Drachen, Stepptanz, Rote Kammer: Jianguo Lu, das Neue Salonorchester Leipzig und weitere Akteure beim Chinesischen Frühlingsfest in Borna
Der chinesische Kalender ist bekanntermaßen ein wenig anders strukturiert als der gregorianische, was bedeutet, dass das wahlweise als Neujahrs- oder als Frühlingsfest bezeichnete Event anno 2024 auf den 10. Februar fällt und den Übergang vom Jahr des Hasen ins Jahr des Drachen markiert. Nun hat die Stadt Borna trotz ihrer gerade mal 20.000 Einwohner gleich zwei Partnerstädte in China, nämlich Hangzhou im Großraum Shanghai und Dujiangyan in Sichuan im gebirgigen Südwesten des Landes, so dass es nahe liegt, eine gemeinsame Feier des besagten Festes anzusetzen. Angesichts der Tatsache, dass es sich um den Samstag vor Fastnacht handelt und daher die Dichte an Alternativveranstaltungen deutlich größer ist als an einem x-beliebigen Wochenende des Jahres, ist das Stadtkulturhaus nicht ausverkauft, aber doch ganz anständig gefüllt. Der konkrete Fokus liegt auf Dujiangyan – zur Stadt und ihrer Umgebung läuft bereits vor Beginn der Veranstaltung ein Infofilm u.a. über ein Schutzprojekt für den Großen Panda und die spirituelle Tradition der Region, in der der Taoismus seine Wurzeln hat. Bevor Bornas Oberbürgermeister Oliver Urban die Gäste begrüßt, tut das per Einspieler noch sein Amtskollege aus Dujiangyan, und nach Urban ergreift Barbara Artelt vom Deutsch-Chinesischen Zentrum Leipzig e.V. das Wort, um u.a. einige Hintergründe über die beiden „Widmungstiere“ der Jahre und die zugehörigen Traditionen zu beleuchten, wobei kulinarische Erörterungen nicht ausbleiben und wir lernen, dass es ein Pendant zu Maultaschen auch in China gibt. Danach wird es auf der Bühne aktionsreich, denn sieben Mitglieder der WenWu Gesellschaft für deutsch-chinesische Kultur und Bildungsbeziehungen führen einen traditionellen Drachentanz auf, der sich u.a. aus dem Schwenken irre langer bunter Bänder mit entsprechenden Figurenköpfen speist. Zhiyuan Luo hingegen bewegt im Anschluß nur die Saiten ihrer Guzheng, einer Wölbbrettzither. Das thematisch passende Stück „Frühling am Xiang-Fluß“ von Baosheng Ning besitzt eine eher langsame Einleitung und wird dann dynamischer, wobei die Arpeggien aus der rechten Hand besonders auffallen und das Finale in völliger Wildheit endet. Illia Bukharov, der einen Chinesischen Tanz aufführt, arbeitet im Gegensatz zu den WenWu-Kollegen nur mit seinem Körper. Musikalisch begleitet wird er live von Jianguo Lu auf der Erhu, während der „Basso Continuo“, die Percussion und die Flöten vom Band dazukommen. Der von drei WenWu-Mitgliedern aufgeführte Fächertanz hingegen setzt die Fächer auch perkussiv ein, während Lu auf der Erhu und Luo auf der Guzheng live musizieren und der Rest wieder vom Band kommt. Den letzten Programmpunkt des ersten Teiles bestreiten ebenfalls WenWu, diesmal aber komplett zu Konservenmusik: Shaolin und Kung Fu bedienen sich Schwert-Nachbildungen sowie Bambusstangen zur Verdeutlichung der jeweiligen Kampfkunst. Zwei Dinge fallen auf: Die offenkundige WenWu-Führungsfigur hat in bester Yin-Yang-Manier die Haare der einen Kopfseite weiß und die der anderen schwarz gefärbt, und zum Applaus des Publikums gibt es von den (statusmäßig stark unterschiedlichen – vom Lehrling bis zum Meister ist offenkundig alles am Start) Künstlern keine Verbeugung, sondern ein Zeichen, das ein wenig an das „sign of the hammer“ von Manowar erinnert. Teil 2 des Programms bildet ein Konzert des Neuen Salonorchesters Leipzig, diesmal in Septettbesetzung: zwei Geiger, ein Bratscher, ein Cellist, ein Kontrabassist, ein Pianist und ein Schlagwerker. Dazu kommen zwei Gäste, die bereits im ersten Teil aktiv gewesen waren, nämlich Jianguo Lu an den chinesischen Instrumenten sowie der Tänzer Illia Bukharov. Letzterer ist gleich im ersten Stück „Charmante Begegnung“ von Eugen Maraczek gefragt: Während Sebastian Ude hier die Solovioline spielt und sich das Stück, anfangs noch ohne Schlagwerk, eher bedächtig entwickelt, dann aber recht dynamisch wird, mimt Bukharov einen zylinderbewehrten Stepptänzer und muß im Finale, als dann auch Drummer René Geipel mitmischt, das Ganze in schon recht atemberaubender Geschwindigkeit tun – aber für ihn ist dies offenkundig eine locker-leichte Übung, und er wird vom Publikum auch gleich noch zu einer Solozugabe animiert. Im Stück „Peking Oper“ von Yang Nailin greift dann auch Lu als Erhu-Spieler ins Geschehen ein und meistert die Aufgabe, das vorwärtsdrängende Moment durch ein emotionales zu ergänzen, problemlos. In der Folge wechseln sich Werke mit chinesischem Hintergrund munter mit solchen europäischer Herkunft ab. „Chrysanthemum Terrace“ von Jielun Zhou gehört, wie leicht zu erkennen, zu ersterer Kategorie, behandelt aber ein kulturübergreifendes wie zeitloses Thema, nämlich eine virtuelle Unterhaltung einer Frau mit ihrem im Felde stehenden Ehemann. Letztere Rolle übernimmt Cellist Wolfram Stephan, während Lus Erhu die Frau symbolisiert. Die Dialoge geraten oft recht angeregt und intensiv, nach hinten raus teilweise auch ziemlich zügig, aber immer wieder mit geschickten Verharrungen, die das Geschehen dynamisch halten. Leider kann hier wie später auch noch in etlichen anderen Stücken die Spannung am Schluß ihre Wirkung nicht entfalten, da einige Anwesende noch in den Schlußton hinein applaudieren. Liegt’s daran, dass der 1. Satz des folgenden Violinen-Doppelkonzert Bachs, arrangiert im Jazz-Stil von Ude, nicht richtig grooven will, sich Bassist und Drummer nicht wie gewünscht verzahnen und trotz unverhohlener Spielfreude das Ganze irgendwie nur mäßig beglückend ausfällt? Man kann nur raten – und da nur der erste Satz erklingt, bleibt auch hypothetisch, ob die anderen, falls Ude auch sie arrangiert hat, treffsicherer gewesen wären. Statt dessen gibt es, nachdem sich alle über den Fortgang des Programms einig geworden sind – Bratscher Henry Schneider moderiert die kleine Verwirrung gekonnt mit Humor weg –, eine Streicherfassung von Hermann Hupfelds „As Time Goes By“ mit eher bedächtiger Musik (denke niemand an Klaus Lage!), aber recht dynamischem Tanz von Bukharov, diesmal ohne Stepp. „Traum der Roten Kammer“ heißt eine in China sehr bekannte Literaturverfilmung (das zugrundeliegende Werk, eine Familiensaga aus dem 18. Jahrhundert, besitzt in der chinesischen Literaturgeschichte ungefähr den Stellenwert, den hierzulande „Die Buddenbrooks“ einnimmt, wird dem Rezensenten berichtet) und auch das nächste Stück von Wang Liping, das einleitend große weite Klanglandschaften ausbreitet, aber dann sehnsuchtsvolle Linien aus Cello, Erhu und Klavier holt, in dramatische Welten ausbricht und mit einem zauberhaften Finale endet. Der nächste Programmpunkt fehlt in der ausgedruckten Version: Ude rezitiert das Gedicht „Winter ist’s geworden“ (wir haben ja erst die erste Februardekade hinter uns), während Schneider umbaut und passend zum Finale „Frühling ist’s geworden“ fertig wird. In Günter Kleins „Trompeter-Launen“ bedient er nämlich eine Trompeten-Geige, die mittels eines Tret-Klaviers angetrieben wird (ein Geschenk von Schneiders Stelzenfestspielen-Mitstreiter Erwin Stache zum 60. Geburtstag des Bratschers). Die Nummer ist dreiteilig, ein flotter A-Teil, ein lyrischer B-Teil, in dem die Geige wie ganz weit entfernt klingt, und ein richtig schnelles Finale. Irgendwie wird man das Gefühl aber nicht los, dieses eigenartige Instrument müsse noch viel mehr können als das an diesem Abend Gezeigte. Kurios: Es gibt selbst beim Abbau noch Töne von sich. Mit dem Slogan „Herr Lu baut uns auf“ bringt Schneider dann wieder eins seiner unnachahmlichen Bonmots an – es folgt nämlich Rolf Lovlands „You Raise Me Up“, das einzige Stück des Programms, das der Hörer auch schon vom Weihnachtskonzert im Dezember 2023 in der Nikolaikirche Leipzig kennen könnte. Die Qualitäten gleichen sich – die Emotionalität überzeugt, der Schluß gelingt gar richtig bezaubernd. Danach kommt gleich nochmal Günter Klein dran, diesmal mit „Gruß an Bukarest“, einem enorm speedigen Stück voller Lebensfreude, in das Ude so viel Energie legt, dass sein Geigenbogen einiges aushalten muß, während Bukharov erneut stepptanzt und abermals zu einer (sehr intensiven) Zugabe genötigt wird. „Es gibt so viele Probleme auf der Welt, aber eins muß man wissen: Das Leben ist richtig schön“, lautete Schneiders Weisheit vor dem Klein-Stück. Das komplett chinesische Programmfinale leitet er abermals mit ausführlichen Erörterungen ein: „Die Flöte ist vom letzten Kochen übriggeblieben“, stellt er die im nächsten Stück zum Einsatz kommende Kürbisflöte vor – Lu widmet sich bekanntlich neben der Musik auch der Kulinarik. Und weiter: „Der Sieger eines Flötenwettbewerbs hat die schönste Frau bekommen. Herr Lu zeigt uns also jetzt sein Balzverhalten.“ Das Stück heißt irritierenderweise „Bambusmelodie“, obwohl die Flöte gar keine Bambusflöte ist – aber andererseits kann man Bambus ja auch essen. Ein entrücktes Intro wandelt sich in locker-flockigen Groove, und nach einem dramatischen Break landen wir in treibendem Midtempo-Jazz, der nicht in ein großes Bombastfinale mündet, sondern letztlich ganz sanft entschwebt. Das mongolische Hirtenlied „Galoppierende Pferde“ von Huang Haihuai im Arrangement von Lu muß die Pferde in den Weiten der Gobi offensichtlich erstmal zusammensuchen – lange Zeit wird eine eher karg-einsame Landschaft geschildert, erst ganz langsam kommt mehr Dynamik ins Geschehen, Geipel imitiert Hufgeklapper, auch Lus Erhu wird bisweilen pizzikato gespielt, und im druckvollen Finale darf sie sogar richtig wiehern, und ein Peitschenknall ertönt – die Pferde sind also offensichtlich alle zusammengeholt worden, und das Publikum applaudiert fleißig. Das letzte im Programm verzeichnete Stück bildet praktisch die Zugabe: „Volle Freude“ von Liu Mingyuan gebärdet sich trotz ungewöhnlich niedrigem Grundbeat von Beginn an locker und fröhlich, ehe nicht nur die Geschwindigkeit zunimmt, sondern auch Bukharov nochmal stepptanzend ins Geschehen eingreift. Damit endet ein interessantes kulturübergreifendes Programm mit reihenweise Entdeckungswürdigem, für dessen Erlebnis man nicht erst nach China fahren muß, sondern es praktisch vor der Haustür serviert bekommt. Fein! Roland Ludwig |
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