Touchdown
Don’t Let Time Stand Still
Touchdown-Re-Releases, Vol. 3: Tricks Of A Trade
Mit Tricks Of A Trade kamen Touchdown karrieretechnisch keinen entscheidenden Schritt vorwärts, und zudem zerfiel abermals die Besetzung, so dass die beiden Hauptkreativköpfe der jüngsten Bandgeschichte, Gitarrist Dave Temple und Drummer Perry Segal, wieder alleine dastanden. Sie schafften es freilich erneut, die Lücken kompetent zu schließen, nämlich mit Daves Bruder Murray als Bassist, während Dennis Matechuk das Frontmikrofon übernahm und etwas anders klang als sein Vorgänger Bob Moody, vor allem noch ein wenig tiefer sang, was mit dem Bestreben der Band, einen Deut an Härte zuzulegen, durchaus konform ging. Dieses Quartett beschloß allerdings, die zukünftigen Aktivitäten nicht unter dem Namen Touchdown anzugehen – man benannte sich in Masque um und spielte 1986 ein Vier-Track-Demo ein, das als EP-Release vorgesehen war und bei dem Ted Alexander, der schon beim Touchdown-Erstling Don’t Look Back als Gastkeyboarder fungierte, abermals in dieser Funktion genannt wird, aber quasi nirgendwo zu hören ist. Perry, gebürtiger Kalifornier, zog danach in seine alte Heimat zurück und versuchte in L.A., einen Plattendeal an Land zu ziehen. Das mißlang, und offenbar waren auch Woolfe Records, das bisherige Label der Band, nicht daran interessiert, das Material herauszubringen. So blieb es unveröffentlicht, und Masque stellten daraufhin ihre Bandaktivitäten ein.
Drei Jahrzehnte später erscheint das Material nun doch noch – allerdings nicht unter dem Namen Masque, sondern als Touchdown, was zwar für strenge Historiker fragwürdig sein dürfte, allerdings eine gewisse Logik beinhaltet, da die beiden Bandköpfe ja die gleichen waren und die Konsequenz der Weiterarbeit sogar dazu führte, dass einer der EP-Tracks eine Neueinspielung von „Looking For Traces“ ist, einem Song des Touchdown-Zweitlings Tricks Of A Trade. Und noch eine zweite „Fremdkomposition“ gibt es, diesmal sogar eine echte, an der also kein Masque/Touchdown-Bandmitglied songwriterisch beteiligt war: „Heart On The Line“ wurde von Ken Goorabian komponiert, und der Text stammt von einem Mann, der es in der AOR-Welt später zu einiger Bekanntheit gebracht hat: Kevin Chalfant, der so manchem beispielsweise von The Storm ein Begriff sein dürfte, die das Pech hatten, ihre hochklassigen Werke gerade in den Neunzigern herauszubringen, als AOR so ganz und gar unhip war. Der betreffende Song, anno 1983 oder 1984 (die Quellen differieren) der Titelsong des zweiten Albums von Goorabians und Chalfants damaliger Band Steel Breeze gewesen, eröffnet die EP auch gleich, bietet Melodic Rock in geradezu klassischer Ausprägung, besitzt einen einprägsamen Refrain, besticht zudem durch ein furioses Solo von Dave Temple und stellt zugleich den neuen Sänger in den Mittelpunkt – aus solchem Stoff wurden unter anderen strukturellen Bedingungen durchaus Hits. Der Titeltrack zieht das Tempo etwas an, baut aber vor das Solo noch eine feiste Bridge im massiven Midtempo und macht das Ziel der Band, die Grundhärte etwas zu erhöhen und damit noch deutlicher im Melodic Metal anzudocken, klar. Ob es die Neueinspielung von „Looking For Traces“ unbedingt gebraucht hätte, darüber darf diskutiert werden, aber sie macht dem Song keine Schande, und so groß sind die Unterschiede zur Originalfassung auch nicht. „She Calls My Name“ galoppiert abschließend nochmal fröhlich drauflos, bleibt wie auch die anderen drei Songs knapp unter vier Minuten und macht durchaus viel Hörspaß. Bis auf die Goorabian-Nummer stammen die Kompositionen von Dave Temple, und nachdem jener auf Tricks Of A Trade hier und da noch leichte Unsicherheiten zeigte, was die Treffsicherheit bestimmter arrangementöser Elemente angeht, so demonstrieren die beiden neuen Songs der EP, dass er diesbezüglich deutlich an Routine gewonnen hat, ohne dass damit Starre eingezogen wäre. Schade, dass man keine späteren Werke aus seiner Feder mehr zu hören bekam.
Der Re-Release dieser knapp 16 Minuten erfolgt nicht in der Karthago-Heavy-Metal-Classics-Serie, sondern in der Karthago-Heavy-Metal-Demo-Classics-Serie, deren erst vierten Bestandteil die Scheibe markiert. Um sie allerdings nicht als EP herausbringen zu müssen, wurden vier Ausschnitte aus Radiosendungen hinzugefügt, welche die Gesamtspielzeit auf 54 Minuten bringen. Ob man das als gelungen empfindet oder nicht, bleibt jedem selber überlassen – zumindest den letzten Beitrag „KiK-FM 107 Backstage – Band History“ hätte man sich freilich definitiv sparen können, denn das sind nur die ersten drei Minuten des sechsminütigen zweiten Radiobeitrages „2KiK-FM – Backstage“, reduziert lediglich um das Anfangsjingle. Dieser sowie der dritte Beitrag „1CJAY-FM 92 – Made In Calgary“ beinhalten Interviews mit Perry Segal aus der Touchdown-Zeit (der letztgenannte entstand offensichtlich nach dem zweiten, der erstere nach dem Debütalbum), während „3KLOS FM 95,5 – Local Music Show“ eines Senders aus L.A. aus einer Zeit stammt, als die Band schon Masque hieß. Das Material hört man sich genau einmal an, danach programmiert man beim Wiederhören der CD den Player so, dass er nach Track 4 automatisch stoppt.
Das führt uns zur Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Releases. Beide Touchdown-Album-Re-Releases beinhalteten lediglich das reguläre Albummaterial ohne irgendwelche Bonustracks, und so erscheint es rückblickend als die editorisch sinnvollste Lösung, die EP-Tracks und, wenn man sie denn unbedingt veröffentlichen will, auch die Radiomitschnitte als Bonustracks auf die beiden Re-Releases zu verteilen, wobei man bei Tricks Of A Trade, an dessen Ende sowohl die vier Masque-Tracks als auch die 13 Minuten der L.A.-Show chronologisch gehört hätten, vor der Frage gestanden hätte, ob man dann die anderen Radiobeiträge beide auf Don’t Look Back packt, obwohl einer der beiden erst nach Tricks Of A Trade entstanden ist, oder ob man, um diese editorische Unschärfe zu umgehen, zumindest noch so viel vom zweiten Radiobeitrag auf Tricks Of A Trade packt, wie die Spielzeitkapazität eben hergibt (das überflüssige Drei-Minuten-Doppel kann selbstverständlich von vornherein wegfallen). Dass diese logischste Lösung keine Anwendung fand, könnte theoretisch daran liegen, dass die Tapes mit dem EP-Material erst später aufgefunden wurden, als die CD-Re-Releases, die beide am gleichen Tag erschienen sind, während Don’t Let Time Stand Still erst vier Monate später erschien, schon gepreßt waren – dieser Variante widersprechen aber Perry Segals Liner Notes, die freilich auch keine Erklärung für diese seltsame Releasestruktur hergeben. Vielleicht lagerte auf den dort erwähnten 2‘‘-Tapes, die Perry bei jedem seiner diversen Umzüge mitschleppte, auch noch weiteres Material, das eigentlich zur Veröffentlichung auf dem Quasi-Masque-Re-Release vorgesehen war, aber aus technischen oder vielleicht auch rechtlichen Gründen dann doch nicht verwendet werden konnte. Sei es, wie es sei: Bevor man Don’t Let Time Stand Still erwirbt, muß man wissen, dass man knapp 16 Minuten Musik und reichlich 38 Minuten Radiomitschnitte (in denen noch einige weitere Songs an- oder auch ausgespielt werden) bekommt. Die Bewertung bezieht sich folgerichtig nur auf die vier EP-Tracks.
Roland Ludwig
Trackliste |
1 | Heart On The Line | 3:50 |
2 |
Don’t Let Time Stand Still | 3:43 |
3 |
Looking For Traces | 3:55 |
4 |
She Calls My Name | 3:56 |
5 |
3KLOS FM 95,5 – Local Music Show | 13:15 |
6 |
2KiK-FM – Backstage | 6:04 |
7 |
1CJAY-FM 92 – Made In Calgary | 15:58 |
8 |
KiK-FM 107 Backstage – Band History | 3:19 |
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Besetzung |
Dennis Matechuk (Voc)
Dave Temple (Git)
Murray Temple (B)
Perry Segal (Dr)
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