Mayfair
... Frevel ...
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In der ab 2013 mit Konserven dokumentierten neuen Schaffensperiode haben sich Mayfair eine Art Nische geschaffen, die gewisse Elemente der ersten Phase adaptiert, diese aber in einen anderen Kontext stellt. Zu beschreiben sind die Österreicher nach wie vor nicht leicht, auch das hier gewählte Etikett Wave Metal ist nicht viel mehr als ein Hilfskonstrukt, verrät dem Kenner der jüngeren Alben Schlage mein Herz, schlage und My Ghosts Inside aber immerhin, dass das seit der Neuformierung und einer kurz danach geschehenen Umbesetzung am Baß lange in stabiler Besetzung agiert habende, nunmehr indes abermals mit einem neuen Bassisten antretende Quartett den metallischen Aspekt wieder einen Deut stärker gewichtet als auf besagten Alben, Gitarrist René also verstärkt wieder an der Elektrischen Krach machen lassend, wiewohl auch die eigentümlichen angedüsterten Halbakustikpassagen nach wie vor breiten Raum einnehmen und seit jeher einen wichtigen Bestandteil des Mayfair-Stils bilden, wenngleich durchaus in verschiedenen Soundgewändern. Schon der Opener des neuen Albums ... Frevel ..., Evil Christine, macht die Dualität zum Prinzip, kombiniert eine hitverdächtige geradlinige Halbakustikstrophe mit wilden Ausbrüchen im Refrain, die dann auch Sänger Mario zu sehr expressiver Artikulation treiben, wie überhaupt der Vokalist wieder einiges an Vielfalt an den Tag legt und nur derjenige, der ihn auf die Falsettpassagen des Debüts ...Behind reduziert, hier wohl nur bedingt glücklich wird, denn ebensolche gibt es in den elf neuen Songs ebensowenig zu hören wie den eigentümlichen Progmetal der damaligen Zeit, womit freilich auch nicht zu rechnen gewesen war. Statt dessen befleißigt sich der Sänger in „Ungetaktet“ einer appellierenden Artikulation, die mit den politischen Lyrics Hand in Hand geht und auf die Gefahren des Paktierens der bürgerlichen Mitte mit rechtsaußen stehenden Parteien hinweist – in Österreich hat man ja da schon längere Zeit die FPÖ-Studienobjekte vor der Nase, während wir in Deutschland noch lernen müssen, dass die AfD spätestens nach den diversen Quasi-Spaltungen im disqualifizierten Areal sitzt. ... Frevel ... ist allerdings 2019 bereits vor Ibizagate entstanden und erschienen – durchaus ein Thema, dessen Behandlung man auf dem nächsten Mayfair-Album erwarten könnte, wenngleich das Quartett natürlich alles andere als eine Politrock-Formation darstellt und seinen Blick auch in andere Abgründe der menschlichen Gesellschaft richtet. Auffällig ist allerdings, dass der Englisch-Deutsch-Sprachwechsel früherer Alben auf ... Frevel ... verschwunden ist – im Opener „Evil Christine“ bildet der Titel die einzige englische Phrase, die zudem im eigentlichen Text nirgendwo auftaucht, und die anderen zehn Songs bedienen sich in Titeln wie Texten grundsätzlich der deutschen Sprache, wodurch sie an manchen Stellen durchaus klarer deutbar sind, allerdings erwartungsgemäß nicht durchgehend, denn die symbolistisch geprägte Herangehensweise nimmt nach wie vor einen breiten Raum ein, und so sind etwa in „Der Teufel“ die faustischen Anspielungen zwar mehr als deutlich, es handelt sich allerdings weder um eine direkte Goethe-Adaption noch um das komplette Gegenstück. Zur Vielschichtigkeit gehört dann hier auch das orientalisch geprägte Hauptsolo, das sozusagen eher zum Scheitan passen würde – aber dass die Türken mal vor Wien standen, ist ja im weltgeschichtlichen Maßstab noch gar nicht so lange her. Ein gutes Händchen für Details hatten Mayfair schon immer, und das ist auch auf ... Frevel ... natürlich nicht anders – man höre nur mal genau auf die Baßleads in „Hitze“! Sie machen die Erschließung dem Hörer aber durchaus nicht immer einfach, etwa bei Track 8: Der steht auf dem Backcover als „Atme (Frevel)“, auf der Bookletrückseite und beim Textabdruck im Booklet (im Gegensatz zum Vorgängeralbum sind diesmal die kompletten Texte nachzulesen) aber als „Atme Frevel“, was durchaus grundverschiedene Konnotationen zuläßt. Der Song jedenfalls ist mit über sechs Minuten nicht nur der längste auf dem Album, sondern auch mit seinem Hymnencharakter auffällig, und Mario agiert phasenweise mal wieder sehr theatralisch. Dazu tritt abermals Leadarbeit von Bassist Medi, die in Kombination mit der ungewöhnlichen Gitarrenarbeit im langen Instrumentalpart bisweilen ein wenig an klassische Led-Zeppelin-Tage erinnert, allerdings ohne deren Drang zur „Orgie“. Wenn man genau hinhört, entdeckt man außerdem in „Hinter dem Leben“ eine kleine, vielleicht nur unbewußte Verbeugung vor dem Titeltrack von Black Sabbaths Heaven And Hell-Meisterwerk, während „Annelies“ darauf verzichtet, die dramatische Bridge in Richtung feisten Dooms zu lenken, was durchaus möglich gewesen wäre – statt dessen denkt man einen Moment an Udo Lindenbergs „Sister King Kong“, allerdings weniger aus musikalischen als aus thematischen Gründen. „Phosphor“ wiederum bringt das Kunststück fertig, auf das titelgebende Wort im Text komplett zu verzichten. Mit der Halbballade „Das Ufer hat Zeit“ schließt eine weitere strukturell eher ungewöhnliche Nummer das simpel, aber elegant gestaltete ... Frevel ... ab: Dass Österreich Seemacht war, ist reichlich 100 Jahre her, und man ertappt sich irgendwie dabei, sich in dieser halbballadesken Hymne noch ein Schifferklavier als zusätzliches Instrument zu wünschen. Diesen Wunsch erfüllen Mayfair dem Hörer nicht: ... Frevel ... ist äußerst basisch instrumentiert und bleibt nahezu keyboardfreie Zone, ohne dass man im Gros des Materials aber irgendwie auf die Idee käme, hier fehle irgendwas. Was es diesmal in der Tat nicht gibt, ist eine Art Hit, aber über solche definierte sich diese Band sowieso nie, und an Eingängigkeit mangelt es so mancher refrainartiger oder tatsächlich als Refrain gedachter Passage durchaus nicht, ohne dass das Material auch nur in die Nähe von Radioeinsätzen käme, jedenfalls außerhalb gewisser Spezialistenprogramme.
... Frevel ... reiht sich summiert somit gekonnt ins jüngere Mayfair-Schaffen ein, und da die eingangs erwähnte stärkere Metallisierung in den ersten Songs deutlicher ausgeprägt ist als in den letzten, muß auch niemand Angst haben, härtetechnisch hier nicht mehr mitzukommen, wenngleich man einen gewissen psychotischen Effekt schon einrechnen muß – aber das war bei dieser Band ja schon immer so. Da auch produktionstechnisch im besten Sinne alles beim Bewährten geblieben ist, hat wohl niemand, der Schlage mein Herz, schlage und My Ghosts Inside mochte, einen Grund, Mayfair anhand ... Frevel ... die Freundschaft zu kündigen.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Evil Christine | 3:25 |
2 | Hinter dem Leben | 3:50 |
3 | Ungetaktet | 3:28 |
4 | Himmel in Gefahr | 3:38 |
5 | Gestern und nicht heut‘ | 3:12 |
6 | Hitze | 4:50 |
7 | Der Teufel | 3:14 |
8 | Atme (Frevel) | 6:20 |
9 | Annelies | 3:14 |
10 | Phosphor | 3:29 |
11 | Das Ufer hat Zeit | 4:57 |
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Besetzung |
Mario „Le Fate“ (Voc)
René (Git)
Martin „Medi“ Mayer (B)
Roland „Jolly“ Mähr (Dr)
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