Gretry, A.-E.-M. (Niquet)
Andromaque. Tragedie Lyrique
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Info |
Musikrichtung:
Barock Oper
VÖ: 01.04.2010
(Glossa / Note 1 2 CD / DDD / 2009 / Best. Nr. GCD 921620)
Gesamtspielzeit: 88:47
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KURZ VOR DER REVOLUTION
Als 1781 nach den üblichen Intrigen und technischen Schwierigkeiten André-Ernest-Modeste Grétrys erste Tragedie Andromaque über die Bühne der Akadémie Royale ging, war ihr Komponist vor allem für seine Opera comiques berühmt. Dass er sich an die Vertonung einer der düstersten Tragödien Racines wagte, die mit Geschick von Louis-Guillaume Pitra in ein Libretto umgewandelt worden war, bedurfte natürlich der bescheidenen Rechtfertigung. Das Werk fiel trotzdem durch. Was das Publikum und auch die Kritiker irritierte, war die Geschmeidigkeit, mit der Gretry Rezitative, Arien und Chöre zu einem zusammenhängenden Ganzen verband. Das ist praktisch keine Nummernoper mehr, kein kunstvoll komponiertes Mosaik. Hier gibt es auch kaum noch jene großen Architekturen aus Ensembles, Tänzen und Chören mehr, mit denen Lully und seine Nachfolger normalerweise die Akte beschlossen. Das „Divertissement“ ist bei Gretry praktisch vollkommen im dramatischen Fluss aufgegangen. Tanzeinlagen sind darum auch sehr selten geworden. Lange Monologe, in denen die Personen sich emotional ausbreiten können, ebenfalls.
Der praktisch allgegenwärtige Chor begleitet die Handlung, kommentiert sie und treibt sie voran. Stets konzentriert Gretry sich ganz auf die in unauflöslichen Liebes- und Eifersuchtsverstrickungen gefangenen Hauptfiguren: Orest liebt Hermione, diese den Pyrrhus, welcher wiederum Andromache zugetan ist. Die Konstellation steuert unaufhaltsam auf Wahnsinn, Mord und Totschlag zu, wie es sich für eine echte Tragödie gehört. Das Publikum aber wollte damals lieber ein Happy End, Auftrittsarien und mehr Unterhaltung.
Verrückt: Gerade weil Gretry/Pitra mit Glucks Reformen einmal wirklich ganz Ernst machten, floppte die Oper und verschwand im Archiv. 2009 hat Hervé Niquet sie mit Le Concert Spirituel erfolgreich reanimiert. Und so hört man jetzt ein mit rund 90 Minuten Spielzeit recht kurzes Stück Musiktheater, das ohne Umwege zum Ziel kommt.
Musikalisch steht es in vielem Glucks breit gebauten, barock angerauten Klassizismus nahe, weist aber in manchen Wendungen schon auf die Romantik voraus. Die unablässige Dynamik, mit der das Geschehen vorangetrieben wird, produziert viele kleine Spannungs- und Ausdruckshöhepunkte. Gluck fand bei aller Vereinfachung der musikalischen Sprache immer wieder zu Formulierungen, die in ihrer lapidaren Wucht und Einfühlung mitreißend sind. Gretry beherrscht das Vokabular seines Vorbilds perfekt, gibt aber selbst in aller (vorgeblichen?) Bescheidenheit zu, dass er an dessen Ausdruckskraft nicht erreicht. Seine Oper lebt mehr vom raschen Wechsel der Stimmungen und Affekte, die freilich selten exponiert werden. Die expressiven Anhalte, die Glucks Opern immer noch in großer Zahl bereithalten, finden sich daher nur vereinzelt und sind wesentlich knapper formuliert.
Gretry empfahl darum, die Tempi nicht zu rasch zu nehmen. Dies beherzigt auch Niquet. Er forciert nichts, sein versiertes Orchester bietet eine geschmeidige Lesart. Auch die Sänger/innen fügen sich da mit ihren jungen, unverbrauchten Stimmen bruchlos ein. Sowohl im Instrumentalen als auch im Vokalen hätte ich mir allerdings noch mehr Zuspitzung vorstellen können, die den Rang dieser Oper in Rufweite zur Französischen Revolution stärker unterstrichen hätte. Die Charaktere hätten durchaus eine prägnantere Durchformung vertragen können, da wird manches doch eher mit routinierter Verve gesungen. So mangelt der finalen Katastrophe das Außerordentliche des Augenblicks. Weder der Wahnsinn Hermiones noch das Unglück des Orest, der ihretwillen zum Mörder wurde, gehen so richtig unter die Haut.
Georg Henkel
Trackliste |
CD 1: Akt 1 34:40
CD 2: Akte 2 & 3 54:07 |
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Besetzung |
Karine Deshayes: Andromachue
Maria Riccarda Wesseling: Hermione
Sébastien Guèze: Pyrrhus
Tassis Christoyannis: Orest
u. a.
Chor & Orchester des Concert Spirituel
Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Verailles
Hervé Niquet: Leitung
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