Musik an sich


Reviews
Haydn, M. (Erhard)

Requiem c-moll, Missa Sancti Joannis


Info
Musikrichtung: Wiener Klassik

VÖ: 22.03.2006

Capriccio / Delta Music (SACD hybrid (AD: 2005) / Best.nr. 71 084)

Gesamtspielzeit: 63:36

Internet:

Capriccio

Dt. Kammerakademie



GEHEIMNISVOLLER SCHATZ

Gut, dass manch einer abseites des Mozart-Jubiläumstrubels die anderen Jubilare im Blick behält: 2006 jährt sich zum Beispiel auch Michael Haydns (1737-1806) Todestag zum zweihundersten Mal. Im Oeuvre des jüngeren der Haydn-Brüder harrt noch so manche Kostbarkeit der Entdeckung, wenngleich Michael Haydn sicherlich nicht zu den genialen Neuerern in der Musikgeschichte gezählt werden kann. Beachtung gefunden hat bis in die heutigen Tage sein Requiem in c-moll (1771) für den Salzburger Erzbischof Sigismund von Schrattenbach. Das Interesse rührt nicht zuletzt daher, dass jenes Werk deutlichen Wiederhall in Mozarts Requiem-Vertonung gefunden hat. Überliefert war bis dato zudem das Fragment eines Requiems in B-Dur, das Haydn 1805 begann, jedoch als sein opus ultimum unvollendet bleiben sollte.
Olaf Krone kommt das nicht geringe Verdienst zu, nun eine weitere Totenmesse aus der Feder Michael Haydns wiederentdeckt zu haben, deren Manuskript sich in der Musiksammlung der Ungarischen Nationalbibliothek befindet. Auch dieses, rein chorisch ausgeführte Stück steht in c-moll und gleicht von den Ausmaßen her dem Requiem von 1771. Geschrieben wurde es ca. 1792, also in unmittelbarer Nähe zu Mozarts Todesjahr. Damit liegen Spekulationen nahe, inwiefern hier möglicherweise wiederum das Vorbild Mozarts zurückwirkte auf Michael Haydn. Entsprechende Ähnlichkeiten in der Instrumentation, der Aufteilung, im Fugeneinsatz und der Ausgestaltung der Begleitstimmen lassen sich mühelos finden.

Olaf Krone spekuliert in seinem Booklet-Text jedoch mehr darüber, ob nicht Haydn mit diesem Stück seinem Freund W.A. Mozart eine Totenmesse widmen wollte. Anlaß und Zweck für das Werk liegen nämlich im Dunkeln.
Aber man braucht nichts in das Werk hineinzugeheimnissen, um an seiner strengen Erhabenheit Freude zu haben. Immer wieder läßt Michael Haydn den Chor effektvoll aus der Tiefe hinaufsteigen. Ein stetig wiederkehrender "Ton in der Höhe" schwebt wie ein überirdisches, sehnsüchtig angestrebtes Ziel über den Sätzen. Die Fülle origineller Ideen in dem für Michael Haydns Verhältnisse erstaunlich düsteren Werk ist beachtlich. So endet das Requiem auch nicht mit großem Ton, sondern einem verhauchenden "Quia pius es" - eine zaghafte Hoffnung der gläubigen Seele, keine kraftvolle Gewißheit.
Werner Erhard, bekannt als langjähriger künstlerischer Leiter von Concerto Köln, lotet in seinem Dirigat Größe, Tragik und Hoffnung gleichermaßen sensibel aus. Er betont die weit ausschwingenden melodischen Bögen und setzt die dramatischen Akzente selbst im "Dies irae" eher zurückhaltend. Mit der Deutschen Kammerakademie Neuss steht ihm dabei ein beweglicher, mit der (Orchester-)Musik Michael Haydns bestens vertrauter Klangkörper zur Verfügung. Das biegsame, schlanke Spiel des Ensembles überzeugt durchweg.

Leider ist das Orchester im Vergleich zum Chor tontechnisch zu stark in den Vordergrund gerückt, so dass der engagierte Gesang des Kammerchors Cantemus einiges an Transparenz einbüßt, wennbgleich er dadurch allerdings eine durchaus kirchenraumtypische Färbung bekommt.

Nicht ganz so überzeugend gerät die chorische Leistung bei der Missa Sancti Joannis Nepomuceni. In diesem 1772 entstandenen, recht konventionellen und heiteren Werk zeigen insbesondere in den Sopranstimmen (etwa im "Gloria") einige Intonationsunsicherheiten.
Das prunkvolle, 1803 vollendete "Te Deum" rauscht sodann als krönender Abschluß vorüber und gipfelt im "In te Domine speravi", in welchem Michael Haydn nochmal seine meisterhafte Beherrschung der Fuge demonstrierte.

Das hiermit erstmals eingespielte Requiem darf durchaus als bedeutender Fund gefeiert und kann nun in einer überzeugenden Wiedergabe bestaunt werden. Wieso Capriccio die SACD mit einem erneut der "Goldenen Himbeere" würdigen, extrem billig wirkenden Cover verunstalten musste, bleibt ein Rätsel.



Sven Kerkhoff



Trackliste
1-8 Requiem c-moll MH 559 34:35
14-19 Missa Sancti Joannis Nepomuceni MH 182 19:17
20-23 Te Deum in D MH 829 09:44
Besetzung

Kammerchor Cantemus
Deutsche Kammerakademie Neuss am Rhein

Ltg. Werner Erhard


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