Schubert, F. (Bär)
Winterreise
EMPFINDSAM, GLUTVOLL, STILSICHER: BÄR UND PARSONS AUF WINTERREISE Nun gut, es wird Frühling - aber in unserer Klassikerrubrik nehmen wir es ja mit aktuellen Bezügen ohnehin nicht so genau. Da mag auch in einer Mai-Ausgabe Raum sein, um eine hervorragende Einspielung von Schuberts "Winterreise" vorzustellen. Es handelt sich um den wohl berühmtesten Liederzyklus der Musikgeschichte, der eine Vielzahl von Deutungsversuchen provoziert und Generationen von Liebeskranken zu Tränen gerührt hat, der als Ballettmusik herhalten und viele andere Bearbeitungen erdulden mußte. An guten Interpretationen des Werkes ist gleichfalls kein Mangel. Dennoch ist die, die der Bariton Olaf Bär und sein Begleiter Geoffrey Parsons einst vorgelegt haben, etwas besonderes. Bär, zum Zeitpunkt der Aufnahme erst 31 Jahre alt, beeindruckt vor allem durch eine runde, kraftvolle Stimme bei glasklarer Artikulation und reiner Intonation. Umso mehr geht es zu Herzen, wenn jene Kraft in der Erfahrung der Einsamkeit und Verlassenheit zu brechen scheint, als alle Empörung, Auflehnung und Rastsuche keine Linderung bewirkt. Bär scheut sich nicht, dieses Leid auch einmal hinauszuschreien, dann aber sogleich wieder verzagt zurückzustecken. Wut, Verzweiflung, Hoffnung, Verträumtheit, Sentimentalität, Todessehnsucht - all das liegt hörbar ganz unmittelbar in seiner Stimme. Bärs Qualitäten erweisen sich schon beim Eingangslied "Gute Nacht" und gehen im folgenden keinen Augenblick verloren. Trotz aller lebhaft-dramatischen Gestaltung erliegt der Sänger nicht der Versuchung, das Stück pathetisch aufzuladen. Seine Empfindung bleibt stets echt und die Figur, deren Gefühle er singend schildert, erwächst so aus der musikalisch-literarirschen Vorlage zu höchster Lebendigkeit. Selbst ein vermeintlich abgedroschenes Lied wie "Der Lindenbaum" wird in seiner Deutung zu einer neu zu entdeckenden, vielgestaltigen Kostbarkeit.
Kongenial begleitet ihn Parsons am Klavier: Dezent, virtuos, intelligent und anpassungsfähig ist er gleichberechtigter Partner in der Liedgestaltung. Auch er bearbeitet das Klavier bisweilen mit einiger Vehemenz und läßt doch an anderer Stelle einen süßen, weichen Ton erklingen. Differenziert setzt er Tempo und Dynamik ein, um ein möglichst variantenreiches Wechselspiel aus Licht und Schatten entstehen zu lassen.
Die perfekte CD für alle, die an gebrochenem Herzen leiden oder sich an diese Erfahrung zumindest noch erinnern. Und selbst, wer den Liedgesang der Romantik sonst als Kitsch verachtet, wird von dieser Interpretation begeistert sein, die 100%ig kitschfrei, aber doch voller Emotionalität ist - Kunstlieder jenseits aller Künstlichkeit eben.
Kerkhoff, Sven
Trackliste |
1.Nr. 1 Gute Nacht (Fremd bin ich eingezogen) D 911,1 2.Nr. 2 Die Wetterfahne (Der Wind spielt mit der Wetterfahne) D 911,2 3.Nr. 3 Gefrorene Tränen (Gefrorne Tropfen fallen) D 911,3 4.Nr. 4 Erstarrung (Ich such im Schnee vergebens) D 911,4 5.Nr. 5 Der Lindenbaum (Am Brunnen vor dem Tore) D 911,5 6.Nr. 6 Wasserflut (Manche Trän aus meinen Augen) D 911,6 7.Nr. 7 Auf dem Flusse (Der du so lustig rauschtest) D 911,7 8.Nr. 8 Rückblick (Es brennt mir unter beiden Sohlen) D 911,8 9.Nr. 9 Irrlicht (In die tiefsten Felsengründe) D 911,9 10.Nr. 10 Rast (Nun merk ich erst, wie müd ich bin) D 911,10 11.Nr. 11 Frühlingstraum (Ich träumte von bunten Blumen) D 911,11 12.Nr. 12 Einsamkeit (Wie eine trübe Wolke) D 911,12 13.Nr. 13 Die Post (Von der Straße her ein Posthorn klingt) D 911,13 14.Nr. 14 Der greise Kopf (Der Reif hatt einen weißen Schein) D 911,14 15.Nr. 15 Die Krähe (Eine Krähe war mit mir) D 911,15 16.Nr. 16 Letzte Hoffnung (Hie und da ist an den Bäumen) D 911,16 17.Nr. 17 Im Dorfe (Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten) D 911,17 18.Nr. 18 Der stürmische Morgen (Wie hat der Sturm zerrissen) D 911,18 19.Nr. 19 Täuschung (Ein Licht tanzt freundlich vor mir her) D 911,19 20.Nr. 20 Der Wegweiser (Was vermeid ich denn die Wege) D 911,20 21.Nr. 21 Das Wirtshaus (Auf einen Totenacker) D 911,21 22.Nr. 22 Mut (Fliegt der Schnee mir ins Gesicht) D 911,22 23.Nr. 23 Die Nebensonnen (Drei Sonnen sah ich am Himmel stehn) D 911,23 24.Nr. 24 Der Leiermann (Drüben hinterm Dorfe) D 911,24 |
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Besetzung |
Olaf Bär, Bariton Geoffrey Parsons, Klavier
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