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Raus aus der muffigen Tanzschule, rein in die Disco!
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Thomas Hermanns kennt man vor allem als Erfinder und Moderator des Quatsch Comedy Clubs, als Gast diverser Fernsehshows, als bekennenden ABBA-Fan und nicht zuletzt als Grand Prix-Experten. Wer jetzt beim Anblick seines Buches für immer d.i.s.c.o. entnervt denkt "Jetzt schreibt er auch noch...", dem sei frei nach Klaus Wowereit geantwortet: "...und das ist auch gut so!". Denn Thomas Hermanns ist mit für immer d.i.s.c.o. ein nettes Buch gelungen, welches dem Rezensenten trotz seiner eher abneigenden Haltung gegen den hier gehuldigten Musikstil doch sehr gefiel.
für immer d.i.s.c.o. ist nicht nur eine Art gut recherchiertes Sachbuch über die Musikrichtung Disco, sondern viel mehr noch eine unterhaltsame Biographie der Jugend von Thomas Hermanns. Er ist Jahrgang 1963, so dass er zu Beginn des Disco-Booms 12 Jahre alt war und in den folgenden Discojahren im fränkischen Nürnberg-Langwasser seine Pubertät durchmachte. Kurzweilig und interessant unternimmt Hermanns mit dem Leser eine Zeitreise in die zweite Hälfte der 70'er Jahre, die in dem einen oder anderen sicherlich viele persönliche Erinnerungen wecken wird. Und da werden nicht nur Bilder und Vinyl-Cover der damaligen Stars gezeigt, sondern auch schonungslose Privat-Fotos von Thomas Hermanns in der damals braun in braun getönten und mit übergroßen Kassengestellen ausgestatteten Realität der deutschen Provinz.
Es geht in den autobiografischen Absätzen des Buchs um frühe Freundschaften (z.B. den Uriah Heep-hörenden Norbert, den leider heterosexuellen Sascha), die erste gekaufte Single ("Fly, Robin, fly" von Silver Convention), die Entdeckung der Sexualität, Tanzschulen, Matratzenparties im Keller - und natürlich ums Schwulsein und um das Coming-Out, welches bei Thomas Hermanns gleich ein doppeltes war: als schwuler Junge und als Disco-Fan.
Aufgelockert wird das Buch zum einen durch Info-Kästen mit interessanten Hintergrundinformationen (z.B. "Woher kommt die Disco-Kugel?") oder Anekdoten (Madonna im Vorprogramm der Village People), sowie durch zahlreiche Interviews, die über das ganze Buch verteilt sind. Zu Wort kommen hier u. a. Gloria Gaynor, Sister Sledge, Penny McLean, Dagmar Engelbrecht (Kostümdesignerin von Boney M.), Manfred Sexauer (Musikladen-Moderator) und - natürlich - Marianne Rosenberg. Und äußerlich ist das gebundene Buch auch sehr passend gestaltet: Interviews und Info-Kästen sind silberglänzend bzw. golden unterlegt und unter dem bunten Schutzumschlag kommt natürlich ein schönes Disco-Silber zum Vorschein. Das Buch ist nicht nur inhaltlich, sondern auch äußerlich eine zum Buch mutierte Diskothek.
Unterm Strich ist für immer d.i.s.c.o. deutlich mehr Autobiografie als Musiksachbuch und erhebt wohl auch nicht den Anspruch, eine vollständige Abhandlung über Disco zu sein - es ist mehr eine persönliche und individuelle Hommage an diesen Musikstil. Interessant ist vielleicht Thomas Hermanns Abneigung gegen Uriah Heep, die bereits auf der zweiten Seite des ersten Kapitels breitgetreten wird (zur Beschreibung der Musik müssen hier sogar Kakerlaken herhalten) und sich wie ein roter Faden durch den ersten Teil des Buches zieht. Hermanns erzählt dies aber stets so charmant und augenzwinkernd, dass man ihm das sogar als Uriah Heep-Fan nicht übel nehmen kann...
Fazit: wohl eine Pflichtlektüre für Schwule, Disco-Fans und alle, die Erinnerungen an die späten Siebzieger lieben. Für Musikfreunde ohne Disco-Hintergrund und Heteros aber wohl auch durchaus interessant.
Jürgen Weber
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