Wargasm
Rawgasm – Live In Boston
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Wargasm galten stets als starke Liveband, wovon sich auch die europäischen Metalfans mehrfach überzeugen konnten – im Vorprogramm von Biohazard muß man als völlig hardcorefreie Band erstmal bestehen können. Der Rezensent hat die Formation allerdings nie zu Gesicht bekommen und muß sich daher diesbezüglich auf die gängige Literatur verlassen; auch die Fireball-EP, auf der neben dem titelgebenden Deep-Purple-Cover u.a. auch mehrere Livetracks standen, befindet sich nicht im durchgehörten Teil der hiesigen Sammlung. Jedenfalls löste sich die Band 1995 noch vor Erscheinen ihres dritten, programmatisch betitelten Studioalbums Suicide Notes auf, fand dann aber temporär 2004 wieder zusammen, um einen Headlinergig auf einem Benefizfestival zugunsten der Organisation Rawkstars, die sich im Großraum Boston um die musikalische Aus- und Weiterbildung von Kindern aus unterprivilegierten Familien kümmert, zu spielen. Dieser Gig wurde mitgeschnitten, und das Material erschien vier Jahre später als eigenproduzierte DVD unter dem Titel Live In Boston: Knee Deep In The Middle East, zu deren Release anno 2008 die Band abermals für zwei Gigs zusammenfand. Offenbar gab es aber auch Nachfragen nach den reinen Audiospuren des Gigs, und so wurde weitere sieben Jahre später eine CD in Kleinstauflage von 100 Stück gebrannt. Das reichte natürlich nicht, um die alle Jubeljahre mal aus ihren Löchern kriechenden alten Wargasm-Anhänger zufriedenzustellen, und nachdem abermals vier Jahre ins Land gezogen waren, liegt die CD nunmehr seit 2019 als regulärer Label-Release vor, immerhin anderthalb Jahrzehnte nach dem originalen Gig. Dass die Encyclopedia Metallum auch für diese Pressung von einer Limitierung auf 100 Exemplare spricht, dürfte ein Kopierfehler beim Anlegen des neuen Datensatzes sein, und zumindest im Exemplar des Rezensenten findet sich kein Hinweis auf eine etwaige Miniauflage, die ja im Falle des Falles sicher numeriert worden wäre.
Bleiben wir gleich bei den Unklarheiten: Das besagte Benefizfestival fand laut dem im Booklet abgebildeten Plakat am 18.9.2004 statt, die Impressumsseite spricht aber davon, das Material sei am 24.9.2004 mitgeschnitten worden – immerhin im gleichen Club, dem Middle East Club in Cambridge, Massachusetts, was nahe genug bei Boston liegt, um den Backcoverspruch „Recorded live in Boston, Massachusetts“ und den Untertitel der Veröffentlichungen zu rechtfertigen. Die CD hat neun Tracks, die DVD aber 13 plus ein Intro, wobei die CD-Tracks auf der DVD in der gleichen Reihenfolge stehen, also das Intro und die vier fehlenden Tracks einfach rausgeschnitten worden sein könnten. Aber die Lage wird noch skurriler: Im Booklet der CD findet sich unter den zahlreichen Livefotos eins, wo Drummer Barry Spillberg links neben sich eine Setlist liegen hat, und das, was man da lesen kann, stimmt weder mit der CD noch mit der DVD überein. Die einzige Erklärung, die der Rezensent momentan findet, wäre, dass die Band nach dem enormen Erfolg des ersten Gigs an gleicher Stelle sechs Tage später noch einen Zusatzgig angesetzt hat und das mitgeschnittene Material von diesem stammt, die Fotos (oder zumindest das von Barry) aber vom ersten Gig – dass die Setlist im Konzert spontan derart umfangreich umgestellt wurde, wie man das anhand des zu erkennenden Ausschnittes schließen kann, dürfte ebenso unwahrscheinlich sein wie die Option, dass die Aufnahmen in der veröffentlichten Form anders aneinandergeschnitten wurden, als sie im Original gespielt worden waren.
Wie auch immer – die Stimmung im Club scheint exzellent gewesen zu sein, das Publikum singt fleißig mit und macht den Eindruck, als habe es diese Zeitreise sehr genossen. Wenn man nur die CD-Setlist hernimmt, könnte man vermuten, die Band habe einen sehr stark von ihrem Debütalbum Why Play Around? geprägten Set gespielt, denn von den neun Songs stammen gleich fünf, also mehr als die Hälfte, von ihm, während der Zweitling Ugly nur „Enemy Mine“ stellt (das auch live den typischen, von den anderen Platten etwas abweichenden Gitarrensound der Studioscheibe auffährt) und Suicide Notes die restlichen drei Songs. Schaut man sich aber die vier nur auf der DVD enthaltenen Songs an, so relativiert sich das Bild etwas, denn dabei handelt es sich um „Bullets & Blades“ von Why Play Around? und gleich drei Ugly-Nummern, so dass auch der Zweitling deutlich stärker präsent ist, obwohl der Fokus natürlich auf dem Debüt bleibt – von dessen neun Songs fehlten im Set nur die zwei Instrumentals und die neunminütige Bandhymne „Wargasm“. Unter den geschnittenen Ugly-Nummern befindet sich auch der Wargasm-Lieblingstrack des Rezensenten, „Dreadnaught Day“, aber da der verbliebene „Rest“ qualitativ auch hoch zu punkten weiß, kann er das verschmerzen. Und obwohl die drei Bostoner ein besonders gutes Händchen hatten, ihren gekonnt auf der Grenze zwischen Power und Thrash Metal angesiedelten Sound in Midtempolagen so mitreißend zu gestalten, dass man auch als Nichtanhänger der in den Frühneunzigern aufkommenden Biopantura-Schiene voll und ganz zufriedengestellt wurde, beweisen die beiden Debütkracher „Undead“ und „Humanoid“ in ganz besonders intensiver Weise, dass Wargasm auch im Hochgeschwindigkeitsbereich ihre Qualitäten hatten, wobei „Undead“ einen Deut mehr klassischen Metal einfließen läßt, während „Humanoid“ in einfacher, aber wirkungsvoller Weise einen pfeilschnellen Rahmen mit einem verschleppten Mittelteil kombiniert. Zugleich war ihnen seit den frühen Bandtagen, als sie vom Quartett mit zwei Gitarren zum Trio schrumpften, klar, dass sie bei ihrer Bühnenaffinität einen Weg finden müssen, wie Rich Spillberg allein die Gitarrenarbeit meistern kann, ohne dass Löcher im Sound entstehen – und darin sind Wargasm auch 2004 noch immer meisterlich, und es stört nicht im Geringsten, wenn da unter dem Solo mal keine Rhythmusgitarre liegt. Bob Mayo hat sich seinen für Thrash-Verhältnisse völlig ungewöhnlichen Gesangsstil gleichfalls bewahrt – er praktiziert eine Art „cleanes Shouten“, und vielleicht hätte er auch in einer Epic-Metal-Band anheuern können. Dass die drei im abschließenden „Revenge“ ab Minute 4 einen Classic-Metal-Part inszenieren, der trotz des Vorhandenseins nur einer Gitarre eine halbe Minute lang in wohligster Weise an frühe Iron-Maiden-Tage erinnert, setzt der exzellenten Leistung hier noch die Krone auf und läßt es umso bedauerlicher erscheinen, dass diese Band nie so groß geworden ist, wie sie es angesichts ihres Könnens eigentlich verdient gehabt hätte. Rawgasm ist trotz seines Titels keineswegs roh oder gar ruppig, sondern jederzeit gut durchhörbar, bläst aber die Power trotzdem angemessen vom Middle East Club ins heimische Wohnzimmer herüber und geht als prächtige Ersatzdroge für alle durch, denen es nie vergönnt war, die Combo mal live zu sehen. Nur ist die Konserve mit reichlich 51 Minuten halt viel zu kurz. Aber wer weiß, vielleicht wird die vierte Veröffentlichungsvariante dieses Materials (bzw. die dritte in Audioform) eines Tages dann doch noch eine CD mit dem vollen Set inclusive „Dreadnaught Day“ *träum
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Wasteland | 4:15 |
2 | This May Not Be Hell | 5:17 |
3 | Sudden Death | 5:04 |
4 | Engine | 4:53 |
5 | Enemy Mine | 4:56 |
6 | Jigsaw Man | 4:45 |
7 | Undead | 7:37 |
8 | Humanoid | 5:03 |
9 | Revenge | 9:36 |
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Besetzung |
Bob Mayo (Voc, B)
Rich Spillberg (Git)
Barry Spillberg (Dr)
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