Martin Kälberer
Insightout
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Der 1967 in Ulm geborene Musiker Martin Kälberer lernte zunächst Gitarre und Mandoline, bevor er sich später dem Piano zuwandte. Hierbei sollen Chick Corea und Herbie Hancock wesentliche Inspirationen gewesen sein. Seit 1989 ist Kälberer als freischaffender Musiker tätig. Er beschäftigte sich mit verschiedenen Genres, von Pop und Rock über brasilianischer Musik zum Jazz, als auch Weltmusik und Musicals.
Hieraus entwickelte sich nach und nach ein eigener Stil, der sich auch ausgeprägt auf der aktuellen Produktion, seinem neunten Album, Insightout, zeigt. Die erste CD präsentiert uns Martin Kälberer solo. Doch ist es nicht einfach ein Solo-Piano-Album geworden, denn das Instrument wird gelegentlich erweitert um auf ihm präparierte Sounds, um Perkussion auf dem Piano, sowie werden Keyboards eingesetzt, Effekte hinzugemischt, der Musiker arbeitet mit "Brushes", ob er sein Instrument abfegt (?) und benutzt ein in Bern erfundenes Instrument, das Hang. Dieses besteht aus zwei miteinander verklebten Halbkugelsegmenten aus gasnitrierten Stahlblech. Auf der oberen Halbschale befinden sich Klangfelder, die in das Blech eingearbeitet sind.
Und so kann man sicher Einiges erwarten, dass sich, hinsichtlich der breitgefächerten Interessen des Musikers, nicht auf ein reines Jazz-Piano-Album einengen lässt. Aber andererseits bestimmt das Piano allein fast die ganze Musik der Platte. Die Einleitung mit dem ersten Song geht vielmehr eine ganz eigene Richtung ein, ein wenig erinnert mich die Stimmung jedoch auch an Musik wie von Lubomyr Melnyk oder auch Ludovico Einaudi.
Eigentlich bleibt diese Stimmung auch weitestgehend so erhalten, Wiederholungen der schönen Melodiebögen, die zum Innehalten, zum Verweilen anregen, mitunter angereichert mit leicht und luftig und gar fröhlich anmutenden Passagen, die eine Art besonderer Stille erzeugen, die den Blick bzw, das Hören auf das Wesentliche bewirkt. Die Musik wirkt sehr introvertiert, ob sie einen Blick ins Innere des Künstlers darstellt? Oder will er damit selbst Stille und Ruhe gewinnen und die Hörerschaft daran teilhaben lassen?
Martin Kälberer äussert sich unter anderem wie folgt: "Ich wollte, nach der ersten totalen Irritation, die Chance nutzen, diese absolut einzigartige Situation, die ihr eigene Stille und so ungewöhnliche wie ungewohnte Abgeschiedenheit als das "aufzunehmen“ (und zwar im doppelten Sinn), was es ist. Eine Neuordnung der Paradigmen, eine Neuerfahrung des Seins und des Schaffens." und bezieht sich dabei auf die aktuelle Situation, in der wir Alle aufgrund der Pandemie gedrängt wurden und werden.
Selbst beschreibt er eine persönliche Erfahrung in Verbindung mit dem längsten Song der Platte, "Part IV" mit 15:45 Minuten Länge: "So ist z.B. ein Klavierstück entstanden, man kann es eine Art Meditation über ein Thema nennen, von 16 Minuten Länge, in der Phase des totalen Lockdowns, in der nicht einmal der Klavierstimmer zu mir kommen durfte … und das hört man natürlich."
Und so kann man sich fallen lassen in diese Soundscapes, diese Klanglandschaften, die individuelle Filme auslösen können, ob man sich einfach nur treiben lässt innerhalb der Konzentration auf die Musik oder sich damit beschäftigt, das Gehörte deuten zu wollen, immer bleibt es eine positiv ausgerichtete Erfahrung. Nun, ist das jetzt Minimal Music, ist das Ambient? Oder einfach nur purer meditativer Schönklang? Es mag Einige geben, die das Ganze für extrem langweilig halten, es sei ihnen belassen. Wem es so geht, dem dürfte die Musse fehlen, sich darauf einzulassen, um eine Erweiterung der Wahrnehmung zu erfahren, die durchaus angenehm wirken kann.
Nun, es gibt ja noch eine zweite CD, eingespielt mit der Munich Music Factory. Streich- und Blasinstrumente umschmeicheln dabei das Pianospiel, das dem der ersten CD gleicht. Befindet man sich im ersten Stück noch auf dem Meer, und gleitet dahin, dann erinnere ich mich an klassische Komponisten wie Grieg oder Sibelius, ein dicker Hauch skandinavischer Romantik mit wehmütigem Einschlag verzaubert und nimmt noch wesentlich mehr gefangen als die Musik der ersten CD. Diese Kammermusik unterhält aufs Feinste und kann ebenfalls persönliche Filme im Kopfkino auslösen.
Noch gerade im Meer unterwegs, gerate ich mit dem zweiten Titel bereits in einen "Nebel", und diese besondere Stimmung, wie ich sie von der Küste kenne, diese mystische Atmosphäre, die jeden Laut anders klingen und lauter klingen lässt, dieses wattige Gefühl, das strahlt dieser Song aus. Sowohl vom Meer als auch vom Nebel will uns der Künstler mit "Farewell" nun verabschieden. Und das signalisiert abermals, Zeit für Stille zu empfinden, Zeit zur Musse freizugeben. Für Unterhaltung ist schließlich mit der Musik gesorgt. Dieser Abschied klingt romantisch, es klingt auch nicht nach Endgültigkeit, sondern Hoffnung scheint mitzuschwingen in diesen Melodiebögen.
Wolfgang Giese
Trackliste |
CD 1:
1 Part I (6:31)
2 Part II (5:14)
3 Part III (6:09)
4 Part IV (15:45)
5 Part V (6:28)
6 Part VI (8:11)
7 Part VII (6:43)
CD 2 (feat. Munich Music Factory):
1 Meer (Part IV) (9:35)
2 Nebel (Part III) (5:58)
3 Farewell (4:34)
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Besetzung |
CD 1 & CD 2:
Martin Kälberer (grand piano, prepared piano, Rhodes, add. keyboards & effects, hang, piano-percussion, brushes)
CD 2:
Munich Music Factory (assembled by Fany Kammerlander):
Ahmed Mounib (violin)
Shin Hee Lee (viola)
Ehab Abo Fakher (viola)
Fany Kammerlander (cello)
Janine Schöllhorn (flute, alto flute)
Kai Rapsch (oboe, English horn)
Philip Watson (clarinet, bass clarinet)
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