Musik an sich


Artikel
Johann Hinrich Claussen stellt die klassische Kirchenmusik im Längsschnitt dar




Info
Autor: Johann Hinrich Claussen

Titel: Gottes Klänge. Eine Geschichte der Kirchenmusik

Verlag: Verlag C. H. Beck

ISBN: 978-3-406-66684-1

Preis: € 24,95

364 Seiten


„Geschichte der klassischen Kirchenmusik“ wäre ein passenderer Untertitel für Claussens Werk gewesen. Wer sich mit Tonbeispielen zu dem Buch versorgen möchte, muss die Klassikabteilung des Plattenladens nur einmal kurz verlassen, um am Gospel-Regal vorbei zu gehen. Claussen schlägt im Wesentlichen einen Bogen vom Mittelalter bis hin zu Mendelssohn. Das 20. Jahrhundert endet bei ihm im Grunde schon vor dem 2. Weltkrieg. Das ist ihm auch durchaus bewusst. Eine Zukunft der Kirchenmusik im glaubensschwachen Europa und Nordamerika sieht er eher skeptisch. Und auch mit der Gegenwart scheint er wenig anfangen zu können. Wenn überhaupt erwartet er sie im Bereich der schnell wachsenden, glaubensstarken Pfingstkirchen in Afrika und Südamerika.

Dabei ist ihm klar, dass der Begriff der Kirchenmusik spätestens mit Erreichen der Klassik (Händel, Mozart, Mendelssohn) geweitet werden muss. Ein kirchlicher Konservativismus führt damals dazu, dass sich geistliche und religiöse Musik in die profanen Konzertsäle verlagert und sich damit endgültig aus jedem liturgischen Rahmen löst. Von nun an spricht Claussen vermehrt von Christentumsmusik. Sein Blick ist dabei stark auf Deutschland fixiert. Mit Händel geht es kurz nach England. Britten wird kurz erwähnt. Nur das in seinem Buch eher als Appendix erscheinende Kapitel über den nordamerikanischen Gospel verlässt Deutschland und Europa wirklich. Hier konzentriert sich Claussen auf die Anfänge und geht kaum über Mahalia Jackson hinaus.

Der mit dem Begriff Christentumsmusik verbundene Erkenntnisfortschritt macht vor dem Bereich der Popularmusik allerdings konsequent Halt. Hier hält sich Claussen vornehm heraus. Er kennt keinen Sacropop, keinen Lobpreis. Soul, Blues und der spezifisch christliche Reggae finden nicht statt. Von explizit christlicher Musik, die sich weltlich entstandener Musikstile bedient, ganz zu schweigen. Man denke an den Rock'n'Roll eines Larry Norman, die progressiven Konzeptalben von Neal Morse oder ganz Heerscharen von Bands im Nu- und Modern Metal Bereich. Direkt äußert sich der Autor zu dieser Reduktion nicht. In verschiedenen abschätzigen Seitenbemerkungen wird seine Geringschätzung der Popularmusik aber mehr als erkennbar.

Cliff Richard, Saviour Machine, Mortification, Manfred Siebald, Habakuk – die Namen sich explizit christlich - oft missionarisch - äußernder Musiker, die auch außerhalb enger Kirchenmilieus rezipiert wurden, ist viel zu lang, um sie hier darstellen zu können. Warum Claussen diese Trends nicht berücksichtigt, bleibt in seinem Werk offen.

Nicht vorwerfen kann man ihm die Tatsache, dass er sich sehr deutlich auf die Hauptstraße der christlichen Musik konzentriert. Das bedeutet zwar, dass man praktisch keinen Künstler kennen lernt, den man nicht sowieso schon kannte. Aber es ermöglicht Claussen, zentrale Werke sehr intensiv und vertieft zu beleuchten und zu analysieren. Eine der spannenden Seiten seines Buches.

Ein anderes A-Ha-Erlebnis ist Claussens Behandlung der frühen Kirchenmusik. Hier liefert er eine erhellend verdunkelnde Perspektive. Je weiter man zurückblickt, desto weniger kann man, gerade im Blick auf Musik sagen. Hörbeispiele gibt es naturgemäß nicht. Und wie beschränkt die Möglichkeiten schriftlicher Überlieferung sind, erläutert Claussens, indem er die Geschichte der Notenschreibung darstellt.

Ein Werk, das im Blick auf seinen Selbstanspruch eine Geschichte der Kirchenmusik zu sein, seine Grenzen hat; innerhalb dieser Grenzen aber viel Wissenswertes fundiert darstellt.


Norbert von Fransecky



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