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... und konnte nicht erwachsen werden - Der zweite Band der großen ELVIS-Biographie




Info
Autor: Peter Guralnick

Titel: Careless Love – Elvis Presley, Der Abgesang 1958-1977

Verlag: Bosworth, Berlin, 2006

ISBN: 3-86543-107-0

Preis: € 24,95

924 Seiten


Allein das Ausmaß ist königlich. Mit dem zweiten Band nimmt Peter Guralnick Opus fast zehn Zentimeter im Bücherregal ein. Dabei bringen die 1340 Textseiten plus(!) 225 Seiten Anmerkungen, Bibliographie und Register knapp zweieinhalb Kilo auf die Waage. Schwächere Leser müssen allein für ein einmaliges Lesen wahrscheinlich einen Art Forschungsurlaub beantragen.

Inhaltlich umfasst der zweite Band (1958-1977) Elvis’ Zeit als GI in Deutschland, die hauptsächlich von Filmarbeit geprägten 60er Jahre, seine Wiederauferstehung als Live-Musiker Anfang der 70er und den quälenden Niedergang, während dessen sich der King von Tour zu Tour schleppte

Der Eindruck, dass Elvis nie wirklich zum Akteur seines Lebens wurde, der bereits den ersten Band prägte, setzt sich fort. Dabei überlässt Guralnick jede Wertung dem Leser. Er beschreibt lediglich akribisch Woche für Woche, Monat für Monat das Leben eines der populärsten Künstler der Nachkriegszeit.

Vor allem die 60er Jahre erscheinen dabei als ein verlorenes Jahrzehnt. Elvis hatte durchaus Ambitionen, was die Filmerei anbelangte. Die flachen Unterhaltungsfilme, die sein Manager, der Colonel, arrangierte, reichten ihm nie. Er wollte wirkliche Charakterrollen spielen. Ob ihm das gelungen wäre, sei dahin gestellt. Das was er stattdessen gedreht hat, machte er aus Pflichtgefühl heraus und mit wachsender Unzufriedenheit. Aber offensichtlich ist er nie in der Lage gewesen, aufzustehen und seinen eigenen Weg zu gehen.

Erst als der Colonel die Einschätzung gewann, dass das Ende der Fahnenstange erreicht war, schwenkte er von der lukrativen Filmerei, die von banalem Singsang-Veröffentlichungen begleitet wurde, zurück zur Musik. Und kurzzeitig taute Elvis wieder auf. Aber auch hier erlaubte der Colonel keine künstlerisch erfüllenden Experimente. Es wurde auf Nummer Sicher gesetzt und auf Verträge, die ihm und seinem Schützling von vorneherein Rekordgagen garantierten.

Elvis, der Mensch, ging dabei verloren. Statt sich zu wehren, floh er wie ein pubertierender Jugendlicher in eine Fantasie- und Kunstwelt. Die Tragik bestand darin, dass er mit seinen immensen Einnahmen scheinbar in der Lage war, sich diese Welt tatsächlich zu erschaffen.
Die „Gang“, eine Gruppe überwiegend gleichaltriger Männer, wurde durch großzügige Geschenke über Jahre bei der Stange gehalten, ein Lincoln zum Geburtstag, ein Pontiac zu Weihnachten; bei besonderen Freunden durfte es auch einmal ein ganzes Haus sein. Dafür mussten die Freunde Tag und Nacht für Elvis’ kindliche Vergnügen zur Verfügung stehen – Filme gucken, Go-kart fahren, einfach nur abhängen und dumme Witze machen. Später ging es dann auch mal mit dem eigenen Jet schnell zum Hamburger Essen nach Vegas und zurück.
Die dabei entstehende Leere wurde im zunehmenden Masse mit Drogen gefüllt – vor allen Dingen mit rezeptpflichtigen Aufputsch- und Beruhigungsmitteln, die Elvis von Ärzten, die sich der Aura des Kings nicht entziehen konnten, flaschenweise zur Verfügung gestellt bekam.

Überhaupt muss die Wirkung von Elvis selbst in seinem überdeutlich erkennbaren Niedergang immens gewesen sein. Auch bei den katastrophalsten Konzerten, bei denen der mit Medikamenten voll gepumpte Sänger kaum noch ein Lied vernünftig auf die Reihe bekam, jubelte seine Anhängerschaft ihm frenetisch zu. Selbst Termine beim Direktor des FBI und bei Präsident Nixon, denen er sich als Drogenfahnder(!) andiente, konnte er durchsetzen.

Direkt mitreißend ist die Lektüre von Careless Love selten. Dafür ist Guralnick zu sehr auf Vollständigkeit bedacht. Vieles wiederholt sich quälend oft und lässt den Leser das Ende herbeisehnen. Aber gerade so gewinnt man Verständnis für Elvis’ Flucht aus seinem Leben, eine Flucht die er nur als erwachsener Mann, der sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt, hätte gewinnen können.
Und dieser Schritt ist ihm nie gelungen. Das macht die Biographie des Kings zur Tragödie und sein Leben in weiten Teilen zu einer verpassten Chance - auch in musikalischer Hinsicht.


Norbert von Fransecky



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