Doppel-CD versammelt.
Staier, der auf dem Nachbau eines Conrad-Graf-Flügels von 1827 spielt, hat das dunkler timbrierte, sonorere und auf gewisse Weise "romantischere" Instrument, dessen Klang etwas näher an modernen Hörgewohnheiten ist. Verglichen damit fällt der insgesamt lichtere, filigranere, mitunter auch keckere Ton von Schiffs Brodmanns auf. Die obertonreichen Registerfarben kontrastieren sehr deutlich und mitunter meint man, mehrere Instrumente zu hören, eine Mischung aus Glöckchen, Harfe, Fagott und Hackbrett. Schuberts Kunst pianistischer Orchestrierung bekommt dadurch einen ganz neuen Sinn. Verschwiegen werden soll aber auch nicht, dass das Schiffs Instrument im Ganzen viel mehr als Staiers Nachbau nach einer "Antiquität" klingt, bei der nicht immer genau zu sagen ist, ob schnarrende Obertöne oder eine gewisse Kurzatmigkeit naturgegeben oder altersbedingt sind.
Bei einem eher volkstümlichen Stück wie der eröffnenden Ungarischen Melodie kommen Instrument und Musik gut zusammen. Bei den Six Moments musicaux oder die Vier Impromptus D 935 hingegen stellen sich doch Fragen. Exemplarisch dafür ist der zerklüftete erste Moment. Er scheint aus lauter Einzelnphrasen zusammengesetzt zu sein, die sich nicht zu einem Stück fügen wollen; zu unorganisch, montagehaft klingt die Musik. Schiffs pianistische Fähigkeiten stehen außer Frage; es scheint das Instrument zu sein, dass sich derart widerständig zeigt, dass die Musik regelrecht vom Zerfall bedroht ist. Wie gesagt: Das kann bei Schubert durchaus sinnvoll sein, in diesem Fall aber wirkt die Irritation von Hörgewohnheiten aber künstlich und angestrengt.
Der trockene, poröse Klang macht sich auch bei den übrigen Stücken immer mal wieder bemerkbar; allerdings gibt es hier ebenso viele Momente, wo die Musik ganz stimmig, poetisch und lyrisch klingt - so, wie es auf einem konventionellen Konzertflügel nicht möglich ist. Der leichte Anschlag erlaubt es, feinste dynamische Schattierungen zu realisieren. Oder virtuose Läufe in den hohen Registern wie einen funkelnden Silberstreifen über die orgelnden Basstiefen zu legen. Jeder Ton hat einen eigenen Charakter, was vor allem in den langsamen Passagen zu sehr schönen Ergebnissen führt. Überzeugend sind vor allem die beiden Sonaten: Den Fantasie-Charakter der Sonate D 894 realisiert Schiff mit differenziert artikuliertem Anschlag und Pedaleinsatz. Bei der finalen Sonate D 960 schlägt Schiff im ersten Satz (molto moderato) mit rund 18 Minuten Dauer ein recht zügiges Tempo an, was der Musik ein unterschwellig-nervöses Gepräge verleiht (Zum Vergleich: Staier lässt sich etwa drei Minuten mehr Zeit, Michael Korstick - auf dem modernen Flügel - über sieben! Eine solche Weiträumigkeit setzt eben auch einen entsprechend weitschwingenden Klang voraus.) Auch beim melancholischen 2. Satz ist das Tempo v. a. im zweiten Teil eher bewegt als ein gewichtiges Andante. Trotzdem wirkt die Musik in den Proportionen stimmig, die Kontraste werden, wie auch sonst auf dieser Aufnahme, sinnig geschärft. Viele Details klingen ungewöhnlich und dadurch neu, ja "modern".
Gleichwohl: Ein Schubert "zum Genießen" ist das nicht. Das ist er bei großen Pianisten sowieso nicht (und ein großer Pianist ist Schiff gewiss). Aber ob sich in diesem Fall das Instrument mit seinen altersbedingten Eigenarten nicht doch zu sehr in den Vordergrund spielt?
Die natürliche und präsente Aufnahme betont den intimen, kammermusikalischen Charakter der Werke und ihrer Interpretation. Schiffs Vorbemertkung zur Aufnahme und Informationen zum Instrument wurden im Booklet mehrsprachig, der Essay zu den Stücken nur in englischer Sprache abgedruckt.
Georg Henkel
Trackliste |
Ungarische Melodie D 817
Allegretto D 915
Sonaten D 894 & 960
Moments musicaux D 780
Impromptus D 935 |
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Besetzung |
András Schiff: Fortepiano von Franz Brodmann, Wien 1820
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