Velvet Viper
Respice Finem
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Nach der Auflösung von Velvet Viper – mit dem gutklassigen The 4th Quest For Fantasy-Album war 1992 kein Blumentopf mehr zu gewinnen gewesen – arbeitete Jutta Weinhold unter verschiedenen Projektnamen weiter, die alle irgendwie von ihrem Namen abgeleitet waren: mal als Weinhold, mal als Jutta Weinhold und auch mal als Jutta Weinhold Band. 2015 lernte sie den Gitarristen Holger Marx kennen, und der wurde in der Folgezeit zu ihrem wichtigsten Songwriting- und Bandpartner. Auch der Bassist Uwe Seemann griff umfangreich ins songwriterische Geschehen ein, aber als die Entscheidung fiel, Velvet Viper wiederzubeleben und elf neue Songs einzuspielen, nahm Seemann zwar die Einspielung im Studio vor, trat aber nicht der Livebesetzung bei, im Gegensatz zu Marx, der sowohl zur Studio- als auch zur Liveband gehört. In letzterer bediente statt dessen Fabian Ranft die vier Saiten, und Micha Fromm saß am Schlagzeug, aber auch der Drummer war im Studio ein anderer. Mit den Studio-Aktiven von Respice Finem, so der Titel des Comebackalbums, hat Jutta quasi ein norddeutsches All-Star-Projekt beisammen, mit Kai Hansen als zentraler Figur auf dem Produzentensessel, aber auch als Backingsänger und als Gastleadgitarrist in zwei Songs. Möglicherweise hat der auch Michael Ehré angeschleppt, denn der Gamma-Ray-Drummer hatte ja wegen der Helloween-Reunion ungewollt viel Freizeit und konnte so die hiesige Studioeinspielung übernehmen. Mit Corvin Bahn übernahm ein weiterer Arrivierter die Keyboards, und auch im Backingchor findet sich noch so mancher bekannte Name, etwa Henning Basse, Eike Freese – und Claus Reinholdt, besser bekannt als Bubi The Schmied und mit Jutta seit den 80ern immer mal wieder gemeinsame Sache machend. Möglicherweise handelt es sich hier um seine letzte oder zumindest eine der letzten Studioaufnahmen vor seinem plötzlichen Tod Anfang 2018.
Die Frage ist nun allerdings: Hat sich der ganze Aufwand gelohnt? Die Antwort ist ein nahezu eindeutiges Ja, und hätten es Velvet Viper geschafft, die Höchstform der ersten vier Songs von Respice Finem über die ganze Platte hinweg zu konservieren, hätte man von einem Volltreffer sprechen müssen. „Don’t Leave Before Wintertime“ beginnt mit einem geheimnisvollen Intro und entwickelt sich dann in Richtung schnellen und für Velvet-Viper-Verhältnisse sehr harten Power Metals, wobei Ehrés saftiges Getrommel sicherlich sein Scherflein zum mitreißenden Gesamteindruck beiträgt. „Shadow Ryche“ bietet für die Band wiederum leicht ungewöhnliche Klänge, nämlich eher leichtfüßigen Melodic Metal an der Grenze zum Melodic Rock, der vom Grundausdruck her dem sonst bandtypischen schwereren Beat diametral entgegengesetzt ist und der den Chören einen bedeutsamen Platz einräumt. Der Titeltrack folgt dem logischen Prinzip, die stärkste und auffälligste Komposition zu diesem zu erheben: Hier haben wir stoisch stampfenden Metal vor uns, der den einprägsamsten Refrain der ganzen Scheibe besitzt (die lateinische Phrase wird interessanterweise in englischer Manier ausgesprochen) und in dem sich Bahn, Marx und Hansen minutenlang in Soloorgien ergehen, ohne daß es dem Hörer auch nur eine Sekunde langweilig wird – lediglich das Ende nach reichlich zehn Minuten hätte man vielleicht noch auf dramatische Weise arrangieren können, anstatt wie hier geschehen eine simple Ausblendung vorzunehmen. Andererseits vermittelt gerade diese Ausblendung dem Hörer das Gefühl, daß es eben noch minutenlang hätte so weitergehen können, und vielleicht ist die Entscheidung für diese Lösung daher Absicht gewesen. Mehr Dramatik gibt’s dann im wieder durch Ehré erheblich gehärteten „Fraternize With Rats“, und spätestens hier, wahrscheinlich aber schon zuvor im Titeltrack fällt wohl so manchem Hörer auf, daß Hansens Stimmfarbe in den Chören bisweilen recht weit im Vordergrund zu stehen scheint. Aber vielleicht wirkt das auch nur so, weil man seine Stimme vermutlich am besten von denen aller Beteiligter kennt. Daß die Chefin hier allerdings mal in Tiefen herunter muß, die ihr scheinbar nicht ganz so liegen – geschenkt: Man freut sich prinzipiell, daß die zum Zeitpunkt der Einspielung schon knapp 70 Lenze zählende Sängerin insgesamt noch erstaunlich gut bei Stimme ist. 50 Jahre zuvor, als sie beim „Hair“-Musical aktiv war, hat sie bestimmte Atemtechniken gelernt, und davon profitiert sie noch heute und steckt viele, sehr viele Altersgenossen locker in die Tasche. Sowas wie den letzten Refrain in „Loherangrin – Lohengrin“ muß man sich in dem Alter jedenfalls erstmal trauen, und auch wenn der erste Sprung nach oben nicht hundertprozentig sitzt, so tut’s der zweite dann und macht klar, was hier noch geht.
Leider war’s das nach „Fraternize With Rats“ vorerst mit der Herrlichkeit – die nächsten Songs können dieses Niveau nicht halten. „Eternally Onwards“ erinnert vom Grundaufbau her an irgendeine Dio-Nummer (dem Rezensenten ist noch nicht eingefallen, welche), und mit „Ogaydez“ unternehmen Velvet Viper den Versuch, am „richtigen“ Doom Metal zu kratzen, finden aber dafür zumindest nach Meinung des Rezensenten nicht den richtigen Gitarrensound, sondern bleiben zu unentschlossen bei einem fast alternativ angehauchten Sound stehen. „Dangerous“ läßt wieder aufhorchen, denn hier hören wir eine Art Mix aus Velvet Viper und Deep Purple, Bahn wirft die Hammond an, und die Entscheidung, aus dem Midtempobeat in speedige Soloparts umzuschalten, war definitiv die richtige – leider aber gibt es hier abermals eine Ausblendung, zumal inmitten einer weiteren Dramatisierung, und so kommt sich der Hörer angefüttert, aber dann irgendwie am ausgestreckten Arm verhungern gelassen vor. Das völlig orientierungslose „Raven Evermore“ vergißt man am besten gleich wieder, bei „Stormy Birth“ wäre das allerdings ein Fehler: Abermals wagen sich Velvet Viper in Epic-Doom-Gefilde vor, diesmal mit dramatischen Streichern und Gongs von Bahn und mit einem deutlich stilgemäßeren Gitarrensound von Marx – und schon überzeugt das Ergebnis deutlich stärker und kann fast zu den Highlights des ersten Teils aufschließen. Das flotte „Law Of Rock“ läßt in seinen ersten 40 Sekunden ein Instrumental erwarten, bevor die Chefin dann doch noch zu singen beginnt und sich klassischer Hardrock entwickelt, wie er klassischer nicht arrangiert sein könnte – und klängen die Chorsänger hier nicht so gelangweilt, daß sie der nach oben steigenden Bridge nichts Adäquates entgegenzusetzen hätten, man dürfte von einem weiteren Highlight sprechen. Die Nummer dürfte live allerdings erst ihr volles Potential entfalten. Zum Abschluß ist mal wieder Wagner an der Reihe – Songwritingcredits bekommt er allerdings keine, und der Rezensent hat das Lohengrin-Material nicht gut genug im Ohr, um zu entscheiden, ob beispielsweise der lange Intropart, von Jutta zur Gitarre vorgetragen, Motive aus dem 19. Jahrhundert verarbeitet. Ansonsten finden wir in den knapp acht Minuten eine klassische Dramatisierung von der erwähnten Überleitung über klassischen schwerblütigen Metal bis hin zu einem Speedausbruch, und auch hier kratzen Velvet Viper nochmal an der Form der ersten Songs, so daß man ab „Stormy Birth“ fast von einem Endspurt sprechen kann, der Respice Finem nach dem Schwächeanfall in der Albummitte noch auf ein beachtlich hohes Niveau rettet und dafür sorgt, daß dieses Comeback ohne Wenn und Aber als äußerst erfreulich bezeichnet werden darf. Und obwohl Velvet Viper die eine oder andere Stilgrenze einen Tick weiter nach außen geschoben haben, sollte niemand, der ihre alten Werke mochte, mit dieser neuen Stunde Musik grundsätzliche Zugangsprobleme haben.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Don’t Leave Before Wintertime | 3:28 |
2 | Shadow Ryche | 5:05 |
3 | Respice Finem | 10:14 |
4 | Fraternize With Rats | 5:50 |
5 | Eternally Onwards | 4:02 |
6 | Ogaydez | 5:14 |
7 | Dangerous | 4:12 |
8 | Raven Evermore | 4:37 |
9 | Stormy Birth | 5:48 |
10 | Law Of Rock | 4:03 |
11 | Loherangrin - Lohengrin | 7:45 |
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Besetzung |
Jutta Weinhold (Voc)
Holger Marx (Git)
Corvin Bahn (Keys)
Uwe Seemann (B)
Michael Ehré (Dr)
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