Esa Holopainen
Silver Lake
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Eine der ganz wenigen positiven Folgen der Corona-Pandemie war der Fakt, dass diverse Menschen plötzlich ungeahnt viel Zeit hatten und daher Projekte in Angriff nehmen konnten, die bisher immer an einem zu vollen Terminkalender gescheitert waren. Zu diesen Menschen zählte auch Amorphis-Gitarrist Esa Holopainen, der schon längere Zeit mit einem Soloalbum geliebäugelt hatte, weil sich ein paar Ideen in der Schublade angesammelt hatten, die trotz des eklektizistischen Ansatzes von Amorphis dann doch nicht so richtig zu dieser Band gepaßt hätten – zumindest glaubte Holopainen das. Jedenfalls tat er sich mit Produzent Nino Laurenne zusammen, schrieb noch eine Handvoll weitere Songs und erschuf mit einem Stapel Gastmusiker letztlich das, was nunmehr unter dem Namen Silver Lake vorliegt. So richtig eindeutig ist die gewählte Formulierung „SILVER LAKE by ESA HOLOPAINEN“, also mit der vorderen Komponente in Majuskeln und der hinteren in Kapitälchen, nicht, aber es bleibt dem Hörer unbenommen, das Ganze in die normale Bezeichnung umzurechnen, zumal Silver Lake trotz der Tatsache, dass etliche Musiker häufiger auftauchen, offensichtlich nicht als festes Bandprojekt gedacht ist und auch im Promomaterial immer der Terminus „Soloalbum“ gebraucht wird.
Frage ist nun aber, ob das Material wirklich so weit ab vom Amorphis-Kosmos liegt, dass es nicht in diesen gepaßt hätte. Die Antwort ist ein klares Jein. Einerseits gebärden sich etliche der neun Songs tatsächlich etwas entspannter als das typische Bandmaterial, andererseits hätte es genügt, hier und da noch ein paar kräftige Riffs drunterzulegen, um zumindest instrumentenseitig problemlose Amorphis-Kompatibilität zu erreichen. Ziel war aber offensichtlich ein anderes, nämlich den beteiligten Sängern ein Vehikel unterzubauen, das gar nicht so weit von ihren Stammgefilden entfernt liegt. Das hat bekanntlich Dave Grohl beim Probot-Projekt schon mal gemacht, und so ähnlich geht auch Holopainen hier zu Werke. Das eröffnende Instrumental „Silver Lake“ hätte erstmal primär auch auf jedem Amorphis-Album seinen Platz finden können, auch wenn es im Emotionenfaktor nicht ganz an „Thousand Lakes“ herankommt, dem es ansonsten durchaus verwandt anmutet, trotz anderer Instrumentierung. Aber schon „Sentiment“ mit Jonas Renkse am Mikrofon hätte in der vorliegenden Form genauso zu Katatonia gepaßt wie dessen zweiter Beitrag „Apprentice“, der das Album abschließt. Analoges trifft auch auf „Ray Of Light“ zu, in dem Einar Solberg den gleichen „a-ha auf Progmetal“-Gestus an den Tag legt wie hier. Håkan Hemlin aka Norberg ist dem Rezensenten hingegen von seinem üblichen Schaffen her nicht geläufig, und so kann er nicht mit Bestimmtheit sagen, auf wen der zurückhaltend beginnende und zur Bombastrockhymne mutierende Song zugeschnitten sein könnte. Individuell kommt dagegen „Alkusointu“ daher – zum einen ist der Song der einzige mit finnischem Text, zum zweiten der einzige, dessen Text (inclusive Übersetzung) auf dem bookletlosen Digipack abgedruckt ist, zum dritten der einzige, dessen Text aus dem 19. Jahrhundert stammt, und zum vierten singt hier niemand im eigentlichen Sinne, sondern Vesa-Matti Loiri legt eine Art Spoken-Word-Performance hin, mit tiefer Märchenonkel-Stimme, die sich in den bombastischen Doom, der instrumental dahinterliegt, perfekt einpaßt. Das Saxophon, das Erinnerungen an die mittelfrühen Amorphis-Zeiten aufkommen läßt, setzt dem Ganzen das Sahnehäubchen auf. „In Her Solitude“ hingegen macht einem die Einordnung deutlich leichter – hier singt Tomi Joutsen, und folgerichtig haben wir richtig amorphis-kompatibles Material vor uns, vielleicht mit der einen oder anderen zusätzlichen Rhythmusverschiebung, die im Bandkontext möglicherweise noch ausdiskutiert worden wäre, aber auf alle Fälle auch in der gegebenen Form problemlos mit der Hauptband kompatibel. Bei „Promising Sun“ bringt Holopainen hingegen das Kunststück fertig, den Song irgendwo zwischen den beiden Hauptbetätigungsfeldern von Björn „Speed“ Strid anzusiedeln, also Soilwork mit The Night Flight Orchestra zu verknüpfen – das muß man auch erstmal hinkriegen. Mit dem jüngeren Schaffen von Anneke van Giersbergen, also speziell Vuur, hat sich der Rezensent noch nicht näher beschäftigt und kann daher nicht einschätzen, ob „Fading Moon“ da irgendwo andockbar wäre – aber darauf kommt es auch gar nicht an, denn der Song hätte auch schon irgendwo bei The Gathering verwendet werden können, ohne dass das aufgefallen wäre, zwar noch nicht auf Mandylion, aber durchaus auf einem der folgenden noch von Anneke eingesungenen Alben, vielleicht am ehesten auf Nighttime Birds, wo es neben „The May Song“ und „Kevin’s Telescope“ einen weiteren Auflockerer gebildet hätte. Das erwähnte „Apprentice“ schließt Silver Lake im Katatonia-Stil ab, allerdings etwas freundlicher gestimmt als das Gros von deren Material und hier und da gar an Riverside gemahnend. Mit gerade mal 37 Minuten ist der Silbersee nicht gerade voluminös, aber das Durchhören bereitet durchaus Freude, wenngleich die ganz großen Highlights ausbleiben. Man muß eben nur wissen, worauf man sich einläßt – so ein bißchen Sampler-Charakter hat die Scheibe trotz der instrumentalen gemeinsamen Grundsprache schon. Aber wer den erwähnten Probot-Ansatz gut fand, der wird auch hier keine Sorgenfalten bekommen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Silver Lake | 3:04 |
2 | Sentiment (feat. Jonas Renkse) | 3:45 |
3 | Storm (feat. Håkan Hemlin) | 4:14 |
4 | Ray Of Light (feat. Einar Solberg) | 3:31 |
5 | Alkusointu (feat. Vesa-Matti Loiri) | 4:43 |
6 | In Her Solitude (feat Tomi Joutsen) | 4:48 |
7 | Promising Sun (feat. Björn „Speed“ Strid) | 4:17 |
8 | Fading Moon (feat. Anneke van Giersbergen) | 4:27 |
9 | Apprentice (feat. Jonas Renkse) |
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Besetzung |
Sänger siehe Tracklist
Esa Holopainen (Git)
Vili Itäpelto (Keys)
Pasi Heikkilä (B)
Sampo Haapaniemi (Dr, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8, 9)
Gas Lipstick (Dr, 2, 3, 4, 7)
Anu Itäpelto (Kantele, 5)
Janne Huttunen (Fl, 2; Sax, 5)
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