Gallische Hähne aus Laos: Matthias Ehrig mit einem Gitarre-Solo-Programm in Bad Lausick
Anno 2021 war auch das Gitarrenseminar der Evangelischen Jugendarbeit im Kirchenbezirk Leipziger Land, traditionell an einem Wochenende Ende Januar oder Anfang Februar auf dem Programm stehend, wie viele andere kulturelle Veranstaltungen der virösen Lage zum Opfer gefallen – 2022 kann es unter gewissen Hygieneregeln nun wieder stattfinden, und auch die Tradition, dass der Dozent am Samstagabend ein Konzert für die Seminarteilnehmer, aber auch für die interessierte Öffentlichkeit spielt, findet ihre Fortsetzung. Diesmal am Start ist der Leipziger Matthias Ehrig, der schon 2016 den Kurs leitete und mit seinem Duo Interloop das abendliche Konzert hätte bestreiten sollen, was aber wegen Krankheit seiner Duopartnerin kurzfristig ins Wasser fiel – spontan ein Soloprogramm hervorzuzaubern war ihm damals nicht möglich gewesen, weil er seinerzeit noch keine solchen spielte, was sich zwischenzeitlich offensichtlich geändert hat, wie dieser Abend sechs Jahre später nunmehr beweist, an dem er sich in einer späteren Ansage augenzwinkernd als „Diplom-E-Gitarrist“ vorstellt – allerdings erst im vorletzten Song des Hauptsets, als er eben an die Elektrische wechselt. Das Gros des Gigs hat er zuvor mit der Akustischen bestritten, unterstützt durch eine Loopstation und eine elektronische Bassdrum, die er mit dem linken Fuß bedient und die trotz ihres recht durchdringenden Tones nicht als Störfaktor wirkt, sondern das tut, wofür sie im gegebenen Kontext da ist, nämlich diverse rhythmische Akzentuierungen vorzunehmen. Um das festzustellen, genügt schon die hintere Hälfte des ersten Stücks, das der zehn Minuten zu spät eintreffende Rezensent mitbekommt: „One Note Popsong“ spricht seinem Titel völlig Hohn und gebärdet sich als vielschichtiges und wendungsreiches Epos, das allerdings tatsächlich ein eingängiges Thema im Dreiertakt auffährt und selbiges gelegentlich wiederholt, also durchaus nachvollziehbare Elemente besitzt, die man auch in einem Popsong vermuten könnte. Bei einem späteren Blick auf die Setlist stellt sich heraus, dass das schon die zweite Nummer des Abends ist, der Rezensent also den Opener verpaßt hat, was sich augenzwinkernd allerdings auch nicht als größeres Problem herausstellt, trägt dieser doch den Titel „First But Not Best“ – falls das der Wahrheit entsprochen haben sollte, hat der Rezensent also das Beste miterlebt, wenngleich man mit solchen Urteilen natürlich vorsichtig sein muß, denn in puncto Songtiteln blitzt der Schalk des Leipzigers immer wieder auf. Letzteres trifft auch auf die Ansagen zu, etwa gleich die erste, die der Rezensent miterlebt, also zu Song 3, der da „Chaos in Laos“ heißt, obwohl sich, wie man an seinem Ende feststellt, der Chaosfaktor in relativ überschaubaren Grenzen gehalten hat und die Bassdrum über weite Strecken für eine Art motorischen Vorwärtsdrang sorgt, so dass man fast geneigt wäre, eine Umtaufung der gerüchteweise auch existierenden Variante ohne die beiden asiatisch inspirierten Zwischenteile in „Pogo in Togo“ vorzunehmen. Die eine oder andere Ansage ist zum Verständnis des Songbackgrounds allerdings tatsächlich unverzichtbar, etwa gleich beim folgenden „Mister Miller’s Chicken Chase“ – wer hätte dahinter die Geschichte vermutet, dass René Müller, Torwart der DDR-Fußballnationalmannschaft, während des 2:0 gewonnenen WM-Qualifikationsspiels gegen Frankreich am 11.9.1985 im Leipziger Zentralstadion einen von den französischen Fans im Stadion ausgesetzten gallischen Hahn (wie auch immer die den durch den Zoll gekriegt haben) fangen mußte, der durch seinen Strafraum flatterte (was sich ein reichliches Jahr später, am 19.11.1986, im torlos gebliebenen EM-Qualifikationsspiel gegen den gleichen Kontrahenten an identischer Stelle wiederholte)? Der Song kombiniert Speed- und Midtempopassagen, entwickelt aber auch in letzteren einen unterschwelligen Drive, wobei der Fang selbst eher unprätentiös geschildert wird. „Quarantäne-Phänomene“ wiederum deutet die Begleiterscheinungen einer Kontaktpersonenquarantäne positiv um (keiner darf in die Wohnung, das Essen wird gebracht, man hat endlich mal Zeit für heimisches Fitneßtraining und zum Lesen ...) und gewinnt wohl daraus seinen swingenden Midtemporhythmus, während „Stille“ keine Coverversion eines gewissen John-Cage-Klassikers darstellt, sondern sich bedächtig, aber stetig nach vorn entwickelt, allerdings in einigen spacigen Verharrungen Rückschau haltend. Das Songende kommt eher plötzlich, und nachdem die bisherigen Songs alle relativ lang waren und reichlich Einsatz der Loopstation erforderten, folgen in der zweiten Sethälfte eher kürzere, die zudem partiell auf „Fremdmaterial“ zurückgreifen (die Loopstation allerdings immer noch relativ weitreichend zum Einsatz bringend): „Bach Beats Balkan“ zerlegt ein Bach-Präludium und addiert südosteuropäische Elemente, „DC Easy“ baut einen Spielfehler eines syrischen Gitarrenschülers Ehrigs in ein arabisches Arrangement von „Highway To Hell“ aus, das noch schwerer zu identifizieren ist als die instrumentalen Parts der Knorkator-Fassung dieses Songs, „New Love“ swingt bedächtig über markanten Baßtönen, und „Lilla Hultenbridragsvalsen“ geriert sich als Shoegaze-Nummer mit einigen lieblichen Klanglandschaften. Dann wechselt Ehrig wie eingangs beschrieben von der akustischen zur elektrischen Gitarre, mit der er die beiden letzten Beiträge des Hauptsets, das flotte „The Dob“ und das titelgemäß mit einem intensiven Slowgroove aufwartende „Slowly, Slowly“, das ganz tief in die Kindheit des Gitarristen zurückschielt (in Zeiten, als er zu Solomon-Burke-Nummern Luftgitarre gespielt habe), intoniert, wobei in letzterem nach bisher durchaus gutem Sound die diversen Schichten klanglich ein wenig zu stark ineinanderlaufen. Das hindert die Seminarteilnehmer und die Handvoll externer Gäste aber nicht am Spenden reichlichen Applauses, der noch mit der Zugabe „Mehr als wir“ belohnt wird, einem Stück in klassischer ABA-Form und einem dem Rezensenten irgendwie bekannt vorkommenden Hauptthema, das er aber nicht näher verorten kann. Nach einer reichlichen Stunde ist ein reizvolles Konzert Geschichte, und die Hoffnung bleibt, dass 2023 – gleiche Stelle, gleiche Welle – wieder ein Stück mehr Normalität eingezogen sein wird. Roland Ludwig |
|
|
|