Nono, L. (Nono u. a.)
Quando stanno morendo u. a.
|
|
Info |
Musikrichtung:
Neue Musik Ensemble
VÖ: 25.04.2008
(Stradivarius / Edel)
Gesamtspielzeit: 56:51
|
|
|
KRÜMMUNG DES KLANGRAUMES
Überaus filigran und subtil ist diese Musik. Das Spätwerk des 1990 verstorbenen Komponisten Luigi Nonos bewegt sich oft an Schwelle zur (Un)Hörbarkeit, so leise und fern tönen die Klänge wie aus anderen Sphären – über- oder unterweltlichen? - herüber. Doch bevor man als Hörer z. B. den quietistischen Sirenengesängen der Frauenstimmen von Quando stanno morendo. Dario polacco N. 2 gänzlich erliegt, lässt der Komponist elektronisch verfremdete Celloklänge aufbegehren und den stillen Gesang zum Schrei gerinnen.
Die politische Botschaft der Musik, die in den ausgewählten Texten osteuropäischer Dissidenten und Dichter als vielstimmiges Kaleidoskop dargeboten wird, ist zwar semantisch kaum verständlich, drückt sich aber in der leisen Verzweiflung und den unerwarteten akustischen Schrecken der Partitur aus. Interessant, wie die Spannung in der Musik trotz der extremen Reduktion und Framgentierung des Materials nicht abreißt, sondern sich zu beklemmender Eindringlichkeit steigert. Nonos ausdrucksstarker Antiexpressionismus ist dabei auf gewisse Weise sehr pathetisch. In der technischen Realisation durch den Komponisten erfährt das Werk eine authentische, technisch makellose Wiedergabe.
Nicht anders steht es um die beiden anderen, kürzeren Stücke auf dieser Platte: Das dem großen französischen Avantgardekomponisten und Dirigenten Pierre Boulez gewidmete Stück A Pierre. Dell’azzurro silenzio, inquietum erforscht mit einer kammermusikalischen Besetzung aus kleinem Chor, Flöte, Kontrabass, Klarinette und Elektronik ebenfalls die Grenzbereiche akustischen Verlöschens zwischen ppppp und p. Wobei ein p in einer derart reduzierten Umwelt wie ein f wirkt. Die Klänge sind übrigens in diesem Fall alles andere als zart. Sie erinnern an eine selbstspielende Klanginstallation. Geräuschhaft und glissandierend bilden sie kleine Gesten und ornamentale Figuren aus. Sie versetzten den Hörer in einen imaginären Urwald voller fantastischer Wesen: ätherische Vögel und fabelhafte Ungeheuer, die aus den ppppp-Schatten hervorbrechen. Unheimlich und bezaubernd zugleich.
Im Post-praeludium per Donau mäandern manipulierte Tubaklänge, zum Teil verdoppelt und rückprojiziert, durch einen unermesslichen Raum. Diese Musik bringt einen eigenen Klangraum hervor und krümmt ihn durch ihr Volumen und ihre Dichte. Dabei ist das Ausgangsmaterial bzw. die instrumentale Quelle kaum noch zu identifizieren. Man assoziiert bei diesen atmosphärischen Erscheinungen Tiefseeklänge. Befinden wir uns gar im Hades der Wale? Die Tiefen, die das Instrument aufreißt, sind unauslotbar. Gegen Ende blüht der Ton plötzlich auf und beginnt wie ein Nordlicht zu leuchten, bevor er in die Stille hinein verklingt. Sehr ergreifend.
Diese sublimen Werke Nonos benötigen Zeit und Ruhe, um ihre Wirkung zu entfalten. Konzentriertes Hinhören allein erschließt ihren Reichtum. Wiederholte Beschäftigung offenbart das vermeintlich Zufällige als planvoll gebaut. Für offene Hörer, nicht nur für Esoteriker und Klangfetischisten!
Georg Henkel
Trackliste |
1 | A Pierre. Dell’azzurro silenzio, inquietum (1985) | 9:43 |
2 |
Quando stanno morendo. Dario polacco N. 2 (1982) | 33:30 |
3 |
Post-praeludium per Donau (1987) | 13:38 |
|
|
|
|
|
Besetzung |
Diverse
Luigi Nono, Klangregie
|
|
|
|