Hauer, J. M. (Schleiermacher, St.)
Sämtliche Melodien für wohltemperiertes Instrument (1921/22)
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Info |
Musikrichtung:
Klassische Moderne Tasteninstrument
VÖ: 13.03.2015
( MDG / Naxos/ 3 CD DDD / 2013 / Best. Nr. MDG 6131890-2)
Gesamtspielzeit: 175:53
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ZWÖLFTONKALEIDOSKOPE
Von den esoterischen Komponisten ist er vielleicht der esoterischte: Josef Matthias Hauer (1883-1959), nach eigenem Bekunden der einzige und wahre Kenner und Könner der Zwölftonmusik.
Hört man sich durch die Gesamtheit seiner Melodien für wohltemperiertes Instrument (wahlweise Klavier, Celesta oder Harmonium), dann versteht man sofort, dass die Zwölftonmusik für Hauer ein Mittel war, von einer irgendwie expressiven, individuellen Musik wegzukommen und gleichsam eine dodekaphone prästabilisierte Harmonie zu komponieren - ganz im Dienste jener ewigen, kosmischen Gesetzmäßigkeiten, die er bei der Organisation der zwölf Halbtöne der Oktave entdeckt zu haben meinte.
Anders als Schönberg, der im Grunde immer noch in der Tradition Bachs, Beethovens und Brahms stand und eine dissonant verschärfte, subjektive Ausdrucksmusik komponierte, suchte Hauer einen Zustand kontemplativer Nicht-Expressivität und objektiver harmonischer Schönheit. Seine Musik nutzt zwar abendländische Mittel und Techniken, ihr Geist aber ist orientalisch.
Hauer ordnete die Reihentöne dafür in Tropen an, deren "Deutung" durch den Komponisten die Musik in der melodischen und harmonischen Struktur hervorbringt. Im Laufe der Zeit vereinfachte Hauer seine Verfahren immer mehr und schrieb schließlich über tausend im wahrsten Sinne "selbstvergessene" Zwölftonspiele.
Auf dem Weg dahin entstanden auch seine Melodien, die der Hauer-Kenner Steffen Schleiermacher jetzt in einer Gesamteinspielung vorlegt. Man hört Zwölftonmusik, die - wie auch sonst bei Hauer - den Ohren schmeichelt, ohne der üblichen abendländischen Dramaturgie zu folgen. Sie sagen nichts aus, stellen nichts dar. Sie sind einfach, was sie sind. Hauer schlägt für die Ausführung Klavier, Celesta oder Harmonium vor. Die Entscheidung darüber liegt beim Interpreten, sofern sie sich nicht mehr oder weniger aus dem geforderten Tonumfang ergibt.
Weiter hat der Intrepret das "Melos", das aus mäandernden Zwölftonlinien besteht, musikalisch mehr oder weniger intuitiv zu interpretieren. Tempoangaben, Akzente oder sonstige Vortragsbezeichnungen fehlen - hier ist wirklich großes Einfühlungsvermögen verlangt, will man die Musik nicht pseudo-objektiv herunterrattern.
Da die Stücke im wesentlichen aus einer Oberstimme und einfachen Belgeitakkorden (sozusagen gestauchten Melodien) bestehen, könnte schnell eine gewisse Monotonie aufkommen: Hauers Musik wirkt richtungslos, seine Tropen rotieren in und um sich selbst, und die Melodien könnten, da sie irgendwie anfangs- und endlos erscheinen, in alle Ewigkeit weitergehen. Das zu erleben ist faszinierend und löst in Schleiermachers exemplarischer Deutung, die auf dem schmalen Grat von meditativer Ruhe und spannungsvoller Bewegtheit balanciert, einen geradezu hypnotischen Sog aus. Man fühlt sich geradezu eingesponnen von der Musik, zugleich sicher geführt und zunehmend desorientiert, verloren. Ein gewisser manischer Zug ist nicht zu verleugnen: Am Ende Ende findet man sich in einer Art Zwölfton-Gefängnis wieder. Klaustrophobie durch Musik - ein interessantes psychoykustisches Phänomen.
Am besten scheinen Klavier und Celesta für diese eigenartige Musik geeignet: Ihr klarer, luftiger, kristalliner Ton und die Möglichkeiten klanglicher Differenzierung lassen beim Hören die schönsten Zwölftonkaleidoskope entstehen. Anders ist es beim Harmonium: Hier ist die Atmosphäre eher sakral, manchmal etwas starr, dräuend und düster: Zwölftongotik. Angesichts der rund drei Stunden Musik ist die Abwechslung der Klangfarben allerdings unverzichtbar. Leicht ließe sich eine Darstellung auch auf anderen Instrumenten oder durch ein Ensemble - z. B. Schlagzeug - vorstellen. Solange die Tonhöhen wohltemperiert sind, bleibt die Struktur, auf die es Hauer offenbar in erster Linie ankommt, gewahrt. Zu viele Klangfarben und gemischte Obertöne dürften das Klangbild eher eintrüben (wie es beim Harmonium manchmal der Fall ist).
Eine Bewertung ist nicht einfach: Die relative Ählichkeit der Stücke mag für denen einen Hörer erhebend, für den anderen schlicht totlangweilig sein. Für eine Gesamtaufführung waren diese Kompositionen wohl auch nicht gedacht. Ihre Wirkung - so oder so - wird dadurch freilich potenziert.
Hauers Musik - wirklich etwas für Kenner und Liebhaber.
Georg Henkel
Trackliste |
CD I: 59:52
CD II: 57:31
CD III 58:30 |
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Besetzung |
Steffen Schleiermacher: Klavier, Celesta, Harmonium
Holger Falk, Bariton (CD 1: 4; CD 3: 21)
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